because I was in love

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Der Abend endete schließlich in einem mehr oder weniger großen Besäufnis. Nachdem Samu und ich noch eine Weile getanzt und über belangloses Zeug und Dinge aus der Vergangenheit geredet haben, kam mein Dad und wollte mit mir tanzen, und Samu ist dann auch irgendwohin verschwunden. Ich habe ihn nur später nochmal getroffen, als es schon weit nach Zwölf Uhr war und die Leute nur noch Party gemacht haben. Er hatte da auch schon einen ordentlichen Salmiakki Intus, und hat nur gelacht. Wahrscheinlich haben er und die Jungs aus der Band sich betrunken, nachdem mein Dad das Tanzen mit mir übernommen hat, so wie sie es auch nach Konzerten immer gerne gemacht haben, und ich wünschte zwischendurch ich hätte es auch getan. Das Einzige, was mich davon abgehalten hat, ist die Tatsache, dass wir noch einen Brunch an diesem Morgen haben, und ich genau weiß, dass ich Alkohol nicht so einfach wegstecke wie manch andere Menschen. Außerdem blamiere ich mich meistens fürchterlich, wenn ich was getrunken habe, und nachdem was ich für Samu an diesem Abend schon gefühlt habe, hatte ich ein bisschen Angst, im Endeffekt zu viel zu plaudern. Also bin ich doch lieber bei Soft drinks geblieben, sonst hätte ich am nächsten Tag den Flieger nach Oslo nehmen können.

Ich weiß nicht, wann Alex und Daria von der Bildfläche verschwunden sind, aber die meisten anderen Gäste sind spätestens um vier Uhr nachts weg gewesen, und ich habe mich auch um diesen Zeitraum herum verabschiedet. Der Tag ist wirklich lang gewesen und da eh alle entweder betrunken oder verschwunden waren, sah ich keinen Grund mehr, mich weiter zu quälen, und bin schlafen gegangen.
Am nächsten Morgen beim Brunch sieht man den meisten die Party förmlich an. Samu und die anderen Jungs sehen aus, als hätten sie die ganze Nacht nicht geschlafen, was vermutlich auch wirklich so war, und auch die anderen Gäste scheinen nicht ganz auf der Höhe zu sein. Ich kann von mir nichts anderes behaupten. Als ich aufgestanden bin hingen meine Augenringe bis auf den Boden. Und ich hatte nicht mal Alkohol gestern. Vielleicht bin ich mittlerweile zu alt für solche Partys.
Der Brunch findet wieder in unserem Garten statt, und wir haben noch in den frühen Morgenstunden saubergemacht und die Tische ein bisschen umgestellt, sodass jetzt alle Gäste in einer langen Reihe sitzen. Leider hat das auch zur Folge, dass ich in der Nähe des Brautpaars sitze, und somit direkt gegenüber von meiner Mutter und Brian. Auf meiner rechten Seite sitzen mein Dad und Mari, auf der linken Samu und seine Mum, und ganz ehrlich, das ist eine denkbar ungünstige Sitzordnung für mich. Meine Mum scheint mich die ganze Zeit über mit ihren Blicken zu durchlöchern, und wirft gelegentlich dumme Kommentare ein, während Brian neben ihr sitzt und mich immer mit diesem ekelhaften Grinsen anschaut, welches ich so sehr hasse. Okay, das ist nicht das Einzige, was ich an ihm hasse. Aber es ist als würde er dauernd ohne Worte zu mir sagen: Halt bloß den Mund.
Und ich tue es. Ich sage gar nichts. Nichts zu ihm, über ihn, mit ihm. Ich bin einfach still, mit dem innerlichen Verlangen, ihn umzubringen.

Unsere Ecke unterhält sich über alte Tage, über Maris Geburtstag im letzten Jahr, über die harten Winter, das Angeln, die Mökkis, Sauna. Alltägliche Dinge halt.
"Wärst du nicht nach Oslo gegangen, wärst du auch dabei gewesen."
Nur einer von Mums schlauen Sprüchen, die sie mir gelegentlich an den Kopf wirft, wenn ich mal wieder nicht weiß, worüber wir gerade reden. Die anderen geben sich Mühe, reden ein Gemisch aus Finnisch, Englisch und norwegisch, damit ich auch alles verstehe, und ich fühle mich heute kein bisschen zurückgelassen oder einsam, doch die Kommentare meiner Mutter nerven mich schon die ganze Zeit. Ich weiß nicht, ob ich wirklich die einzige bin, der das auffällt, und ich eventuell ein bisschen übertreibe, denn sonst scheint niemand etwas zu merken. Aber es stört mich. Und ich weiß echt nicht, wie lange ich noch in Brians dreckig grinsendes Gesicht schauen kann, bevor ich ihm meine Gabel in die Hand ramme. Oder wo anders hin.
Samu ist heute etwas ruhiger als gestern, was ich einfach mal auf den Alkohol schiebe, macht auch keine Witze mehr über die anderen Gäste, aber klinkt sich zwischendurch trotzdem mal ein und malt irgendwelche Karikaturen auf Servietten, die er mir dann zuschiebt. 'Er ist so ein Kind machmal', denke ich oft und muss trotzdem lachen. Er schafft es immer irgendwie mich zum Lachen zu bringen, ob es jetzt betrunkene Elche auf Servietten oder Oma Ernas Dirndl-artiges Kleid in den Farben Finnlands ist. Vielleicht lache ich auch, weil ich müde bin.
Oder verliebt.
Beides ist kein so abwegiger Gedanke, auch wenn ich es nicht mag, es zuzugeben. Was vormachen kann ich mir aber auch nicht.

Zum Brunch gibt es Fladenbrot und Baguette, Suppe, Taboulé Salat, Antipasti, Nudelsalat, Lachs, Brötchen, Croissants, Marmelade, eine Menge Früchte und bestimmt zehn Sorten Torte. Ich habe mich bereits nach dem ersten Gang vollgefressen, und hätte danach wohl einen Mittagsschlaf gebraucht.
Meine Mutter ist mit der Zeit aufgetaut. Sie erzählt munter Geschichten aus ihrem letzten Griechenland Urlaub, von den Elefanten in Thailand und den Haien in Südafrika, ehe sie wieder auf ihren langweiligen Job zurückkommt und von irgendwelchen noch langweiligeren Geschäftspartnern erzählt, die extra mit ihr verhandeln wollen. Mein Dad wirft mir zwischendurch vielsagende Blicke zu, und ich bin froh, dass ich nicht die Einzige bin, die von ihr und ihren Geschichten genervt ist. Irgendwann wird meine Mutter von meinem Bruder unterbrochen, der anscheinend noch nie so einen guten Kuchen gegessen hat wie heute und es jeden wissen lassen muss. Und plötzlich geht es um die Bäckerei, die den Kuchen gemacht hat, und die Haie verschwinden in der Tiefe. Ich bin froh drum, denn ich will nicht wirklich davon hören wie meine Mutter nur noch durch die Welt reist und mittlerweile gefühlt jede Sprache sprechen kann. Das kann sie ihren Freunden erzählen, aber ich interessiere mich nicht dafür.
Woher kommt nur diese Abneigung ihr gegenüber? Zwischenzeitlich habe ich ein schlechtes Gewissen, doch dann muss ich mir wieder irgendeinen Vorwurf anhören, und mein schlechtes Gewissen verpufft und wird zu Wut. Ja, es ist kein einfacher Tag für mich. Doch dem Brautpaar zuliebe lasse ich alles über mich ergehen und versuche stattdessen, über Samus Elche zu lachen.
"Wann gehst du zurück nach Oslo?"
Vergeblich.
"Anfang September", antworte ich knapp und nippe an meinem Glas. Warum muss sie immer wieder damit anfangen? Ich wollte zwar ursprünglich ein vernünftiges Gespräch mit ihr, um ein paar Dinge loszuwerden, aber das muss ja nicht unbedingt vor allen anderen sein. Und vor allem ohne diesen vorwurfsvollen Unterton in ihrer Stimme, der mich wahnsinnig macht.
Wahrscheinlich übertreibe ich einfach und muss mich mal wieder beruhigen.
"Und das willst du auch wirklich?"
Oder auch nicht.
"Ja."

Ich weiß nicht, ob ich das wirklich will, meine Gefühlswelt ist momentan etwas durcheinander. Aber das muss sie ja nicht wissen.
Samu wirft mir einen besorgten Blick zu, er ist immerhin der Einzige, der wirklich weiß, was in mir vorgeht. Ich habe nie mit jemand anderem über diese Probleme gesprochen, nur mit Samu. Er weiß zwar auch nicht alles, aber ich hatte immer das Gefühl, dass er mich verstand, ohne die ganze Geschichte zu kennen.
Die anderen haben natürlich auch gemerkt, dass etwas im Busch ist. Mein Bruder hat mich oft gefragt, was zwischen Mum und mir los ist, und spätestens als ich zurück nach Oslo gegangen bin hat sie allen von unseren Problemen erzählt. Nur, dass sie nicht wusste, was das eigentliche Problem war, und es bis heute auch nicht tut.
Plötzlich beschleicht mich das Gefühl, dass ich schuld an dieser Streitsituation bin, und mein schlechtes Gewissen ist zurück. Hätte ich einfach ein vernünftiges Gespräch mit ihr geführt, und die Karten auf den Tisch gelegt, wären wir vielleicht gar nicht in der Situation. Aber das geht nicht, weil ich ein Angsthase bin.
"Du hast echt viel verpasst hier."
"Achja? Habe ich das?", fahre ich sie unerwartet genervt an und verschränke die Arme. "Erzähl mir mehr. Ach warte – lieber nicht. Es interessiert mich nicht."
Mein schlechtes Gewissen bewahrt mich offensichtlich nicht davor, Dinge zu sagen, die ich später bereuen werde. Doch wenn es einmal raus ist, ist es zu spät.

"Kein Grund, ausfallend zu werden."
"Ich bin nicht ausfallend geworden, ich habe nur gesagt, dass es mich nicht interessiert."
Mein Bruder unterbricht die Diskussion mit einem lauten Räuspern, ehe einer von uns sich reinsteigern kann und es richtig losgeht. Ich schnaube verächtlich, als er mich böse anschaut, und beschließe meinen Mund zu halten, egal was sie sagt. Es ist Alex' großer Tag, und ich möchte nicht diejenige sein, die es versaut und über die noch in zehn Jahren Geschichten erzählt werden. Mein Gewissen würde nicht damit klarkommen. Vermutlich würde ich nie mehr zurück nach Finnland kommen, aus Angst, dass die Leute mich hassen. Also bin ich lieber ruhig und warte auf einen anderen Moment, um das auszudiskutieren. Und so wie es aussieht, wird dieser Moment definitiv kommen, früher oder später.
Mein Dad wechselt geschickt das Thema und nicht mal eine Minute nach diesem kurzen Ausreißer scheinen es alle wieder vergessen zu haben und unterhalten sich fröhlich über die Flitterwochen des Brautpaars. Ich kann nicht viel dazu sagen, da ich nie in Afrika oder der Karibik oder wo auch immer gewesen bin, meine Mutter hat aber natürlich umso mehr zu erzählen, und schließlich wende ich mich an Mari und Samu, denn die beiden unterhalten sich gerade angeregt über die vergangene Tour.

Afterglow [18+]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt