84.

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Die eine Woche Zwangspause die mir nach den ganzen Turbulenzen eingebrockt hatte, ging mir ganz schön gegen den Strich. Ich konnte das stillsitzen einfach nicht mehr abhaben - mir hätte es schon gereicht neben dem Spielfeld zu stehen oder im Büro sitzen zu dürfen, aber Marco blieb hart und sorgte dafür, dass ich das Bett nicht weiter als 50 Meter und das Haus nicht länger als 15 Minuten verließ. Nicht einmal abholen durfte ich ihn aus Brackel. Kein Wunder, dass ich dem Montag nur so entgegensehnte. Ich sprang extra früh auf, gönnte mir eine entspannte Dusche und schmiss meinen schwangeren Körper in die neuen Sportsachen, die ich zusammen mit Marcos Mutter letzte Woche in diesem neuen Sportshop in der Innenstadt gekauft hatte. Dahin zu gehen hatte Marco mir dann doch erlaubt. Die neuen Teile sahen super aus und spannten nicht mehr so an meinem Babybauch. Unten in der Küche zog ich mir den schwarzen Hoodie mit gelbem BVB-Emblem über die Birne und und starrte in den leeren Kühlschrank. Mist, was sollte ich denn bloß frühstücken? Ich hatte plötzlich so eine Lust auf was deftiges. „Du willst trainieren?" ich schloss erschrocken die Kühlschranktür mit einem lauten knall und starrte in die Augen von meinem schockierten blonden Ehemann. Langsam schüttelte ich meinen Kopf: „Ne, ich darf ja nicht mehr." sagte ich geknickt. Marco legte seinen Arm um meine Schulter zog mich so gegen seine Brust. Seine Lippen drückten sich gerade auf meinen Haaransatz, da schluckte er laut: „Es ist besser so-" versuchte er sich zu rechtfertigen, da unterbrach ich ihn: „Ja ich weiß, mittlerweile habe ich es verstanden." beruhigte ich ihn schnell. Ich hatte keine Lust, dass sowas ein zweites Mal passierte. Nicht zu wissen wie es unseren Sohn ging, machte mich fertig. Dieses Gefühl wollte ich nie wieder spüren. „Diese Sachen sind aber bequemer als Jeans und T-Shirt." gab ich zu. Marco musste amüsiert grinsen: „Ach dann, wenn es sonst nichts ist." säuselte er und stapfte mit der fetten Banane in seiner Hand die Treppen hoch, um duschen zu gehen. Ich seufzte und versuchte so, die Anspannung in mir abzuschütteln, aber sie baute sich immer wieder von neuem auf. Ich hatte so eine Angst, dass sich die Neue meinen Job gekrallt hat, dass ich immer unfairer wurde ihr gegenüber. Andererseits war ich schwanger und somit leicht austauschbar. Ich schüttelte meinen Kopf. Nein, diese Gedanken mussten verschwinden. Ich hatte mir einen Namen gemacht im Fußball, versuchte ich mich selbst aufzubauen. Doch dann ließ ich direkt wieder die Schultern hängen - ich hieß Reus. Dieser Name hatte so oder so eine Bedeutung im Fußball. Auch der Nachname meines Vaters hatte mir so einige Türen geöffnet, aber mein Wissen und mein Ansehen als weiblicher Trainerpart im Herren-Profifußball, das konnte mir wenigstens keiner nehmen. Am Freitag kam ein Brief indem sich die Note meiner Masterarbeit befand. Ich bestand mit Auszeichnung, gesagt jedoch hatte ich es noch keinem. Ich wollte auch nicht zu dieser dämlichen Abschlussfeier in ein paar Wochen. Schließlich wäre ich zu diesem Zeitpunkt hochschwanger. Egal, ich dachte nicht weiter drüber nach und Frühstück musste heute wohl leider ausfallen.
Mein Vater umarmte mich, als ich den Spielfeldrand betrat und grinste mich daraufhin zufrieden an: „Es ist schöner, wenn du hier bist." Ich zwinkerte ihm zu, während sich meine „Konkurrentin" auf dem Platz austoben konnte. Meine Miene verzog sich - meine Mundwinkel spannten sich erst an, bevor sie zu zittern begangen. Ich schüttelte mich kurz, um diesem ekelige Gefühl zu entgehen. „Alles gut?" fragte mein Vater mich leise. Ich nickte und suchte nach einer akkuraten Ausrede: „Ich - äh - ich habe nur Hunger." murmelte ich. Wenigstens war es keine allzu lügenbehaftete Ausrede. Ich hatte einen Bärenhunger. „Dann geh rein. Iss etwas und danach kommst du wieder her." riet er mir gelassen. Ich legte meine Hand fürsorglich auf meinen Babybauch und seufzte. In Ordnung. Dann ging ich halt wieder. Augenverdrehend machte ich mich auf den Weg in den Aufenthaltsraum, um dort den Kühlschrank zu plündern. Ich fand einen Apfel, Joghurt und mein Mittagessen von vorletzter Woche. Meine Nase rümpfte auch von selbst, als ich es samt Dose in den Mülleimer verfrachtete. Unzufrieden angelte ich mit den Apfelbaums den Joghurt aus dem Kühlschrank, setzte mich an den Tisch und litt beim Essen unter Selbstmitleid. Vielleicht war es dich an der Zeit, in den Mutterschutz zu gehen. Hier war ich doch irgendwie eine Last. Traurig stütze ich meinen Kopf auf meiner Hand ab, als die Tür aufflog. „Warum sitzt du denn hier wie ein Häufchen Elend?" fragte Marco mich plötzlich: „Ich habe dich über all gesucht!" mein Blick wanderte auf die Uhr. Es war schon so spät? Ich hatte ja das ganze Training verpasst. In mir stiegen die Tränen auf. Warum auch immer begann ich wie ein Kleinkind zu heulen. Irritiert schloss Marco die Tür hinter sich ins hockte sich neben mir hin: „Bella, was ist los?" fragte er perplex und musterte mich besorgt. Ich zuckte mit meinen Achseln: „Ich weiß es nicht. Ich fühle mich nutzlos." gab ich zu. Marco musste lächeln, als er mir immer wieder die Tränen mit seinem Daumen wegwischte. „Du bist doch nicht nutzlos mein Schatz." säuselte er. Ich runzelte meine Stirn: „Doch. So ein junger Feger hat meinen Platz übernommen und ich kann mich höchstens an den Schreibtisch setzen, um nicht völlig über hier zu sein." schluchzte ich genervt, während ich weiter an meinem Apfel kaute. Marco lachte leise auf. Für ihn war mein Anblick wahrscheinlich amüsant. Ich musste auch grinsen, aber nur kurz - denn danach schluchzte ich wieder. Marco streichelte mit seinem Arm über meinen Rücken: „Du bist nicht nutzlos Bella, du bist schwanger. Es wird langsam Zeit das Zepter für ein paar Monate aus der Hand zu geben. Geh in den Mutterschutz und danach kommst du stärker wieder als je zuvor. Das wird gut, ich sehe es schon vor meinem inneren Auge." versuchte mein Ehemann mich aufzumuntern. Ich lachte unter den ganzen Tränen und legte meinen Kopf auf seiner Schulter ab: „Meinst du wirklich?" fragte ich unsicher. Er nickte: „Ja, versprochen! Und jetzt gehen wir Pizza essen." zwinkerte er mir zu und zog mich hoch, nachdem er seine Lippen liebevoll auf meine drückte.

OptimistinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt