Kapitel zehn

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Das Wochenende mit einem Popstar im Kopf zu verbringen, war nicht leicht. Die Stunden zogen sich nur so, wie Kaugummi. Meine Gedanken kreisten noch immer um die alles verändernde Nacht. Und meine Schwester würdigte mich keines Blickes mehr. Sie war ungewöhnlich still. Doch an ihren Blicken konnte ich den Hass mir gegenüber erkennen.

Unser Streit gestern hatte gezeigt, dass sie zu engstirnig war, um weiter mit ihr über die Konzertnacht zu sprechen. Sie war so sehr darauf fixiert mich und alle um sich herum zu hassen, dass sie gar keine Gegenargumente an sich heranließ. Sie sah nicht einmal ein, dass ich nichts für unseren langen Ausflug zu Harrys Übergangs-vier-Wänden konnte. Inwiefern hätte ich diese Nacht denn bitte beeinflussen können? Egal, was ich getan hätte, Clarissa hätte mich gehasst. Und das nur, weil ihre Nerven zu schwach gewesen waren bei Bewusstsein zu bleiben. Sie hatte also selbst Schuld an der Situation, in die sie sich gerissen hatte. Es war dermaßen unfair mich dafür verantwortlich zu machen.

Also ignorierte ich meine kleine Schwester auch. Doch je mehr ich auf Abstand zu allen um mich herum ging, desto lauter wurden meine Gedanken an Harry und desto größer war die Wahrscheinlichkeit, dass ich mich deshalb selbst in die Klapse einweisen würde.

Also entschied ich mich zu einem großen und wirklich schwierigen Schritt. Ich würde Jessy anrufen und ihr alles erzählen. Alles! Vielleicht würde ich ihr sogar davon erzählen, wie gern ich diesen Kerl hatte, auch wenn sie mich dann für verrückt erklären würde. Aber immerhin wusste sie dann Bescheid und ich hatte jemanden, mit dem ich darüber reden konnte. Außerdem wollte ich sie nicht länger anlügen und ihr ausweichen. Ich bemerkte, wie uns dieser ganze Kuddelmuddel auseinandertrieb. Und Schuld an unserer Entfernung hatte nur ich. Nicht einmal die Kilometer, die zwischen uns lagen, hatten uns so weit voneinander entfernt, wie meine Verschwiegenheit und meine Angst ihr die Wahrheit zu sagen.

Aber was war überhaupt die Wahrheit? Dass ich mich verliebt hatte? Dass ich mich zum ersten Mal in meinem Leben verliebt hatte? In einen Popstar, den ich nicht haben konnte, weil sie näher an ihm dran wohnte, als ich? In einen Popstar, der sich schon die ganze Woche hätte melden können, es aber einfach nicht getan hatte? In einen Popstar, der so unerreichbar für mich war, wie der Himmel?

Ich wählte Jessy über Skype an und schlug dann mit meiner Stirn auf die Tastatur. Wem machte ich hier etwas vor? Harry würde sich niemals bei mir melden! Was für einen Grund hatte er denn auch? Wir wohnten in verschiedenen Welten! Er war doch eine ganz andere Liga, wie ich. Wir waren grundverschieden. Wir hatten gerade einmal eine Nacht miteinander verbracht und nur weil er ein bisschen nett zu mir gewesen war, konnte ich ihn jetzt nicht mehr vergessen oder was? Gab es für all das hier nicht irgendeinen Ausschalter?

„Maddy, du lebst!", erklang die Stimme meiner besten Freundin aus den Boxen. Sofort riss ich den Kopf nach oben. „Jessyyyy!" Ich verzog mein Gesicht zu einer Art gequälten Lächeln. „Ich muss dir was gestehen." Mein Mund übernahm einfach die Kontrolle. Ich hatte gar keine Zeit mir weiter darüber Gedanken zu machen. „Ich habe dich angelogen."

„Angelogen?" Jessy tat so, als sei sie total entsetzt. Dann lachte sie auf. „So schlimm wird es schon nicht sein. Erzähl! Was war bei dir los!" Ihre lustige Art wurde sofort ernster, als sie näher an den Bildschirm ging. „Ist alles okay bei dir? Du siehst ja echt ziemlich niedergeschlagen aus."

Ich nickte stumm. „Das bin ich auch." Ich seufzte. „Da ist dieser Typ, auf den Clarissa steht und irgendwie stehe ich auch auf ihn und das macht alles so kompliziert. Vor allem, weil er so gar nicht mein Typ ist."

Ich konnte sehen, wie meine beste Freundin auf der anderen Seite des Bildschirms die Stirn in Falten legte. „Clarissa und du steht auf den gleichen Typen? Ich dachte, deine Schwester hat nur Augen für diesen Styles-Kotzbrocken."

Ich verzog mein Gesicht und vergrub es dann in meinen Händen. „Und genau da liegt der Hund begraben."

Kurz schwieg Jessy, dann sagte sie: „Okay, jetzt machst du mir Angst."

Und ich erzählte ihr alles. Ich erzählte ihr jedes noch so kleine Detail, erzählte ihr, wie ich mich in dieser Nacht gefühlt hatte und wie ich mich jetzt fühlte und wie sauer ich auf Clarissa war. Einfach alles. Und anstatt mich auszulachen oder mir Vorwürfe zu machen, weshalb ich mich ihr nicht schon eher anvertraut hatte, sagte Jessy: „Ach, wie gern würde ich dich jetzt in den Arm nehmen, Maddy. Das tut mir alles so leid. Das klingt schrecklich."

Ich lachte leise auf. „Weil ich mich in einen Popstar verliebt habe?"

Sie stieg in mein Lachen ein uns schüttelte dann den Kopf. „Nein. Na ja, vielleicht ist das ein wenig komisch und ich gebe zu, dass ich damit nicht gerechnet habe, aber man kann sich eben nicht aussuchen, in wen man sich verknallt. Ich finde es viel schrecklicher, dass sich dieser Harry-Arsch bis jetzt nicht einmal telefonisch bei dir gemeldet hat."

Ich biss mir auf die Unterlippe. „Ja, furchtbar, oder?" Ich lehnte mich in meinen Stuhl zurück. „Denkst du, meine Mutter hat vielleicht recht? Denkst du, er wird sich niemals bei mir melden?"

Sofort sah ich meine beste Freundin den Kopf schütteln. „Ihre Geschichte und deine sind unterschiedlich. Immerhin hast du nicht mit ihm geschlafen. Er wird also noch anrufen." Sie zwinkerte mir verschwörerisch zu.

„Aber was, wenn n-"

Ein Klopfen an meiner Zimmertür zwang mich dazu innezuhalten. „Herein?"

Mein Vater schwang die Tür auf und hielt mir einen Telefonhörer ins Zimmer. „Telefon für dich."

Ich drehte mich zu meinem Laptop um und sah, wie Jessy genauso große Augen machte, wie ich. „Das wird er doch wohl nicht sein!", hörte ich ihre dumpfe Stimme rufen.

Sofort stand ich auf uns nahm das Telefon an mich. „Wer ist es?"

„Irgendein Joshua aus deiner Klasse. Er hat eine Rückfrage wegen der Hausaufgaben."

Mein Herz begann zu flattern. In meiner Klasse gab es keinen Joshua. Bedeutete das etwa...?

Ich schmiss meinem Vater die Tür vor der Nase zu. Zitternd hob ich das Telefon an mein Ohr. „H-Hallo?"

„Hallo, Maddy."

Hate you. Miss you. Love you. | HSWo Geschichten leben. Entdecke jetzt