Menschenmassen

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Ich gab ihm seine Jacke zurück und bekam anstelle eines Dankes bloß ein zuckersüßes Lächeln zurück bei dem ich dahin schmolz. Es war ein brauner Parker, wenn auch ohne Kaputzen-Fell, - ein weiterer Beweis dafür, dass Tom, im Gegensatz zu anderen Jungen, ansatzweise Modekenntnisse vorbringen konnte.
Reiß dich zusammen, sagte eine Stimme in meinem Kopf.

Warum war ich bloß so naiv und warum ließ mich meine Tagträumerei ständig die Realität vergessen?

"Alles klar?", fragte Tom als er meine nachdenkliche Miene bemerkte.

Als Antwort nickte ich bloß, leicht neben der Spur, und verabschiedete mich von meinem Inneren Ich.

"Na dann los.", meinte er und stampfte durch den Schnee.

Ich lief ihm hinterher bis wir an einem großen Marktplatz ankamen. Rechts und links von mir waren Stände aufgebaut an denen man Schmuck, Taschen aber auch Obst und Gemüse ersteigern konnte.

"Muss eben was für Mom holen, bin sofort wieder zurück.", rief mir Tom zu und ging zu einem der Gemüsestände. Ich nickte nur doch er war bereits hinter ein paar durch den Schnee stampfenden Menschen verschwunden. In dieser Situation erinnerte ich mich wieder an eine "Weisheit" meiner Mutter: Wenn du verloren gehst bleib einfach stehen und lauf nicht weiter. In diesem Fall war das wohl die beste Entscheidung. Doch nach geraumer Zeit wurde mir zu kalt um noch eine Sekunde länger starr herumzustehen. Und schließlich konnte ich Tom aus einiger Entfernung noch sehen. Also ignorierte ich Mamas Tipp und ging los. Ich hatte keine Ahnung wohin, stolperte planlos über den Marktplatz. Hier und da roch es nach gebratenen Mandeln, Glühwein und Lebkuchen. Rundherum waren die kleinen Läden mit Lichterketten und Weihnachtskugeln geschmückt und aus der Ferne hörte man Weihnachtsgedudel. Ganz von den herabfallenden Schneeflocken und den weihnachtlichen Gerüchen abgelenkt bemerkte ich erst im Refrain welches Lied in dem Moment gespielt wurde. Ja, es war All I want for Christmas. Ich glaubte der Zufall verfolgte mich, doch ich war eher verzaubert als geschockt. Wie in Trance trampelte ich weiter durch den Schnee und die lauten Rufe meines Gegenübers ließen mich nicht aufwachen, sodass ich wieder mal total in mein Opfer reinlief. Im selben Moment in dem ich meinen Kopf um etwa 90° heben musste, konnte ich mir bereits vorstellen, wer es war. Und mein Verdacht erwies sich als richtig.

"Was machst du denn hier?"

"Hi, Matty ehm...", setzte ich an, doch ich wusste nicht ob ich ehrlich zu ihm sein sollte oder ob ihn das überhaupt etwas anging. Und außerdem war ich noch ziemlich unter Schockstarre.

"Ehm ... Mir ein bisschen Köln anschauen", meinte ich schließlich lächelnd. War ja nicht gelogen.

"Und du?"

"Ehm ich verteile Flyer.", antwortete er bloß lachend. Wie dumm von mir, was auch sonst. Schließlich stand er dort mit zwei weiteren Werbern, rief lauthals durch die Gegend, wedelte mit den Flyern den Leuten vor der Nase rum und trug außerdem eine etwas komische Kappi und ein Tshirt seiner ... Agentur?

"Oh ja klar. Wofür wirbst du?"

"AEP."

Als er meinen fragenden Blick sah fügte er hinzu: "American Exchange Program."

"Wow cool ...", meinte ich und setzte ein interessiertes Lächeln auf.

"Du hast keine Ahnung was ich meine, stimmt's?", hakte Matty lachend nach.

Ich schüttelte nur langsam und verzweifelt den Kopf.

"Hier.", sagte er und hielt mir einen Flyer hin, doch zog ihn zurück ehe ich ihn entgegen nehmen konnte.

"Mooooment.", lachte Matty und kramte in seiner Jackentasche nach einem Stift.

"Falls du Fragen hast.", fügte er hinzu, zog den Deckel des Stifts mit seinen Zähnen ab und sah flüchtig zu mich hoch während er seine Handynummer auf das Papier kritzelte.

All for my dreamWo Geschichten leben. Entdecke jetzt