Kapitel 3: Lichtbringer

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Jeder Atemzug ließ einen Schmerzensstich durch seinen Brustkorb fahren.
Was war passiert?
Als er den anderen Schmerzpunkt lokalisierte – definitiv sein Flügel – erinnerte er sich an alles, was geschehen war.
Er öffnete leicht die Augen, es war dunkel, die einzigen Lichtquellen waren seine Nachtleuchten.
Er lag in seinem Bett, durch das dämmrige Licht erkannte er die provisorische Schiene an seinem Flügel. Hatte sich jemals einer seiner Geschwister den Flügel gebrochen? Verletzt, ja. Aber an Brüche konnte er sich nicht erinnern.

Er ließ den Blick weiter durch den Raum gleiten und entdeckte einen Wäschestapel am Fußende.
Seine Klamotten von heute. Ein prüfender Blick verriet ihm, dass er bis auf die Unterhose ausgezogen wurde. Sämtliche kleinen Schrammen waren verarztet worden, da war jemand sehr gründlich.

Im Nebenraum hörte er eine ihm bekannte Stimme. Chloe!
Ihre Stimme würde er immer und überall erkennen. Sie war hier – bei ihm.
Der Detective schien zu telefonieren, zumindest antwortete niemand.

„Es tut mir leid Trixie, ich kann ich dich auch morgen nicht abholen... Mami hat die nächsten Tage viel zutun und ist nicht zu Hause .... Wo ich bin? Ähm ... ich bin bei Lucifer ... ja genau ... nein du kannst nicht vorbeikommen ... nein er ist sehr krank und ich kümmere mich um ihn ... ja das richte ich ihm aus, kleines Äffchen. Gute Nacht"

Als Chloe auflegte und ins Schlafzimmer kam, sah Lucifer direkt, dass sie geweint hatte. Wegen ihm? Nein...
„Oh, Lucifer, du bist wach", erkannte sie und nun schlich sich doch ein kleines Lächeln auf ihre Lippen. „Wie geht es dir?"
„Detective", begann er in seiner betont fröhlichen Stimmlage. „Jetzt wo Du hier bist geht es mir blendend."
Sie kam zum Bett und setzte sich auf die Kante. Beinahe ehrfürchtig betrachtete sie seine großen, weißen Schwingen, welche weit über das Bett hinausragten.

„Sie sind so wunderschön", flüsterte sie und streckte eine Hand aus, um die langen Federn zu berühren.
Lucifer wurde prompt warm ums Herz.
Sie akzeptierte ihn so, wie er war. Ob Engel oder Teufel, sie war immer noch da.
„Ich hatte nie die Gelegenheit mir deine Flügel genauer anzusehen", sprach sie weiter, bewunderte das weiße Gefieder.

„Du hättest einfach fragen können", bemerkte Lucifer mit einem frechen Grinsen im Gesicht. Dann wurde sein Blick ein wenig ernster. „Wirklich Det... Chloe. Ich habe dir gesagt, dass du mich alles fragen kannst. Ich werde dir alles beantworten und du weißt, dass ich nie lüge."
Noch einmal strich Chloe fasziniert über die riesigen Federn, dann nickte sie leicht, wandte den Blick von seinen Engelsflügeln ab.

„Dein ... Vater nannte dich Samael", begann Chloe zögerlich. „Ist das dein richtiger Name?"
Bevor er antworten konnte, knurrte Chloes Magen laut.
„Hast du nichts gegessen?", frage er daher mit hochgezogener Augenbraue, ohne auf ihre Frage zu antworten.
Sie seufzte resigniert und schüttelte den Kopf. „Ich habe einfach nichts runterbekommen vor lauter Sorge."
Sorge ... um ihn?

Ein wohliges Gefühl breitete sich in seiner Magengegend aus, es war neu und verwirrend aber irgendwie schön.
„Wie wär's mit einem Deal?", schlug er vor. „Wir bestellen etwas zu Essen und ich erzähle dir die ganze Geschichte."

Überrascht sah sie ihn an und nickte dann zustimmend. Dachte sie wirklich, er würde sein Versprechen nicht halten und über seine Person schweigen?
20 Minuten später saßen sie beide in seinem Bett und aßen Pizza.
Chloe hatte ihre komplette Pizza in wenigen Minuten vertilgt und machte Lucifer noch zwei Stücke seiner Pizza streitig. Kurzzeitig fragte sich der Teufel, wie diese Frau bei diesem Hunger ihre Figur halten konnte, schluckte die Bemerkung aber ausnahmsweise runter. Er hatte sowieso keinen Hunger.

Lucifer hatte ihr von der silbernen Stadt erzählt, wie es dort aussah und wie sich das Leben dort gestaltete. Er hatte von seinen Geschwistern erzählt und über seinen Wunsch, selbst Entscheidungen zu treffen.
„Ich wollte nur einen eigenen Willen und nicht wie seine Marionette Befehle ausführen. Etwas Gleichberechtigung, mehr nicht. Er war verdammt sauer. ‚Du willst ein Herrscher sein? Es gibt einen Ort, an dem du herrschen kannst, Samael', hat er noch gebrüllt und dann ... naja ... den Rest kennst du sicherlich aus deinen Nachforschungen", erzählte Lucifer und äffte seinen Vater dabei nach.

Als er Chloes fragenden und zugleich nachdenklichen Blick sah, fügte er hinzu. „Um auf deine Frage zurückzukommen: Dad nannte mich Samael. Er schuf mich, um die Menschheit zu Sünden zu verführen. Mom nannte mich dagegen von Anfang an Lucifer. Für sie war ich schon immer ein Lichtbringer – das ist einer der Punkte, worin sich meine Eltern nie einig wurden."

„Und wer bist du im Herzen wirklich?", fragte Chloe und legte eine Hand auf seine Brust, genau dort, wo sein Herz schlug.
Er atmete tief durch und genoss ihre Hand an seiner Brust.

„Ich hasse den Namen Samael! Mir hat es nie gefallen, Menschen in ihre Sünden zu treiben, die sie in die Hölle bringen. Mein Dad hat mich dort runtergeschickt und mich gezwungen den Job zu machen, nachdem ich ihm die Meinung gesagt habe. Er war der Ansicht, dass ich ihm seinen Posten streitig machen würde, dabei wollte ich einfach naja ... ich sein. Dennoch hat sich keiner meiner Brüder für mich eingesetzt, als er mich verbannt hat. Erst standen sie hinter mir und dann, als mein Dad ein Machtwort gesprochen hat, haben sie mich einfach stehen lassen. Sie haben mich ohne Fragen zu stellen in Ketten gelegt und rausgeworfen. Bis auf Amenadiel kamen sie mich nicht ein einziges Mal in der Hölle besuchen. In der silbernen Stadt ist wohl jeder erfreut darüber, dass ich den Teufel mimen muss."

Er verstummte, schwelgte kurz in Erinnerungen.
„Aber das ist lange her", schloss er dann und sah Chloe in die Augen.
Sie beugte sich zu ihm und küsste ihn zärtlich.
„Für mich bist du immer ein Engel", flüsterte sie an seinem Ohr. "Danke, dass du mir das erzählt hast."
Sie küssten sich noch einmal, diesmal länger, doch als Chloe ihre Hand auf seine Brust legte, um sich leicht abzustützen, keuchte der Teufel kurz auf.

Sofort zog Chloe ihre Hand zurück und betrachtete die Stelle präzise.
„Ich wusste, ich hatte da noch ein Knacken gehört", murmelte sie und sah wieder zu ihrem Teufel hoch. „Wieso hast du mir nicht gesagt, dass das weh tut?"
„Halb so wild", erwiderte er und winkte ab. „Das wird wieder."
„Trixie lässt dir gute Besserung wünschen", erzählte die Polizistin nach dem Essen. „Sie macht sich auch Sorgen um dich."
„Diese Menschenkinder...", gab Lucifer von sich und grinste. „Wo ist dein Sprössling eigentlich?"

„Sie ist bei Dan. Ich hoffe nur, dass er nicht vergisst sie zur Schule zu bringen oder wieder abzuholen. Ich kenne ihn leider viel zu gut", klärte sie ihn auf.
„Du machst dir Sorgen", erkannte Lucifer und sah Chloe forschend an.
„Natürlich mache ich mir Sorgen", sagte der Detective. „Sie ist mein Kind und ich will, dass es ihr gut geht. Aber das verstehst du nicht, oder?"

Lucifer seufzte. „Ich versuche es, wirklich. Dieser kleine Mensch gehört jetzt schließlich auch zu meinem Leben."
Chloe lächelte leicht und beugte sich erneut zu ihm, um ihn zu küssen.
Ihre Lippen auf seinen waren für ein Gefühl der Vollkommenheit. Am liebsten hätte er diesen Kuss nie beendet.

Als sie sich von seinen Lippen löste, schmollte er, bis sie ihm noch einen flüchtigen Kuss gab und lächelte.
Dann gähnte sie herzhaft und kuschelte sich wieder an ihn. Er drehte sich seitlich, um sie betrachten zu können und war erstaunt, dass sie fast sofort eingeschlafen war.
Sie lag auf seinem Flügel, sodass es aussah, als sei es ihrer.
Chloe Jane Decker, du bist so wunderschön... wenn einer von uns ein Engel ist, dann du ...

Er konnte es immer noch nicht glauben, dass sie tatsächlich ihn gewählt hat.
In diesem Moment war er einfach der glücklichste Teufel der Welt.
Er gab ihr noch einen zärtlichen Gute-Nacht-Kuss auf die Stirn, dann legte er sich wieder auf den Rücken. Zu gut wusste er, dass auch er Schlaf brauchte, um sich zu erholen.

Devils Desire - Aus Zwei wird EinsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt