Kapitel 5

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Jefrandt wartete auf der Terrasse auf Enne und wippte nervös auf seinen Fußballen. Er wollte Enne nicht zeigen, wie er gehaust hatte. Und das war das richtige Wort dafür. Er hatte gelebt wie ein wildes Tier und das würde sie sehen, wenn er ihr seine Höhle zeigte. Warum hatte er sich darauf eingelassen?

Weil du sie magst!

Da hatte sein Drache allerdings Recht, aber Jefrandt würde ihm das bestimmt nicht auf die Nase binden.

Obwohl es mehr als nur mögen war, fühlte er sich noch unsicher. Wie er ihr schon sagte, wollte er einer Frau diese Demütigung, die sie bestimmt von den Menschen erfahren würde, nicht zumuten. Um dem zu entfliehen blieb ihm doch eigentlich nur wieder die Flucht in die Einsamkeit und seine Frau würde ihm folgen.

Die Frauen folgen immer den Drachen, der für sie bestimmt war. Das war seit Generationen so. Das war wieder so eine Sache, dessen Geheimnis noch keiner ergründet hatte. Ihm blieb also gar keine Wahl. Enne würde ihm folgen, das wusste er. 

„Ich liebe sie. Aber du kennst die Gründe, warum ich es ihr noch nicht sage."

Weichei!

Dann war er eben ein Weichei. Aber er hatte gute Gründe dafür. Oder etwa nicht?

Enne hatte ihm gestern viel zum Nachdenken gegeben. Vor allem damit, dass er doch diesen Fluch der Einsamkeit durchbrechen konnte.

War er wirklich dazu bestimmt? Würde er den zukünftigen Generationen von schwarzen Drachen diese Einsamkeit ersparen können? Er wünschte sich das wirklich. Keiner sollte das erleben, was er und die anderen erlebt hatten. Dabei hatte er wirklich nur ein Bruchteil davon durchgemacht, doch das waren schon drei Jahre zu viel gewesen.

„Entschuldige. Wartest du schon lange?"

Enne kam auf die Terrasse gerannt. Ihr Atem ging keuchend, als ob sie eine große Strecke gelaufen wäre. Sie trug einen großen, geschlossenen Korb und mehrere Decken, die sie mit einem Seil zusammen gezurrt hatte. Er bemerkte die Schweißtropfen auf ihrer Stirn, die daher rührten, dass sie einen schweren Mantel und ein Winterkleid trug, obwohl es jetzt schon sehr warm war.

Sie blieb vor ihm stehen und wischte sich den Schweißfilm von der Stirn, wobei sie ihr Haar zur Seite strich und ihm die Narben präsentierte, für die sie sich noch vor einigen Tagen geschämt hatte. Er war stolz darauf, dass sie so viel Vertrauen zu ihm hatte und sich in seiner Gegenwart nicht unwohl fühlte.

„Wie funktioniert das jetzt? Du verwandelst dich und ich springe auf deinen Rücken, wenn du davon fliegst?"

Er lachte schallend.

„Ich werde mich verwandeln, aber nicht gleich davonfliegen. So viel Anstand hat mein Drache. Du kannst auf seinen Rücken und dein ganzes Zeug irgendwie festmachen." Er zeigte auf den Korb. „Was hast du denn alles dabei? Ich dachte, wir fliegen nur kurz ins Gebirge und kommen wieder zurück?"

Sie kicherte.

„Falsch gedacht. Ich will dein ehemaliges Zuhause sehen und bestimmt nicht gleich wieder zurück. Lass dich einfach überraschen, was ich dabei habe. Und jetzt kann es losgehen."

Er zweifelte etwas daran, ob sie noch der Meinung war, wenn sie die Höhle sah, in der er gehaust hatte. Außerdem war sie ein Mensch und würde die Kälte nicht lange aushalten.

Er fluchte leise auf sich selbst.

Holz für Feuer wäre bestimmt noch gut gewesen. Daran hätte er doch selbst denken können.

Er atmete tief ein, zog wenigstens seine Tunika aus und rief seinen Drachen.

Enne hielt den Atem an, als das majestätische Tier vor ihr stand. Sie hatte den schwarzen Drachen zwar einmal gesehen, aber nicht aus nächster Nähe. Die schwarzen Schuppen schimmerten in der Sonne in vielen dunklen Farben, die sich bei jeder Bewegung veränderten. Die roten Augen blickten beinahe ängstlich, weil er offenbar auf ihre Furcht vor ihm wartete. Doch sie hatte keine Furcht vor ihm. Die hatte sie noch nie gehabt. Sie roch nicht einmal diesen Schwefelgeruch, den er bei seiner Verwandlung offenbar ausstieß. Zumindest fand sie es nicht eklig, wie die anderen es behaupteten.

Die Drachen von Wikuna - Jefrandt (Band 3)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt