Prolog

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Ein kalter, eisiger Wind fegte über den schneebedeckten Wald, als ein lautes, klagendes Jaulen ertönte. Der unbarmherzige Sturm trug das Trauergeheul weit durch den Wald und unzählige andere Katzen stimmten mit ein, bis sich eine traurige, schmerzerfüllte Melodie immer wieder herauskristallisierte. Die trauernden Katzen standen, den Kopf zum Mond erhoben und die Schultern und Schwänze vor Trauer gesenkt, auf einem großen Felsen in der Mitte einer Lichtung. Sie jaulten ihren Kummer in die tiefe Nacht und fast schien es, als erwarteten sie eine Antwort von den Sternen, die hell und klar am Himmel glänzten. Kalt und schweigsam strahlten sie am wolkenlosen, tiefschwarzen Himmel mit dem fast vollen Mond um die Wette.

Das Geheul erklang in allen Facetten und Stimmlagen. Junge und alte Katzen, sangen ihren Schmerz, ohne auf den Wind, der an ihren Pelzen zog und zerrte, zu achten. Sie spürten die Kälte der Blattleere nicht, einzig die kalte Hand der Trauer umfasste ihre Herzen. Das Katzengeheul erfüllte den ganzen Wald, man konnte kaum glauben, dass Katzen zu einem solchen Geheul fähig waren. Der Sturm trug es in alle Richtungen und alle Tiere des Waldes verstummten, als sie es vernahmen. Eine schwarze Eule erstarrte mitten in der Jagd auf eine Maus und ein magerer Hase schreckte aus seinen Träumen hoch und verkroch sich zitternd noch tiefer in seinen Bau.

Eine kleine und gedrungene Kätzin mit hellgrauem Pelz, der im Mondlicht schimmerte, hatte sich allerdings nicht dem Geheul angeschlossen. Sie hockte vor dem Eingang einer Höhle auf einer großen Lichtung nicht weit entfernt und starrte kummervoll hinauf in den Nachthimmel. Nur zu gern hätte sie sich den Klagen ihrer Clankameraden angeschlossen, aber die hellgraue Katze hatte anderes zu tun. Sie musste sich um die kranken Katzen kümmern, die in der Höhle hinter ihr unruhig schliefen und sich im Fiebertraum hin und herwarfen. Keine von ihnen schwebte in Lebensgefahr, aber das konnte sich innerhalb weniger Atemzüge ändern, also musste sie bei ihnen bleiben und durfte ihren Clangefährten nicht Gesellschaft leisten, die den Tod des Alphakaters betrauerten. Der Kätzin wurde schwer ums Herz, als sie an die Nacht zuvor dachte, wie der Anführer ständig im Schlaf gezuckt hatte und mit seinem Husten alle anderen vom Schlafen abgehalten hatte. Sie selbst war die ganze Nacht wach geblieben, hatte ihm Kräuter verabreicht und Wasser eingeflößt, aber es hatte nichts geholfen. Die Heilerin schüttelte traurig den Kopf, als sie daran dachte, wie viel der Anführer seinem Clan noch hätte geben können. Doch alle seine drei verbliebenen Leben, welche er noch nicht im Kampf für seinen Clan verloren hatte, hatte der grüne Husten genommen und jetzt wandelte Ginsterstern mit dem SternenClan.

Die Heilerin spitzte noch einmal die Ohren und hörte jetzt das Jaulen ihrer Alphakätzin Tulpenstern heraus, das am Lautesten und Kummervollsten durch den Wind zu hören war. Die Graue seufzte tief, der verstorbene Alpha war ihr Gefährte gewesen, mit dem sie viele Monde schon zusammen ihren Clan geführt hatte.

Erneut stieß die Kätzin einen Seufzer aus und wollte gerade umdrehen und in ihre Höhle zu den Kranken zurückkehren, als das Heulen urplötzlich verebbte. Nur noch ein Nachklang von Tulpensterns letztem Jaulen hing noch in der Luft. Der Wald und die Lichtung waren mit einem Mal totenstill. Nicht einmal die normalen Waldgeräusche waren noch zu hören, weder das Rascheln der Blätter im Wind, noch die Atemzüge der schlafenden Katzen hinter der grauen Kätzin. Diese blinzelte überrascht und erkannte dann den Schatten einer Katze mitten auf der Lichtung. Die Heilerin blickte sich überrascht um, aber der Schatten schien niemandem zu gehören. Sie wandte ihren Blick hinauf zum Silberflies und zum Mond, der näher schien als zuvor. Er strahlte hell und beleuchtete die Lichtung, sodass alles in tanzendes Licht und die dazugehörigen Schatten getaucht war. Nur der Fleck mitten auf der Lichtung schien nicht dazuzugehören. Die Heilerin trat vorsichtig einen Schritt näher und erstarrte, als der Schatten sich regte. Plötzlich öffneten sich zwei leuchtende, dunkelgelbe Augen und der Schatten sprach: „Tautropfen“

 „Ginsterstern?“, die Augen der Heilerin weiteten sich überrascht und erfreut, als sie die Stimme erkannte und wollte schon begeistert auf ihren ehemaligen Anführer zuspringen, aber dieser deutete ihr mit einem Kopfnicken, auf ihrem Platz zu verweilen.

„Der SternenClan hat eine Botschaft für dich, Tautropfen“, erklärte er ihr leise. Tautropfen wartete, bis Ginsterstern knurrte: „Sieh dich um, Tautropfen. Siehst du Schatten und Licht spielen? Erst wenn sich die mondhellen Krallen von Schatten und Licht rot färben, wird Friede einkehren.“

Tautropfen überlief ein eisiger Schauer, als sie das helle Licht des Mondes in den Augen blendete und plötzlich von überall her Blut auf die Lichtung zu fließen schien. Das Blut floss näher und wurde immer mehr, bis Tautropfen erschrocken zurücktaumelte, als das Blut über ihre Pfoten schwappte. Der Krieger des SternenClans verschmolz wieder mit den Schatten, und Tautropfen blieb wie erstarrt zurück. Sie konnte nur hilflos mitansehen, wie das Blut immer mehr wurde, der Wind durch ihren Pelz fuhr und zu einem donnernden Brausen anhob, das sich wie finstere Krallen um ihren schlanken Körper schmiegte.

Zwischen dem Brausen des Windes hörte die Heilerin das Knurren und Jaulen unzähliger verstorbener Krieger des SternenClans, die allesamt die Prophezeiung wiederholten und echoten, bis sie zu langgezogenen Klagerufen wurden, die denen ihres Clans so ähnlich waren.

Das Blut und der Schnee verschmolzen zu einem einzigen See, in dem sich die Umrisse zweier Katzen spiegelten, die am Ufer des Blutsees spielten und miteinander rauften. Dann verblasste das Bild wieder und Bewegung kam in den See aus Blut. Tautropfen erschauerte, als der Wind zunahm und das Blut in ihre Richtung floss, geradewegs auf sie zu.

„Blut“, flüsterte Ginstersterns Stimme neben ihr und das einzelne Wort wurde aufgegriffen und unzählige Male weitergetragen und wiederholt.

„Viel Blut wird vergossen werden, unnötiges und reines Blut“, knurrte Ginsterstern erneut und zustimmendes Jaulen hob an. Die Welt um die graue Heilerin drehte sich und das Blut vermischte sich mit dem Geruch vieler Katzen. Sie hörte den Wind rauschen und die Krieger des SternenClans heulen, dann fielen ihre eigenen Clankameraden ein und die Melodie wurde klagender, herzzerreißender.

Tautropfen schloss die Augen, und als sie sie wieder öffnete, klangen ihr Waldgeräusche wieder in den Ohren und sie konnte  die kranken Katzen hinter sich atmen hören. Das Geheul, das sie hörte, war wieder das ihrer Kameraden und Tulpensterns hohes Jaulen ließ sich wieder klar vernehmen. Doch Tautropfen schauderte und zitterte, als sie an die finstere Prophezeiung dachte. Wie konnten sich die Krallen von Schatten und Licht rot färben? Blutrot? Aber überall gab es Schatten und Licht.  Sie waren immer bei ihnen und die Sonne und der Mond entschieden, wo das eine und wo das andere weilte. Wie konnten Schatten oder Licht kämpfen?

Unzählige Fragen schwirrten in Tautropfens Brust, als sie kehrt machte und in ihrer Höhle verschwand, um nach den kranken Katzen zu sehen. Dabei ging ihr immer wieder Ginstersterns Prophezeiung durch den Kopf: „Erst wenn sich die mondhellen Krallen von Schatten und Licht rot färben, wird Friede einkehren.“


Warrior Cats | Pfad des Sternenlichts - VerratWo Geschichten leben. Entdecke jetzt