31.08.2018

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Der Wecker klingelte heute besonders früh. Wir hatten heute einen Ausflug nach Brüssel gebucht, da wir heute in Antwerpen lagen und dort der Weg nach Brüssel am kürzesten war. Trotzdem fuhren wir mit dem Bus immer noch eine Stunde lang. 

Schlaftrunken stand ich also auf und schaute im Bad als erstes mein Gesicht an, ob man mir etwas von meiner nächtlichen Heul Party anmerken würde. Zufrieden stellte ich fest, dass ich einfach nur zerzaust und verschlafen wie jeden Morgen aussah und man nichts sehen konnte. Schnell machte ich mich frisch und tappte anschließend meiner Mutter hinterher zum Frühstückstisch. 

Ich konnte morgens einfach nicht viel essen. Ich aß zwar immer etwas, aber mehr aus Angewohnheit als aus wirklichem Hunger. Also kaute ich langsam auf meinem Brötchen rum und entschloss mich danach noch für etwas Obst. 

Schon im Bus hatte ich schon keine Lust mehr auf den Ausflug. Die Menschen, die außer meiner Mutter und mir noch in dem Bus saßen, hatten wohl noch nie etwas von guter Erziehung gehört. Sie unterhielten sich quer durch den Bus - um kurz nach 8 Uhr MORGENS!!! - und ließen jeden an ihrem Gespräch teilhaben. Nach fünf Minuten beschloss ich, dass es wohl die beste Methode sei, einfach die Augen zu schließen und etwas Schlaf nachzuholen. Überraschenderweise klappte das tatsächlich auch gut, bis wir dann angekommen waren. Ich fühlte mich nicht fitter, sondern im Gegenteil wie gerädert. Mein Nacken war steif, mein Mund trocken und mein Rücken schmerzte. Aber egal, das lenkte mich wenigstens von meinen Gefühlen - waren es wirklich echte Gefühle? - ab. Gedankenverloren und interessiert tappte ich dem Stadtführer hinterher, darauf bedacht mich nur auf die Informationen dessen zu konzentrieren, um die (wahrscheinlich Gehirnzellen vernichtenden) Gespräche der anderen zu überhören. 

Meine Mutter und ich waren erleichtert, als wir endlich Freizeit in Brüssel bekamen und wir uns von den anderen Menschen entfernen konnten. Ich atmete ein paar Mal tief durch und spürte regelrecht, wie mich die Luft zu neuen Kräften brachte. Motiviert spazierte ich mit meiner Mutter durch die Gassen von Brüssel, kauften hier und dort ein kleines Souvenir und genossen einfach nur die Anblicke der Schaufenster. 

Es war ausgemacht, dass sich die gesamte Truppe wieder um eine bestimmte Uhrzeit am Marktplatz traf. Wir waren allerdings schon 20 Minuten früher dort und so schlug meine Mutter vor, dass wir ihr  doch noch ein paar Pralinen kaufen könnten. Gesagt, getan. Wir liefen also zu einem kleinen Pralinengeschäft, das ganz in der Ecke des Marktplatzes stand. Das Geschäft war zwar klein, aber es nutzte den Platz perfekt und bot eine Vielzahl verschiedenster Pralinen an. Schlussendlich entschieden wir uns für fünf Stück, unter anderem ein rotes Herz. Glücklich nun einen Vorwand zu haben, um mit ihr  reden zu können, malte ich mir diese Situation schon in meinem Kopf aus. So ignorierte ich als Nebeneffekt auch noch die ganzen anderen Gespräche, die mich eh nur wieder aufgeregt hätten. 

Nachdem wir wieder am Schiff angekommen waren, beschlossen wir gleich weiter in die Stadt von Antwerpen zu gehen und dort auch die Stadt zu erkunden. Also zogen wir los und erkundeten Antwerpen, unter anderem besuchten wir eine Dachterrasse, von der man unglaublich weit sehen konnte. Als wir in der Stadt unterwegs waren, trafen wir zwei Mitarbeiter des Schiffs, die wir in der ungewohnten Umgebung gar nicht erkannten. Beim Schlendern entdeckten wir einen coolen Regenbogen Zebrastreifen und meine Gedanken schweiften gleich wieder zu ihr ab. Was sie wohl gerade machte? Ich musste diese aufkommenden Gedanken wohl oder übel zur Seite schieben, da ich sonst meine Mutter aus den Augen verlieren würde - das würde gerade noch fehlen!

Nach ein paar Stunden wollten wir beide dann aber doch wieder zurück zum Schiff. Allmählich machte mir das frühe Aufstehen zu Schaffen und ich wurde durch das ganze Rumlaufen langsam müde. So beschlossen wir also, uns erstmal ein bisschen auf unserem Zimmer zu entspannen und eventuell einen kleinen Nachmittagsschlaf zu machen. Gesagt, getan - wir gingen nach unten auf unser Zimmer und legten uns erschöpft auf das Bett. "Möchtest du ihr eigentlich die Pralinen geben", riss mich meine Mutter aus meinen Gedanken. Sie war gerade nochmal oben gewesen und hatte sie  getroffen und sie  hatte meiner Mutter erzählt, dass er ihr heute nicht so gut ging. Ich hatte ihr  gerade geschrieben und war total in meiner Blase gefangen. Ich dachte nach, ja ich würde schon gerne, aber ich war so unglaublich nervös. Aber ich konnte ihr  nahe sein... schließlich nickte ich und hoffte innerlich, dass ich es später nicht bereuen würde. "Dann geh doch jetzt mal hoch, vielleicht ist sie  ja gerade an ihrem DJ Pult. Das passt jetzt vielleicht besser als heute Abend, wenn es so laut ist und überall Menschen sind." Dankbar für ihren Vorschlag, schnappte ich mir den Beutel mit den Pralinen und machte mich auf den Weg nach oben. Und tatsächlich: sie  stand an ihrem DJ Pult! 

Mein Herz fing an zu rasen und ich zitterte. ich betete, dass ich jetzt überhaupt noch einen Ton rausbrachte. Langsam ging ich auf sie  zu und sie  blickte zu mir herab. "Hey", fing ich vorsichtig an, "Mama und ich haben dir was aus Brüssel mitgebracht, das macht deinen Tag vielleicht besser..." Sie  fing an zu lächeln, was wohl das Schönste und Ansteckendste auf der ganzen Welt war. "Das ist aber lieb von euch, aber ihr hättet mir doch nichts mitbringen müssen. Komm mal her, lass dich drücken!" Überwältig von der bevorstehenden Umarmung, trat ich schüchtern an sie  heran und schloss meine Arme vorsichtig um ihre Taille. Unauffällig atmete ich tief ein und genoss ihren  Geruch in meiner Nase. Ich könnte stundenlang so stehenbleiben, leider löste sie  sich aber von mir und lächelte mir zu. "Danke, jetzt geht es mir tatsächlich ein kleines bisschen besser! Ich muss jetzt aber wieder weitermachen, wir sehen uns heute Abend ok?" Immer noch beflügelt von der Umarmung, grinste ich blöd vor mich hin und schwebte förmlich die Treppen nach unten. 

Glücklich seufzend legte ich mich wieder auf das Bett und ließ die Situation in meinem Kopf Revue passieren: ich hatte sie  tatsächlich umarmt! Den restlichen Abend verbrachten wir dann noch auf dem Sonnendeck, bevor wir wieder zum Essen gingen und uns dann in die Lounge setzten. Zum Glück war wieder ein Platz in der ersten Reihe frei, der mir einen direkten Blick auf das Pult und damit auch auf sie  garantierte. Ich war unglaublich gut drauf, ich kam mir fast vor, wie wenn ich irgendeine Droge eingeschmissen hätte. Nichts, aber auch gar nichts konnte meine Stimmung trüben. Endlich war es soweit und sie  fing an Musik zu spielen. Sie  zog meinen Blick magisch an und ich konnte mich einfach nicht von ihr losreißen. Ich erwischte mich immer wieder dabei, dass ich mich selber zwingen musste, meine Mutter beim Gespräch anzuschauen und nicht wieder zu ihr  zu schauen. 

Und dann passierte das Unfassbare: Sie  kam zu uns herüber! Ich konnte kaum glauben, dass sich das gerade in der Wirklichkeit abspielte und kein Traum war. Selbstbewusst zog sie  sich einen Stuhl zurecht, setzte sich darauf und begann zu sprechen "Hallo ihr beiden. Na, wie geht's euch?" Ich bekam keinen Ton heraus und war froh drum, dass meine Mutter antwortete. Sie  saß gegenüber von mir und neben meiner Mom, die auch gegenüber von mir saß. Ich konnte partout meinen Blick nicht von ihr  abwenden und musterte ihr Gesicht immer und immer wieder, bis ich das Gefühl hatte, sie  in- und auswendig kennen zu müssen. "Ja ich wollte mich nochmal bei euch für die Pralinen bedanken. Das war echt lieb von euch!" An meinem Rücken lief ein Schauer herunter und brachte mich leicht zum Frösteln, obwohl mir unerträglich heiß war. Meine Wangen glühten und ich fühlte mich fiebrig. Ich konnte auch keinen klaren Gedanken mehr fassen, das einzige, an dass ich denken konnte, war sie. Sie  in diesem Stuhl, einen Meter entfernt von mir, an unserem Tisch. Die Musik spielte im Hintergrund weiter, während ich ganz in meiner eigenen Traumwelt versunken war und gleichzeitig versuchte, alle von ihr  gesagten Worte auszusaugen und in meinem Gehirn abzuspeichern. Wie konnte ein Mensch nur so eine große Anziehung auf mich ausüben, obwohl ich ihn noch nicht mal richtig kannte. Was faszinierte mich nur an ihr  so sehr? Und seit wann stand ich denn bitte auf Frauen?? 

Meine Mutter und sie  plauderten fröhlich weiter, zum Glück achteten sie nicht so sehr auf mich, sonst wäre es sehr peinlich geworden. Nur ein einziges Mal beteiligte ich mich am Gespräch und währenddessen war ich so nervös, dass ich Angst hatte, plötzlich keine Worte mehr im Kopf zu haben. Sie  war einfach auf ihre Art und Weise perfekt, auch wenn sie  so unerreichbar war. Ich genoss jede einzelne Sekunde, auch wenn ich nur dümmlich grinsend auf meinem Stuhl saß. 

Sie  stand kurz mal auf, um was an der Musik zu ändern und in dieser Sekunde vermisste ich sie  schon. Ihre  Präsenz fehlte mir und ich fühlte mich leer, hatte ich mich davor irgendwie vollkommen gefühlt. Umso glücklicher war ich, als sie  wieder zu unserem Tisch zurückkehrte und sich weiter mit meiner Mutter unterhielt, wie wenn es keine Pause gegeben hätte. 

Später am Abend stand sie  aber auf und verabschiedete sich von uns. Traurig sagte ich tschüss und folgte meiner Mutter nach unten in die Kabine. Was hätte ich nur dafür gegeben, noch weiter hier oben sitzen zu können und sie  weiter anschauen zu dürfen. Im Bett lief der Abend vor meinem inneren Auge immer wieder ab. Was war das nur für ein aufregender Tag gewesen: ich hatte sie  umarmt und dann saß sie  auch noch den ganzen Abend bei uns! Mit einem zufriedenem Lächeln auf dem Gesicht schloss ich meine Augen und driftete bald in das Land der Träume ab. 

Wer bin ich?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt