Die Zeit vergeht wie im Flug.
Nachdem Samu und ich das Photo Booth unsicher gemacht haben und eine Menge witziger Fotos dabei rausgekommen sind, haben wir unsere Puzzleteile an dem Farbentisch bemalt. Während ich eine rote Hütte wie wir sie damals gehabt haben auf mein Puzzleteil gemalt habe, hat sich Samu für einen Elch entschieden. Ich habe keine Ahnung, wie wir überhaupt darauf gekommen sind, aber unsere Kunstwerke haben sich irgendwie gut ergänzt. Ich muss hoffentlich nicht extra erwähnen, dass wir wirklich keine guten Maler sind. Samus Elch sieht eher aus wie das Bild eines kleinen Mädchens und auf meinem kann ich auch nicht viel mehr als das Haus des Nikolaus erkennen. Wir haben wirklich viel gelacht, den ganzen Abend über, was nicht zuletzt daran liegt, dass Samu irgendwann angefangen hat, auf wirklich schlechtem Norwegisch über die Gäste zu lästern. Die Tatsache, dass er überhaupt irgendwas auf Norwegisch sagen kann, hat mich jedoch schon ziemlich überrascht. Klar, er kann relativ gut schwedisch, und diese Sprachen sind, wie schon gesagt, echt ähnlich, aber trotzdem. Ich habe nicht damit gerechnet, dass er wirklich ganze Sätze formulieren kann.
Das Schöne daran ist, dass ich mich nicht einmal komisch in seiner Nähe gefühlt habe. Es ist einfach nur lustig und auch die weiteren Spiele, die Daria und Alex geplant haben, konnte ich dank Samu irgendwie überleben. Wir beide sind schon immer die Person gewesen, die solchen Spielen lieber zuschaut statt ihnen beizuwohnen, aber dem Brautpaar zuliebe haben wir natürlich mitgemacht, und es ist meistens ganz unterhaltsam gewesen. Samu hat nicht mehr aufgehört, Witze über die anderen Leute zu machen, und nach einer Weile wurden wir schon komisch angeschaut, weil wir die ganze Zeit nur nebeneinander hockten und kicherten.
Mari hat mich zwischendurch immer wieder vielsagend gemustert, doch ich habe schließlich entschieden, es zu ignorieren. Sie kann noch so vielsagend schauen, ich kann das hier heute nicht einordnen. Und ich will es auch nicht, ich bin froh mal einen Abend mit Samu zu verbringen, ohne darüber nachzudenken, was das eigentlich wird, wenn es fertig ist. Nachdem ich beim Essen wirklich etwas verloren war, hat sich der Abend nämlich noch in eine gute Richtung entwickelt. Wegen Samu und seinem vorlauten Mundwerk.
Mit meiner Mutter habe ich den ganzen Abend über immer noch kein Wort gewechselt, sie hat keine Anstalten gemacht, sich aus einer ihrer Unterhaltungen zu reißen, und ich habe eh nicht das Bedürfnis mit ihr zu reden. Einfach weil ich nicht weiß, was ich ihr sagen soll. Und weil ich nicht mit Brian reden will, und der hängt leider an ihr wie eine Klette. Typisch.
Als mein Dad schließlich ankündigt, dass jetzt der erste Tanz stattfindet und danach die Party losgeht, hat Samu mich mit den Worten 'warte hier' verlassen und ist zusammen mit Osmo zur Bühne gehechtet. Während ich mich noch Frage, was er da vorhat und nervös mein blaues Kleid zurechtzupfe, merke ich gar nicht, dass plötzlich Eve neben mir steht. Erst als sie mir auf die Schulter tippt, schaue ich in ihr strahlendes Gesicht und muss augenblicklich lächeln.
"Eve!", begrüße ich sie grinsend und sie erwidert die Geste, ehe sie mich in eine feste Umarmung zieht, die sich in diesem Moment wirklich gut anfühlt. Noch so eine Person, die ich vermisst habe, wie ich jetzt im Nachhinein feststelle.
"Aurora, du siehst ja toll aus", schmeichelt sie mir und gibt mir ein Küsschen auf die Wange. "Das wollte ich dir schon den ganzen Tag sagen, aber ich konnte mich die ganze Zeit nicht von den Gesprächen losreißen. Und mein Sohn hat dich ja die ganze Zeit für sich beansprucht."
Ich lache nervös, als sie Samu erwähnt, und versuche nicht rot zu werden. Ich habe keine Ahnung, ob sie genauso wie Mari sieht, was in mir vorgeht oder nicht, aber ich hoffe, sie hat uns nicht zu oft beobachtet. Da sie aber seine Mutter ist, nehme ich mal an, dass sie das getan hat.
"Danke, Eve. Du aber auch", lächele ich schließlich und schiele kurz auf die Bühne. Osmo und Samu scheinen sich irgendwie häuslich auf der Bühne einzurichten, und ich weiß immer noch nicht was sie vorhaben. Ich werde es vermutlich gleich erfahren.
"Wie geht es dir?", frage ich schließlich und wende mich wieder der Frau neben mir zu. Sie hat sich eigentlich kaum verändert in den letzten Jahren. Die blonde Frisur ist immer noch dieselbe, auch ihr Gesicht scheint kaum gealtert. Nur eine andere Brille hat sie. Doch alles in allem sieht sie genauso toll aus, wie früher auch schon immer. Mal ganz zu schweigen von ihrem Kleid, welches einfach perfekt an ihr aussieht.
"Es geht mir sehr gut. Könnte kaum besser sein", antwortet Eve und zwinkert Samu zu, der gerade in unsere Richtung geschaut hat.
"Das freut mich."
"Wie ist es bei dir? Ich habe dich so lange nicht mehr gesehen. Wie ist es in Norwegen?"
"Kalt", grinse ich und sie lacht. "Zumindest die meiste Zeit im Jahr."
"Das ist es hier auch."
"Mir geht's gut. Ich bin froh hier zu sein", antworte ich schließlich auf ihre erste Frage und sie sieht mich ein bisschen besorgt an.
"Wirklich? Du siehst irgendwie bedrückt aus", stellt sie dann fest und ich schlucke. "Heute Mittag auch schon."
"Mir geht's gut, echt", lächele ich und meine es auch so. Es geht mir wirklich gut. Ich habe einen schönen Tag gehabt und bin ein paar Stunden echt unbeschwert gewesen.
"Dann ist ja gut. Hattest du einen schönen Tag?" Ja, dank deinem Sohn. "Wie fandest du die Trauung? Also ich musste echt weinen. Die zwei sind süß zusammen."
Ich lache herzlich und sie grinst mich nur an. Sie scheint ein bisschen aufgedreht zu sein. Vielleicht hat sie auch schon zu viel getrunken, wer weiß.
"Ich auch. Aber das muss ich immer bei Hochzeiten."
"Ja, ich auch."
Von der Bühne hört man auf einmal das Klacken vom Mikrofon und ich schaue überrascht zu Samu und Osmo rauf. Osmo sitzt am Keyboard und Samu mit einer Gitarre in der Hand vor ihm auf einem Hocker. Der Rest der Band, mit denen ich vorhin auch schon gequatscht habe, ist ebenfalls an den Instrumenten. Als Samu bemerkt, dass ich ihn anschaue, grinst er mich mit seinem Lausbubengrinsen an und rückt nochmal das Mikrofon zurecht.
"Guten Abend. Ich bin's mal wieder, habt ihr mich vermisst?", scherzt er mit seinem finnischen Akzent und die Leute lachen. Natürlich ertappe ich mich auch dabei, wie ich schmunzeln muss.
"Also Alex und Daria haben uns gebeten, einen Song zu spielen, für ihren ersten Tanz." Er scheint nervös zu sein, denn er tippelt ununterbrochen mit seinem Fuß auf dem Boden. Kein Wunder, erst die Rede und jetzt auch noch den Song für den ersten Tanz. Das ist eine ganz schön große Verantwortung.
"Deswegen müsst ihr jetzt ein bisschen Platz hier vorn machen, damit die beiden tanzen können." Grinsend macht er eine Handbewegung in Alex' Richtung, um die beiden aufzufordern, auf die Tanzfläche zu kommen, und wartet dann einen Moment, bis die Leute Platz gemacht haben und die zwei vor ihm stehen. Zwischendurch schaut er zu mir und verdreht nur grinsend die Augen, was mich ein bisschen zum Lachen bringt.
"Perfekt, danke", sagt er schließlich und gibt Osmo ein Zeichen, der darauf schließlich anfängt, eine mir nur allzu bekannte Melodie zu spielen.
Here we are to find something
Als Samus tiefe Stimme ertönt, läuft mir ein Schauer den Rücken hinunter. So wie früher auch immer, wenn ich ihn singen gehört habe.
Here we are to make a move
Er hat die Augen mittlerweile geschlossen und gibt sich offensichtlich sehr viel Mühe. Alex und Daria fangen langsam an zu tanzen, während alle Leute drum herum stehen und ihnen zu schauen. Ich habe dabei allerdings nur Augen für Samu.
And i just need a little bit,
I just need a little bit love,
you just need a little bit love
I don't need a crown on my head
Or a plan how to grow old
But I just need a little bit
I just need a little bit love
You just need a little bit love
Ich muss sagen, diese Version von dem Song passt perfekt zum Tanz. Daria lächelt meinen Bruder glücklich an, und als ich einen Blick zu meinem Dad werfe, sehe ich, dass er Tränen in den Augen hat. Kein Wunder. Die Atmosphäre ist wirklich magisch, vor allem mit all den Lichtern drum herum, und auch ich habe jetzt schon wieder einen Kloß im Hals.
Als der Refrain des Songs einsetzt, wird mir ganz anders. Samu hat die Augen immer noch geschlossen und singt gefühlvoll in das Mikro, während seine Hände langsam eine Melodie auf der Gitarre spielen. Ich habe es früher immer geliebt, wenn wir abends mit den anderen zusammensaßen und er die Gitarre rausgeholt und ein Lied gespielt hat. Ich hätte ihn wahrscheinlich auch für meine Hochzeit gebucht. Haha.
Zwischenzeitlich öffnet er seine Augen und schaut in die Menge. Als sein Blick meinen streift, lächelt er und meinen Körper durchfährt wieder diese angenehme Wärme.
"Ihr könnt ja kaum die Augen voneinander lassen", schmunzelt plötzlich seine Mum von der Seite und ich merke, wie ich rot werde. Schon wieder. Sie beobachtet uns also auch die ganze Zeit. War ja klar.
"W-was?", stammele ich und bin froh, dass es schon dunkel ist und nur die zahlreichen Lichterketten und Lampen noch ein bisschen Licht spenden. Somit sieht man hoffentlich nicht, wie rot ich bin.
Eve kichert nur und wendet ihren Blick wieder der Bühne zu. Samu singt sich immer noch die Seele aus dem Leib und Osmo hat ebenfalls die Augen geschlossen. Daria und Alex bewegen sich über die Tanzfläche, als wäre es das einfachste der Welt, und ich muss lächeln. Die beiden passen einfach sehr gut zusammen, das habe ich schon die letzten Tage gesehen aber jetzt wird es mir doch noch mal klar. Mein Bruder kann wirklich froh sein, sie gefunden zu haben, denn all seine Beziehungen davor waren wirklich ein Schuss in den Ofen. Das gleiche gilt natürlich auch andersrum.
Außerdem bin ich wirklich froh, dass ich hergekommen bin, auch wenn ich am Anfang skeptisch war und nicht wusste, ob es wirklich eine gute Idee ist. Das weiß ich bis heute nicht, aber alleine dieser Tag heute ist es schon wert gewesen. Und die Tatsache, dass ich all die Leute die ich liebe wiedergesehen habe.
Apropos Leute die ich liebe.
"Hallo Aura, Hallo Eve", begrüßt meine Mutter Samus Mum und mich und ich muss mir ein Seufzen verkneifen. Ich habe ja schon die ganze Zeit gewusst, dass dieser Moment heute kommen würde, aber jetzt bin ich doch ein bisschen nervös. Warum? Weiß ich nicht. Auch wenn sie meine Mutter ist und wir viele Jahre sehr eng miteinander waren, die letzten Jahre haben vieles verändert. Der Umzug nach Finnland hat vieles verändert.
"Hey Mum", versuche ich locker zu bleiben und lächele sie an, während die Jungs auf der Bühne noch einen weiteren Song anstimmen, der nun dem Vater-Tochter-Tanz gilt. Eve begrüßt sie mit einem Nicken und schaut weiter ihrem Sohn zu, während ich meine Mum einen Moment mustere.
"Wie geht's dir?", frage ich schließlich versöhnlich auf Norwegisch, immerhin habe ich sie ewig nicht gesprochen. "Wo ist dein Anhängsel?"
Ok, das konnte ich mir jetzt nicht verkneifen.
Sie bestraft mich mit einem strengen Blick und ich grinse nur. Da versteht wohl jemand keinen Spaß.
"Mir geht's gut. Was ist mit dir? Ich habe lang nichts von dir gehört."
"Gut."
Dieses Gespräch wird keine tiefgründige Unterhaltung, das weiß ich jetzt schon. Ich bin distanziert und sie ist es auch. Aber sie scheint ja interessiert zu sein, immerhin ist sie zu mir gekommen. Ich versuche also nett zu bleiben, auch wenn sie meine Frage nicht beantwortet hat. Ich frage mich echt, wo sie Brian gelassen hat, der hat sie nämlich den ganzen Tag nicht verlassen, soweit ich das sehen konnte.
"Das freut mich", nickt sie und scheint zu überlegen. "Wie ist es so allein in Oslo?"
Da ist es wieder. Dieser unterschwellige Ton.
"Gut. Ich bin aber nicht allein, also alles gut. Könnte nicht besser sein." Ok, das ist vielleicht etwas übertrieben, ich bin manchmal schon ein bisschen einsam.
"Schön, schön", macht sie nur nachdenklich und ich schicke innerlich ein Stoßgebet zum Himmel, dass diese Konversation bald aufhört. Während mein Dad ankündigt, dass jetzt alle auf die Tanzfläche kommen können und die Jungs ihren Song beendet haben, starre ich meine Mutter nur teilnahmslos an.
"Hast du sonst nichts zu sagen?", fragt sie schließlich und sieht mich abwartend an, die Hände vor der Brust verschränkt. Habe ich ihr etwas zu sagen? Da muss ich echt mal überlegen.
"Hey, Mum, lang nicht gesehen." Mein Stoßgebet wurde erhört. "Liv."
Samu steht jetzt zwischen mir und Eve und nickt meiner Mum leicht zur Begrüßung zu. Sie erwidert die Geste kaum merkbar und ich muss ein Seufzen unterdrücken. Ich glaube, in den ganzen fünf Jahren, die Samu und ich zusammen waren, hat sie ihn nie auch mal ein bisschen gemocht. Ich habe keine Ahnung, weswegen, denn er hat ihr nichts getan. Und er hat sich echt ins Zeug gelegt. Aber es sollte irgendwie nicht sein. Anscheinend hat sich nichts geändert, sie sieht ihn noch mit demselben strafenden Blick an.
Es folgt ein finnischer Wortwechsel zwischen Samu und seiner Mutter, während dem ich mehr oder weniger verloren in der Gegend rumstehe, und dem Blick meiner Mutter ausweiche. Ich kann nicht entziffern, ob sie diskutieren oder sich über irgendwas lustig machen, denn Eves Gesicht wechselt von ernst zu lachend, und Samu verdreht die ganze Zeit die Augen. Irgendwie macht sich da schon eine Vermutung in mir breit.
"Ich werde mal wieder zu Brian gehen. Wir sehen uns bestimmt noch", sagt meine Mutter schließlich und räuspert sich kurz. Was für ein aufregendes Gespräch.
"Okay. Bis dann", murmele ich versuche nochmal nett zu lächeln, ehe sie sich umdreht und gehen will.
"Ach Mum?", mache ich noch, bevor ich sie aus den Augen verliere, und sie sieht mich emotionslos an.
"Ja?"
"Bist du morgen auch da?" Keine Ahnung warum ich das frage.
"Ja."
Ich nicke nur und drehe mich wieder zu Samu und Eve, die immer noch zu diskutieren scheinen.
Vielleicht sollten Mum und ich einfach ordentlich über unsere Probleme reden und damit abschließen, damit wir wieder ganz normal miteinander umgehen können. Vielleicht wäre der Brunch morgen eine gute Angelegenheit für solch ein Gespräch.
Vielleicht bin ich aber auch einfach zu stolz um auf sie zuzugehen.
Und vielleicht habe ich ein Geheimnis, welches mich davon abhält.
"Gehts dir gut?", höre ich auf einmal Eves Stimme neben mir und werde aus meinen Gedanken gerissen. Sie und Samu schauen mich beide mit ihren blauen Augen an, fragend, und ich nicke nur.
"Sicher?"
So oft wie ich das heute schon beantwortet habe, weiß ich mittlerweile nicht mehr, was ich darauf eigentlich antworten soll.
Wieder nur ein Nicken meinerseits, und ein gequältes Lächeln hinterher.
In diesem Moment ertönt Stings 'Shape of my heart' und Samu grinst plötzlich über beide Ohren. Ja, er liebt diesen Song irgendwie, und auch ich mag ihn.
"Jetzt werde ich daran erinnert, dass ich dieser Lady hier noch einen Tanz schulde", grinst er seine Mum an und deutet auf mich, ehe er mir seine Hand hinhält und einen leichten Knicks macht. Ich muss augenblicklich lachen.
"Würden Sie mir diesen Tanz schenken?", fragt er ganz förmlich und ich werde rot. Schon wieder. Idiot. Eve lacht und verschwindet schließlich ebenfalls in der Menge.
So wie Samu mich angrinst könnte ich gar nicht nein sagen, selbst wenn ich wollte.
Kichernd lege ich meine Hand in seine und er verhakt augenblicklich unsere Finger miteinander, ehe er mich zur Tanzfläche führt.
Dass tief in mir die Schmetterlinge wieder Fangen spielen, merkt natürlich keiner.
Auf dem Boden angekommen, legt er seine Hände an meine Hüfte und ich verschränke meine in seinem Nacken, ehe ich ihn sanft anlächele und versuche, mich nicht in seinen Augen zu verlieren.
"Ich dachte immer du kannst nicht tanzen", flüstere ich scherzhaft und er lacht.
"Weißt du doch. Das hier kriege ich noch hin, aber wenn ein Beat dazukommt..."
"Mr. I don't dance kann also nur Standardtänze", stelle ich fest, wohl bedacht ihm nicht auf die Füße zu treten.
"Darin bin ich unbesiegbar."
Das stimmt. Er kann Standardtänze und vor allem hat er so viel Ausdauer, dass er es die ganze Nacht machen kann. Früher hat er mich bei jeder Gelegenheit aufgefordert, und ich fand es auch immer schön, obwohl ich es anfangs gar nicht konnte. In gewisser Weise hat er mir das Tanzen beigebracht, und ich bin froh drum. Wenigstens muss ich dann nicht irgendeinen Tanzkurs belegen, wenn ich es irgendwann mal brauche.
"Also, was hat deine Mum gesagt?", fragt er schließlich während wir uns langsam über die Tanzfläche bewegen.
"Nicht viel", antworte ich und überlege kurz. Ist in diesem Gespräch überhaupt irgendwas gewesen, was erwähnenswert wäre?
"Nicht viel?"
Er schmunzelt und plötzlich fällt mir auf, dass er wirklich nah ist. Wirklich sehr nah. Sein Gesicht ist nur wenige Meter vor meinem, und die Stellen, auf denen seine Hände liegen, brennen schon.
So ist das beim Tanzen.
"Sie hat nur gefragt, wie es mir geht. So alleine in Oslo."
Ich betone das alleine extra in ihrer Tonlage und Samu lacht. Wahrscheinlich kann er sich nur zu gut vorstellen, wie es sich anhört hat, er kennt sie ja immerhin gut genug.
"Ich finde das aber eine berechtigte Frage", merkt er dann an und sieht mich eindringlich an.
"Echt?"
"Naja, ich weiß, dass deine Mum das eher vorwurfsvoll gemeint hat." Ich nicke stumm und sehe ihn auch an, was gar nicht so einfach ist, immerhin ist er echt groß und ich bin eher ein Zwerg. Von außen betrachtet sieht das wahrscheinlich ziemlich lustig aus.
"Aber ich frage mich wirklich, wie es dir da geht. Bist du glücklich? Als wir das letzte Mal darüber geredet haben, schien es nicht so."
Da habe ich neulich nachts wohl etwas viel geplaudert. Nach 23 Uhr wird meine Zunge immer etwas zu locker.
"Aber ich will dir nicht zu nahetreten", schiebt er noch hinterher und lächelt mich dann süß an. Blitz. Mein Gott.
Was soll ich ihm denn sagen? Ja, Oslo ist toll, aber hier bist du und der Rest auch und deswegen bin ich unglücklich, wenn ich an Oslo zurückdenke?
Bin ich das überhaupt? Bisher habe ich die Tatsache, dass ich hier irgendwann wieder abhauen werde, ignoriert. Zu sehr hat mich meine verrückte Familie und diese Hochzeit eingenommen.
Irgendwie fühlt sich der Gedanke an Oslo an wie ein Schlag in meine Magengrube, und das nehme ich jetzt zum ersten Mal wahr.
"Ich sehe schon", schmunzelt er schließlich und ich seufze. Ich habe ganz vergessen, dass er eh immer direkt sieht was ich denke.
"Ich weiß nicht, was ich darauf antworten soll", lächele ich ehrlich.
"Dann lieber nicht."
"Ich würde sagen, ich habe als ich in Oslo war irgendwie verdrängt, was ich hier alles habe. Und dort nicht."
Ich rede in Rätseln. Merke ich selber. Kann ich aber auch irgendwie nicht abstellen, wenn Samu mich so anschaut wie er es jetzt gerade tut.
Er legt kurz seine Stirn in Falten und ich muss lachen.
"Sorry."
"Also du hast nie an uns gedacht?" Sein Blick wird ernst und ich überlege, ob ich etwas Falsches gesagt habe. Naja, ich habe mich wohl falsch ausgedrückt. Passiert.
"So habe ich das nicht-", sage ich schnell und komme aber nicht weit, weil Samu auf einmal los prustet und mich belustigt anschaut.
"Du hättest mal deinen Blick sehen sollen."
"Du Arsch", murmele ich und stoße ihn mit einer Hand scherzhaft weg, ehe ich lache und meine Hände wieder dahinlege, wo sie vorher waren.
"Ist doch eine berechtigte Frage. Hast du uns nie vermisst?"
"Habe ich schon. Aber ich konnte damit leben. Doch wenn ich jetzt darüber nachdenke, dass ich hier irgendwann wieder wegmuss, weiß ich nicht, was ich davon halten soll."
Stille. Samu scheint nachzudenken und ich überlege, ob das jetzt nicht etwas zu ehrlich war. Seine Stirn ist wieder in Falten gelegt. Die Band spielt mittlerweile ein anderes Lied und erst jetzt nehme ich die ganzen Leute auf der Tanzfläche wahr. Waren die eben auch schon da?
"Dann bleib", raunt Samu jetzt in mein Ohr und seine Augen finden schließlich meine und schauen mich durchdringend an.
"Ich kann nicht."
"Oder du willst nicht."
"Ich hab nen Job", murmele ich und ich meine, das ist ein guter Grund, nicht hier zu bleiben. Vor allem, weil ich doch damals extra wieder zurückgegangen bin, weil ich mich hier nicht wohl gefühlt habe. Wo ist dieses Gefühl hin? Mal abgesehen von meinen sprachlichen Differenzen fühle ich mich hier wirklich sehr wohl. Vor allem jetzt gerade.
"Du könntest auch hier einen Job haben."
Stimmt schon.
"Und mein Finnisch?"
"Kannst du lernen."
Stimmt auch. Irgendwie.
"Aber ich mag meinen Job in Oslo."
"Und du möchtest nicht hierbleiben."
"Aber du willst, dass ich hierbleibe?", frage ich jetzt forsch und grinse ihn an. So hört es sich nämlich an.
"Ich wollte nie, dass du gehst", sagt er ehrlich und ich muss schlucken. "Aber du wolltest es und man sollte immer das tun, was das Richtige für einen selbst ist. Womit man sich wohlfühlt. Man darf nicht auf andere hören. Also war es damals das richtige für dich zu gehen und du wirst auch jetzt das richtige tun."
Ich nicke nur, weil ich nicht weiß, was ich sagen soll. Er hat mir die ganze Zeit über in die Augen geschaut. Und er hat Recht. Warum muss er immer solche schlauen Sachen sagen? Mein Bauch kribbelt, nein eigentlich kribbelt alles in mir. Ich bin verwirrt.
"Ich wusste damals was das richtige ist", murmele ich schließlich.
"Aber jetzt nicht."
Eine Feststellung. Keine Frage. Wieder nicke ich und lächele etwas unbeholfen.
"Willst du den Rat von einem smarten Finnen?"
"Der smarte Finne, der eben noch gesagt hat, dass ich hierbleiben soll?"
"Das habe ich nicht gesagt, ich habe gesagt, dass du das richtige tun sollst."
Er grinst schelmisch und ich verdrehe leicht die Augen. Den Satz davor hat er wohl schon wieder vergessen.
"Aber willst du, dass ich bleibe?", frage ich jetzt mutig und beiße auf meine Lippen. Doch im nächsten Moment bereue ich meinen Mut schon wieder.
"Warum ist es dir so wichtig was ich denke?"
Darauf habe ich keine Antwort. Ich weiß es ja selbst nicht.
"Keine Ahnung", antworte ich nur, zugegebenermaßen nicht gerade die schlauste Antwort, und schmunzele.
Samu schüttelt nur lachend den Kopf und sieht sich einen Moment lang um, ehe er mir wieder in die Augen schaut.
"Der smarte Finne rät dir, einfach abzuwarten. Du bist ja noch ein paar Wochen hier und brauchst noch nicht die Pferde scheu machen. Und wenn es soweit ist, wirst du wissen, was zu tun ist. Versprochen."
Sein Wort in Gottes Ohr. Ich bin mir da noch nicht so sicher, aber vielleicht hat er ja Recht. Eigentlich habe ich bis vor Kurzem nicht mal in Erwägung gezogen, wieder hierher zurückzuziehen. Warum tue ich es jetzt? Das kann nur an Samus Charme und meiner Familie liegen, die mir einfach das Gefühl von Geborgenheit geben.
"Und ja, ich fände es schön, wenn du bleiben würdest. Aber das sollte deine Entscheidung nicht beeinflussen."
Blitz.
Er fände es schön, wenn ich bleiben würde. Samu Haber. Mein Ex. Der, der schon wieder dabei ist, mir den Kopf zu verdrehen, obwohl ich gerade mal drei Tage hier bin und das eigentlich gar nicht sein sollte. Wie soll das nicht meine Entscheidung beeinflussen? Das ist unmöglich, ich stecke da schon wieder viel zu tief drinnen.
"Wird es nicht", murmele ich kaum hörbar, sehr wohl wissend, dass es das wird.
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Afterglow [18+]
FanfictionAurora kommt nach vielen Jahren endlich zurück nach Helsinki. Konfrontiert von alten Beziehungen, merkt sie schnell, dass es nicht so leicht ist, die alte Liebe hinter sich zu lassen.