Kapitel sechs

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„Können wir?" Harry hievte Clarissa erneut hoch und warf sie sich über die Schulter. Er wartete erst gar nicht auf meine Antwort. Viel zu schnell hatte er den Raum verlassen. Den ganzen Weg aus dem Hotel rannte ich nur hinter ihm und Franklyn her. An der frischen Luft angekommen, kamen weitere Bodyguards dazu. Sie umzingelten uns und schirmten uns von dem Blitzgewitter ab, welches von den Paparazzi ausging, die scheinbar nur darauf gewartet hatten, dass der Superstar Harry Styles das Hotel verlassen würde. Wo waren sie gestern Abend alle gewesen? Woher hatten sie so schnell von seinem Aufenthaltsort gehört?

Ich konnte mir nicht schnell genug Gedanken darüber machen. Augenblicklich saßen wir im Auto. Sobald ich mich angeschnallt hatte, setzten wir uns auch schon in Bewegung. Schnell rauschten wir durch die Straßen. Immer wieder sah der Fahrer in den Rückspiegel. Ob wir wieder verfolgt wurden?

Ehrlich gesagt war mir das egal. Ich hatte andere Dinge im Kopf. Ich spürte, wie der Augenblick des Auf-Wiedersehen-Sagens immer näher rückte. Ich bekam einen Kloß im Hals. Irgendwie wollte ich mich nicht verabschieden. Es war lächerlich, aber irgendwie hatte dieser Abend etwas so magisches gehabt – es war, als habe mir Harry London hierher gebracht. Ich hatte mich in Frankfurt zwar bereits eingelebt, dennoch vermisste ich die Spaziergänge mit meiner besten Freundin an der Themse, die Abende im New London Café mit meinen Klassenkameradinnen und das schlechte Wetter. Deutschland hatte auch nicht gerade das beste Wetter zu bieten, dennoch war es hier sonniger und weniger bewölkt, als in meinem Heimatort.

Ich musste schmunzeln bei dem Gedanken, wie sehr ich mich gefreut hatte aus London wegzukommen, eben weil ich weiter weg von diesem Styles-Typen wollte. Und nun saß ich in einem schwarzen Van mit ihm und wollte einfach nicht mehr gehen. Konnte er mich nicht einfach mit nach Hannover nehmen? Ich würde das Konzert über auch gerne wieder seine schrecklich-kitschige Musik ertragen. Hauptsache war nur, dass ich bei ihm bleiben durfte.

Was dachte ich da denn eigentlich? Was war in mich gefahren? Ich tat ja gerade so, als habe ich mich in den Schwarm meiner kleinen Schwester verliebt. Ich benahm mich, wie sie. Das konnte alles nur ein seltsam verworrener Traum sein!

„Maddy?"

Man riss mich unsanft aus meinen Gedanken. Mit verwirrten Blick sah ich in Harrys ruhige Augen. Ein zartes Lächeln umspielte seinen Mund. „Alles okay?"

Ich nickte erzwungen.

Der Promi sah herab auf seine Hände. Nervös drehte er Däumchen. Er war bestimmt schon aufgeregt wegen seiner nächsten Show. Was für einen Grund sollte er ansonsten haben nervös zu sein?

„Es hat mich echt gefreut deine Bekanntschaft zu machen, Madilyn."

Irgendwie setzte bei mir etwas aus, wenn dieser Kerl mit mir sprach. So war das doch gestern noch nicht gewesen. Was war seither passiert? Was war jetzt anders? Ich verstand die Welt nicht mehr!

Ich versuchte meine Angespanntheit abzuschütteln. „Das geht mir auch so, Harry." Mir entwich ein leises Lachen. Das war so absurd. „Ich werde auf ewig leugnen, das jemals gesagt zu haben.", ergänzte ich daher und er stieg mit in mein Lachen ein.

„Nein, wirklich." Er wurde wieder ernst. „Ich hatte schon lange nicht mehr so viel Spaß."

Ich spürte, wie meine Wangen zu glühen begannen. Wenn ich mich jetzt nicht langsam mal zusammenriss, dann könnte man genauso gut meinen, dass ich Darsteller in einer romantischen Seifenoper war. Ich erkannte mich selbst nicht wieder.

Ehrlich grinste ich den Popstar an. „Geht mir genauso."

Das Auto kam zum Stehen und ich hatte das Gefühl, dass mein Körper mit einem Mal ganz schwer wurde. Meine Muskeln wurden schlapp. Alles in und an mir begann zu streiken. Ich wollte nicht gehen. Das konnte es noch nicht gewesen sein. Konnte die Erde nicht kurz mal aufhören sich so schnell zu drehen?

Harry schien selbst nicht so genau zu wissen, wohin mit sich. Er schwieg eine ganze Weile und brauchte sogar ein ungeduldiges Räuspern des Fahrers, ehe er den Mund aufmachte. „Maddy, ich... ich würde mich wirklich freuen, wenn wir uns wiedersehen."

Ungeübt fummelte ich an meiner Hosentasche herum und holte mein Handy hervor. „V-vielleicht kannst du ja-"

„Auf keinen Fall." Franklyn riss neben mir die Tür auf. „Du kriegst seine Nummer nicht. Unter keinen Umständen."

Ertappt senkte ich den Blick gen Boden. Natürlich. Was hatte ich auch gedacht? Ich konnte nicht erwarten, dass ich einfach so die Nummer eines Superstars bekam. Das war viel zu riskant. Er kannte mich schließlich nicht.

„Weißt du, was wir machen?" Harry sah mich aus seinen unschuldigen Augen heraus an. Ich wollte nicht länger glauben, dass er das war, für das ich ihn immer gehalten hatte. Vielleicht hatte Clarissa ja die ganze Zeit Recht behalten. Vielleicht war Harry wirklich einer von den Guten. Vielleicht war sein Kameragesicht keine Fassade. Vielleicht war er echt.

„Was machen wir?", fragte ich kleinlaut nach.

„Du gibst mir deine Nummer."

Mein Kopf zuckte wieder nach oben. Mein Blick suchte seinen. „Und dann?"

„Kann ich dich von unterwegs aus irgendwelchen Hotels und Telefonzellen anrufen."

Diese Vorstellung gefiel mir viel mehr, als sie es hätte dürfen. Überschwänglich nickte ich und las ihm meine Nummer vor. Ich ignorierte die amüsante Tatsache, dass er ein Hintergrundbild von Louis und sich selbst hatte, auf dem sie alberne Grimassen zogen. Ob er es genoss nun alleine Musik zu machen? Ich schwor mir ihn das bei seinem ersten Anruf zu fragen.

Harry Styles steckte sein Handy zurück in die Hosentasche. „Soll ich dir deine Schwester noch an die Haustür tragen?"

Ich lachte auf. „Nein, auf keinen Fall. Du ziehst nur wieder Aufmerksamkeit auf dich. Die paar Meter schaffe ich auch alleine."

Zum Abschied schenkte er mir eine Umarmung, mit welcher ich nicht gerechnet hatte. Ich atmete seinen Duft tief ein. Ungewollt verliebte ich mich in sein Aftershave.

Mit Clarissa auf dem Rücken lief ich zum Eingang des Hochhauses, in welchem wir lebten. Die Sonne war gerade dabei aufzugehen, als ich mich noch einmal umdrehte und den schwarzen Van hinter dem nächsten Reihenhaus verschwinden sah.

Und so schnell, wie Harry Styles mein Leben mit nur einer Begegnung auf den Kopf gestellt hatte, so schnell war er auch wieder daraus verschwunden.

Zumindest hatte ich das geglaubt.

Hate you. Miss you. Love you. | HSWo Geschichten leben. Entdecke jetzt