Kapitel 4

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„Erzähle mir mehr von dir, Jefrandt."

Er hob fragend eine Augenbraue. Enne saß neben Jefrandt, obwohl sie wusste, dass er damit manchmal noch Schwierigkeiten hatte. Es setzte sich niemand neben den Todesdrachen und dass sie es einfach tat, verwirrte ihn. Der umgestürzte Baumstamm, auf dem sie es sich gemütlich gemacht hatten, lag trotzdem noch sehr hoch, so dass sie hinaufklettern mussten. Enne baumelte nun ihre Beine vor und zurück, hielt sich aber an der groben Rinde fest. 

„Haben wir nicht ausgemacht, dass du mir heute deine Geschichte erzählst?", fragte er.

Sie kicherte hinter vorgehaltener Hand.

„Ich habe mich wegen dir auf den Ball getraut und habe sogar mit dir getanzt. Dreimal. Da darf ich doch eine gewisse Gegenleistung erwarten, oder?"

Er schnaubte leise und sein Gesicht wurde finster. Enne konnte nun verstehen, warum es Menschen gab, die Angst vor Jefrandt hatten. Doch dann grinste er und sofort verwandelte sich der dunkle Kerl in einen liebenswerten Mann, den man nicht zutraute, dass er Menschen einfach so töten konnte.

„Komm schon.", bettelte sie, als er nicht antwortete. „Ich weiß nichts von dir, Jefrandt und du allerdings schon eine ganze Menge von mir. Ist es denn wahr, dass du nur durch deinen Blick einen Menschen töten kannst."

Jefrandt warf seinen Kopf zurück und lachte schallend.

„Nein. So einfach geht es nicht. Ansonsten wären schon einige Frauen hier tot und meine Brüder sehr sauer auf mich."

Er räusperte sich.

„Ich kann Menschen sterben lassen, das ist richtig, aber es gehört schon mehr dazu, als sie einfach böse anzustarren."

Sie riss die Augen auf.

„Was tust du dann? Solche Gerüchte kommen nicht von ungefähr"

Er holte tief Luft.

„Eigentlich ist es etwas ganz anderes, was ich bei diesem intensiven Starren erreichen wollte. Wir Drachen haben alle Fähigkeiten, die der Menschheit nutzen kann. Vielleicht weißt du schon, dass Anuwe immer erkennt, ob ein Mensch die Wahrheit spricht."

Sie nickte und beugte sich interessiert vor, um ihr Kinn auf der Handfläche abzulegen.

„Nun, ich gelte ja als Anuwes böser Zwilling."

Nun schnaubte sie.

„Das ist doch Blödsinn. Du bist nicht böse."

Er zuckte mit den Schultern.

„Ich wurde auch nicht immer so genannt. Aber wir kommen vom Thema ab. Ich kann in einem Menschen die schlimmsten Abgründe erkennen. Ich lese die niedersten Gedanken, die schlimmsten Vorhaben und kann dadurch erkennen, was der Mensch tun könnte."

Erstaunt öffnete sie den Mund.

„Du siehst in die Zukunft?"

Lachend schüttelte er den Kopf.

„Nicht unbedingt. Dass jemand etwas tun könnte heißt ja nicht, dass er es auch wirklich in die Tat umsetzt."

Sie nickte.

„Richtig. Aber was hat das nun mit dem Gerücht zu tun, dass du Menschen einfach so töten kannst?"

Er zog tief seinen Atem ein.

„Ich habe als Kind den Gärtner erschreckt, als ich ihn fragte, warum er denn unbedingt die Brüste der Magd grob kneten wolle. Ich sah eigentlich schon im Voraus, dass er sie vergewaltigen wollte, konnte aber mit den Bildern und Gedanken nichts anfangen. Damals war noch nicht sicher, ob ich schwarz oder weiß werden würde. Der Gärtner verschwand noch am gleichen Tag, passte aber die Magd ab. Wenn ich nicht zu meinem Vater gegangen wäre, um es mir von ihm erklären lassen, was ich da gesehen habe, hätte er sie wirklich geschändet. Doch mein Vater handelte geistesgegenwärtig und informierte den roten Drachen, der die Mägde beobachten ließ und das Schlimmste verhinderte. Ich habe die Magd gerettet, aber meine unbeschwerte Kindheit war ab dem Zeitpunkt vorbei."

Die Drachen von Wikuna - Jefrandt (Band 3)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt