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Unterkühlt kam Nickolas in sein dunkles Zimmer, lehnte sich für einen Moment gegen die Tür in seinem Rücken und atmete. Er ließ alles im Dunklen, knipste nur seine Schreibtischlampe an, stoß das gekippte Fenster ganz offen und ließ alles rein. Er stand da, draußen war es dunkelgrau und er genoss die Kälte, obwohl er gerade erst aus der Kälte kam. Nickolas setzte sich hin, an seinen schmalen Schreibtisch vor dem Fenster, zog seine Deutschklausur aus seinem Rucksack, schlug sie auf, wollte sie korrigieren, sah noch einmal, dass er nur zwei Punkte hatte und schlug sie wieder zu. Er lehnte sich zurück, kniff die dünnen Lippen zusammen und starrte aus dem Fenster in eine Straßenlampe. Er blinzelte nicht, um wirklich nur zu starren und keine Zeit auf sich wirken zu lassen, aber dieses Nicht Blinzeln war schwierig, weil es durch sein sperrangelweitoffenes Fenster zog.

Nickolas sah hinüber, zu dem Mädchen, aber er konnte sie nicht sehen, nur das gedämpfte Licht in ihrem Zimmer, sanft und blind. Er wartete, er dachte darüber nach, wann das Mädchen das erste Mal geschlagen wurde und wie es davor gewesen war, aber Nickolas konnte sich nicht wirklich erinnern, an das Davor. Aber ihre Wände waren damals rosa gewesen. Sie hatte lange, unglaublich lange blonde Haare gehabt und das war auch schon alles. Das junge Mädchen kannte er nicht.

Vielleicht kannte er das ältere Mädchen, Sue. Nickolas wusste zwar nicht, dass sie Sue hieß, wusste nicht, wie sich ihre Stimme anhörte oder wie ihr Gesicht von Nahem aussah, aber wenigstens wusste er doch oder sah ein Stück von dem, was in dieser Wohnung und ihrem Innenleben passierte.

Über das gedämpfte Licht fiel der Schatten von ihrem eigenen Körper an die Wand. Sie rekelte sich, zerrte sich den Pullover über den Kopf und versank schnellstmöglich in einem Shirt. Für einen kurzen Moment konnte Nickolas sehen, wie ihr Schatten ihr Tshirt hochschieben wollte, um über ihre Rippen zu fühlen, aber das Shirt wurde nie hochgeschoben, ihre Hände sanken.

Nickolas knipste seine Schreibtischlampe aus, zog sich um, ließ das Fenster weit offen und fror, als er im Bett lag. Er blieb schlaflos, hielt seine Hände in die Luft, fuhr deren Linien auf den Handtellern nach, senkte seine Hände und fror.

Am nächsten Morgen wachte er auf, schloss das Fenster und sah das Mädchen gegenüber, dass das erste Mal dieses Jahr an ihrem offenen Fenster saß. Neben ihr lagen ein Taschenbuch und eine Kerze.

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