Ich würde für eine lange Zeit nicht mehr normal laufen können. Möglicherweise für immer. Das war zumindest was mir mein behandelnder Arzt versicherte, als er mich am Morgen entließ. Als Abschiedsgeschenk bekam ich eine Krücke. Ich hatte zwei volle Tage auf der Krankenstation verbracht. In dieser Zeit wurde so viel kaputter Muskel synthetisch wieder aufgebaut wie nur möglich, doch zurück blieb eine unförmige Einbuchtung an meinem Unterschenkel, welche von vernarbtem Gewebe überzogen war.
Eine Sturmtruppe holte mich von der Krankenstation ab. Anscheinend war ich nicht mehr gefährlich genug für eine zwei-Mann Überwachung. Und um ehrlich zu sein fühlte ich mich auch nicht mehr gefährlich genug. Die vergangenen beiden Tage war ich alleine. Keine nächtlichen Besuche von Kylo Ren oder sonst jemandem. Sogar die stündlichen Check-Ups wurden von Medi-Droiden durchgeführt, welche nicht unbedingt die besten Gesprächspartner waren.
Ich konzentrierte mich nicht auf den Weg, den mich die Sturmtruppe entlangführte, weswegen ich erst beim Öffnen der Tür bemerkte, in einem anderen Teil des Schiffes angelangt zu sein. Statt dem fensterlosen kleinen Raum mit einem Bett in seiner Mitte, blickte ich direkt in die Weiten des Alls. Ein riesiges Fenster ersetzte die Wand gegenüber der Tür, in der ich stehen geblieben war. Der Rest des Raumes war erneut nur spärlich eingerichtet und doch wirkte alles größer und edler. Es fühlte sich beinahe so an, als wäre ich unfreiwillig in einem System befördert worden, dem ich gar nicht zugehörig war.
Es vergingen Stunden, in denen ich vor dem riesigen Fenster saß und meditierte. Zwischendurch wurde mir Essen gebracht, das ich jedoch nicht anfasste. Mein Hunger hielt sich in Grenzen, genau so wie mein Wille noch länger hier zu bleiben. Nach den Geschehnissen der letzten Tage war klar, dass ich keinen Nutzen mehr für die Erste Ordnung darstellte und da ich weder tot war noch zurück auf meinem Heimatplaneten musste es einen anderen Grunde geben, weshalb ich noch immer hier war.
Das Zischen der Tür durchbrach plötzlich die Stille, doch ich zuckte nicht einmal mit einer Wimper. Kylo stürmte in den Raum und erfüllte ihn mit spürbarer Frustration und Ärger. Für einen kurzen Herzschlag kehrte die Stille zurück und ich war kurz davor sie selbst zu lösen.
"Hör auf damit", zischte er schließlich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Ich unterdrückte ein leises Lächeln. Seine Stimme triefte voller Wut und ich konnte spüren, dass ich ihn im Griff hatte. Eine Zeit lang dachte ich, dass mein Psychoterror nicht bei ihm ankommen würde, doch er war zu stark mit der Macht, als dass er es nicht mitbekommen könnte. Dabei gab ich mir nicht einmal große Mühe. Anfangs verbildlichte ich so oft wie möglich die letzten Stunden auf Zeoul V, bis ich irgendwann zu Erlebnissen aus meiner Kindheit und Erinnerungen an meine Eltern wechselte. Interessanterweise schien ihn Letzteres schließlich aus der Fassung gebracht zu haben.
"Was denkst du damit zu erreichen?" Kylos Stimme wirkte hörbar ruhiger, doch es war klar, dass er Mühe hatte sich zu beherrschen.
"Ich weiß nicht", seufzte ich völlig gelassen. "Möglicherweise genau das." Ich drehte meinen Kopf zu ihm und war im ersten Moment ehrlich erschrocken über den Anblick. Seine schwarzen Locken standen in alle Richtungen, tiefe dunkle Gruben taten sich unter seinen Augen auf, die durchzogen von roten Adern waren. Ich versuchte das schlechte Gewissen zu unterdrücken, doch es fiel mir schwer.
Mein plötzlicher Sinneswandel musste ihm aufgefallen sein. Seine angespannte Haltung lockerte sich und durch die weißen Knöchel seiner Fäuste floss wieder Blut. "Warum bin ich noch hier?", fragte ich, meinen Blick auf den Boden gesenkt.
"Weil ich es so angeordnet habe."
"Aber warum?", rief ich lauter als geplant. "Warum! Ich bin nicht mehr nur viel zu unerfahren für alles was du von mir verlangst, sondern jetzt auch noch ein nutzloser Krüppel!" Ich konnte keine Emotionen in Kylos Augen erkennen, was mich nur noch frustrierter machte. So sollte das eigentlich nicht laufen, aber die Situation glitt mir aus den Händen und ich sah keinen anderen Ausweg als meiner Wut Luft zu machen.
"Ich habe dir schon einmal gesagt, dass du dich nicht so schlecht machen sollst", sagte Kylo, als er sich mir langsam näherte. Ich lachte verbittert über seinen absolut bizarren Versuch freundlich zu sein. Wie konnte man nur so sehr von dunkler Macht verzehrt sein?
"Was denkst du was du hier tust? Mich zu einer deiner Diener machen? Zu einer Attentäterin? Einer Sith?", gab ich spöttisch zurück und wandte mich dann wieder dem Fenster zu. Ich war nicht bereit dazu, ihm weiterhin meine Aufmerksamkeit zu geben, wenn er doch sowieso wieder nichts zu sagen hatte. Für mich war das Gespräch damit eigentlich beendet, doch Kylo schien das anders zu sehen.
"Nein", antwortete er während er sich neben mich auf den Boden setzte. Danach wurde es erst einmal still. Ich konzentrierte mich auf meinen Atem und starrte aus dem Fenster um mich zu beruhigen. Es war verrückt zu wissen, dass ich mich auf einem Sternenzerstörer inmitten des Weltalls befand. Und noch viel verrückter, dass Kylo Ren neben mir saß. Und ich noch am Leben war.
"Was hält dich davon ab mich zurück nach Hause zu bringen", murmelte ich eher vor mich hin als zu fragen. Meine Erwartungen auf eine Antwort waren gering, dafür hatte ich diese Frage schon viel zu oft gestellt.
"Ich bin mir nicht sicher", sagte Kylo zu meiner Überraschung. "Ich weiß nicht, was es ist. Was dich so besonders macht, ich kann es nicht sagen, aber es ist etwas wichtiges."
Man merkte ihm an, dass er mehr sagen wollte, aber es ihm offenbar sehr schwer fiel. Selbst diese paar Worte schienen ihn Überwindung gekostet zu haben. In der Hoffnung, mehr auf ihn eingehen zu können, wandte ich ihm meinen Blick zu bevor ich redete. "Wenn ich doch so wichtig für dich bin, weshalb lässt du mich nicht nach Hause gehen?"
Kylo musterte mich mit ausdruckslosen Blick ohne dabei seinen Kopf zu wenden. Seine Augen wirkten, als ob sie etwas suchten und ich konnte nicht anders als mir einzugestehen, dass ich keine Angst mehr vor ihm hatte. So wie er jetzt neben mir saß, wirkte er beinahe etwas verloren. Der Kontrast seiner mächtigen Statur und dem Schwarz des Universums mit all seinen glitzernden Sternen, war beinahe absurd. Ich hatte gesehen, wie er auf dem Schlachtfeld war, wie er war, wenn er einen Auftrag hatte. Wie er war, wenn er Kylo Ren war. Doch jetzt war da jemand anderes. Jemanden, den ich noch nicht kannte.
"Hast du niemals den Wunsch, nach Hause zu gehen?"
"Ich bin nirgendwo zu Hause", sagte er kopfschüttelnd.
"Ich kann dir meine Heimat zeigen."
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Lost Soul [Kylo X OC]
FanfictionKann man lernen zu lieben? Für Jil ist Kylo Ren nichts anderes als eine verlorene Seele in den Weiten der dunklen Seite der Macht. Bis er sie vor Aufgaben stellt, die sie selbst an den Rand der Dunkelheit bringt. Für sie ist klar, dass er niemals...