Etwas niedergeschlagen lag ich morgens in meinem Bett: es war mein letzter richtiger Tag hier an Board, morgen würden wir das Schiff verlassen. Natürlich wusste ich das eigentlich schon, aber ich wollte es eben noch nicht wahrhaben. Immerhin bedeutete das, dass ich sie verlassen müsste.
Seufzend stand ich dann doch mal aus meinem Bett aus und begab mich ins Bad. Heute stand die Stadt Nijmegen auf dem Plan und ich wollte diesen letzten Tag nochmal in vollen Zügen genießen. Nach dem Frühstück machten wir uns auch gleich auf den Weg, immerhin hatten wir nur bis Mittag Zeit, da das Schiff schon mittags wieder ablegen würde. Mehr - oder in meinem Fall eher weniger - motiviert schlenderten wir durch die Stadt und machten hin und wieder einen Fotostop. Die Stadt war schön, es gab viele alte Häuser und die Atmosphäre war einfach gemütlich. Meine Gedanken kreisten allerdings immer noch um gestern Abend und ich zweifelte langsam daran, ob es wirklich eine so gute Idee war, meiner Mutter bis jetzt nichts über die gesamte Situation erklärt zu haben. Ich brauchte jemanden zum Reden und das so dringend wie möglich. Ich hatte das Gefühl, dass - wenn ich noch länger warten würde - einfach alles aus mir rausblubben würde, wie so ein Wasserfall. Und genau das wollte ich vermeiden, da ich mir selber immer noch total unsicher war.
Wieder auf dem Schiff zurück, legten wir uns zum Ablegmanöver auf das Sonnendeck und ich schrieb sie an. Ich konnte meine Impulse, was das anging, einfach nicht unterdrücken und das, obwohl mir bewusst war, dass ich sie damit nervte. Aber diese paar Minuten Aufmerksamkeit von ihr mehr am Tag gaben mir Kraft, die ich gerade dringend brauchte. Sie antwortete mir auch, was mich sehr glücklich stimmte. Zusammen mit meiner Mutter ging ich nach unten in die Lounge, da es uns beiden oben mit dem Fahrtwind zu kalt wurde. Wir lasen beide unsere Bücher und spielten danach noch Karten.
Meine Laune hatte sich über den Tag hinweg rapide verschlechtert und das lag nicht unbedingt daran, dass die Reise morgen zu Ende war. Wobei, doch eigentlich hing es schon damit zusammen. Morgen würde ich nicht nur das Schiff, sondern auch sie verlassen. Das ganze Gefühlschaos lastete außerdem so schwer auf mir, dass ich keinen anderen Weg sah und sie anschrieb. Wir hatten erst am Morgen geschrieben, sodass es nicht zu auffällig war. Ich lag auf meinem Bett im Zimmer und wartete, während meine Mutter gerade duschte und sich fürs Abendessen fertig machte. Relativ schnell bekam ich von ihr eine Antwort und redete mir daraufhin alles von der Seele. Also wirklich alles. Ich erzählte ihr von meinem Gefühlschaos ohne ihr wirklich davon zu erzählen. Die Antwort, die ich daraufhin bekam, las ich mir bestimmt 20 Mal durch. Ich war so unglaublich erleichtert und hatte das Gefühl, genau das richtige getan zu haben. Ich war ihr so dankbar, dass ich meine Dankbarkeit gar nicht in Worte fassen konnte. Ich konnte förmlich spüren, wie sich Gewicht von meinen Schultern entfernt hatte und ich wieder richtig atmen konnte; ich war einfach wieder etwas freier nach den letzten Tagen.
Als meine Mutter sich fertig gerichtet hatte und es Zeit fürs Abendessen war, stiegen wir die Stufen nach oben zum Restaurant. Zufälligerweise stand sie gerade an ihrem kleinen Tresen und begrüßte uns freundlich. Tonlos formte ich mit meinem Mund ein "Danke" und machte mit meinen Händen eine passende Geste. Sie lächelte mir aufmunternd zu und wir gingen wieder getrennte Wege. Beim Abendessen war ich die ganze Zeit in Gedanken. Wie sollte das nur alles werden, wenn wir morgen das Schiff verlassen werden? Und wie würde das sein, wenn wir dann auch wieder nach Hause fahren?
Nach dem Essen setzten wir uns wieder in die Lounge, aber diesmal hatten wir nicht so viel Glück. Dadurch, dass es der letzte Abend war, versammelten sich alle Passagiere in der Lounge und diese war brechend voll. Wir konnten gerade noch so zwei Sitzplätze ganz am Rand ergattern, die allerdings bei älteren Damen standen. Sie saß ganz vorne und somit unerreichbar weit weg von mir. Allein ihr Erscheinen löste eine dermaßen starke Hitzewallung in mir aus, sodass ich meine angezogene Sweatjacke erstmal wieder auszog. Meine Mutter wies mich außerdem darauf hin, dass meine Wangen total rot waren. Kein Wunder, bei dieser inneren Hitze...
Später am Abend, die meisten älteren Gäste hatten sich verzogen und es saßen nur noch eine handvoll Leute in der Lounge, rief sie zu einem Tanz auf. Er sei ganz einfach, meinte sie, jedoch hatte ich noch nie davon gehört und blieb deswegen erstmal sitzen. Ein junger Mann ging nach vorne, anscheinend kannte er den Tanz, und sie freute sich, dass wenigstens einer ihn kannte. Als ich ein paar Takte gesehen hatte, erkannte ich den Tanz auch. Ich hatte ihn in meiner Tanzschule gelernt, jedoch unter einem anderen Namen. Schnell beugte ich mich zu meiner Mutter und flüsterte ihr zu, dass ich den Tanz auch kenne. Aufmunternd gab sie mir am Rücken einen kleinen Schubs und meinte, ich solle doch nach vorne gehen und mittanzen. Gesagt, getan. Wobei, so einfach war es dann doch nicht. Es war ja nicht so, wie wenn ich von ganz hinten von der Lounge nach ganz vorne laufen musste und somit jeden Blick auf mich zog, nur um dann bei einem Tanz miteinzusteigen, der schon eine ganze Weile lang lief. Vorne angekommen, spürte ich auch gleich ihren Blick auf mir. Sie begrüßte mich mit einem warmen Lächeln und nickte mir zu. Sogleich stieg ich mit in den Tanz ein und bekam gleich einen verwunderten Seitenblick von ihr. Selbstbewusst tanzte ich mit und blendete alles um mich herum aus. Alles, woran ich dachte, war sie neben mir und dass wir gerade zusammen tanzten. Auch wenn es ein Freestyle Tanz war, wir ungefähr einen halben Meter auseinanderstanden und der junge Mann ja auch noch da war, aber wir tanzten zusammen. Das Lied ging tatsächlich auch noch eine Weile und nach Ende des Liedes verkroch ich mich wieder nach hinten auf meinen Sessel. Meine Wangen waren total rot und glühten wie sonst noch was. Glücklicherweise konnte man nicht unterscheiden zwischen der Anstrengung vom Tanzen und dem Chaos in mir drin.
Zu noch späterer Stunde beschloss sie, noch ein spezielles Talent von ihr vorzuführen. Sie konnte unglaublich gut tanzen und so beschloss ich kurzer Hand, sie zu filmen, es in meine Instagram Story zu stellen und sie zu markieren. Das tat ich dann auch in der Hoffnung, wieder etwas Aufmerksamkeit von ihr zu bekommen. Da es jedoch schon ziemlich spät war und wir morgen früh aufstehen mussten, beschlossen meine Mutter und ich ins Bett zu gehen. Wobei, meine Mutter beschloss es, wegen mir hätten wir noch Stunden da oben sitzen können. Zusammen liefen wir also nach vorne und verabschiedeten uns von ihr. Es tat mir weh zu sehen, dass sie bei einer anderen Familie am Tisch saß, doch gleichzeitig wusste ich, dass ich kein Recht dazu hatte, eifersüchtig zu sein. Sie sprang sofort auf, als sie uns sah und umarmte uns beide lange. Das Gefühl, von ihr in den Arm genommen zu werden, war eines der schönsten Gefühle, die ich bisher in meinem Leben gefühlt habe. Ich fühlte mich geborgen und sicher, wie wenn niemand mich verletzen könnte und wie wenn die zeit angehalten werden würde. Ich nahm allen Mut zusammen, den ich ihr gegenüber aufbringen konnte und flüsterte ihr zu "Ich werde dich vermissen!" Traurig schaute sie mich an und meinte, dass sie uns natürlich auch vermissen wird. In meinen Gedanken antwortete ich darauf, dass ich sie anders vermissen werde, doch das konnte ich natürlich nicht aussprechen. Langsam trottete ich hinter meiner Mutter her, die zwar auch traurig schien, das jedoch nur auf das Ende des Urlaubs zurückzuführen war. Schnell wischte ich mir ein paar Tränen aus den Augen, bevor sie sie sehen konnte und ich noch in die Not kam, diese zu erklären.
Nachdem ich mich umgezogen und bettfertig gemacht hatte, legte ich mich ins Bett. Meine Gedanken waren ein einziges Karussell. Ich konnte keinen einzigen Gedanken zu Ende denken, weil sich immer ein Bild von ihr in meinen Kopf schob. Irgendwann driftete ich dann aber doch in das Land der Träume ab...
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Wer bin ich?
Novela JuvenilMaria. Auf den ersten Blick ein 15-jähriges Mädchen. Das denkt sie auch, bevor sie in den Urlaub fährt und sie kennenlernt. Denn sie wird Marias ganzes Leben verändern...