Kapitel 36

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Schweigend saßen wir im Auto. Es war seltsam. Ich war noch nie bei Gericht gewesen und es war auch eigentlich nie meine Absicht gewesen. Aber gut, wie man doch so schön sagt: 'Es kommt, wie es kommt'. Und das nahm ich mir zu Herzen.
Ich saß hinten und betrachtete eingehend Papas Gesicht. Offenbar dachte er über etwas nach denn seine Augen verengten sich zu schlitzen und er kräuselte seine Unterlippe.
"Über was denkst du nach?", fragte ich.
"Was?", Papa schreckte hoch und sah zu mir nach hinten.
Ich grinste. "Ich habe gefragt, worüber du nachdenkst."
Papa grinste zurück. "Es ist etwas unspektakulär.", verwundert sah ich ihn an. "Ich habe ans Hotelbett gedacht, und wie gerne ich jetzt da drinnen liegen würde und nicht auf dem Weg zum Gericht sein."
Ich lachte laut los und auch Samu grinste. Dann hielten wir vor einem großen Gebäude.
Langsam machte sich Panik in mir breit. Ich wollte nicht zu Larissa. Ich wollte bei Papa bleiben und bei keinem anderen. Ich stieg aus, und atmete aus. Jetzt durfte ich nicht unprofessionell erscheinen. Nicht das es großartig etwas zur Sache täte, wie ich erscheine, aber trotzdem: Besser einen guten als einen schlechten Eindruck hinterlassen.
Als Papa ausstieg, streifte er sich das Hemd glatt, und streckte seine Hand aus. Ich ergriff sie und spürte sofort wie eine gewisse positive Energie mich durchströmte. Ich lächelte Papa zuversichtlich an und er lächelte zurück. Dann kam Onkel Samu, und ich ergriff auch seine Hand.
Zusammen betraten wir das Gerichtsgebäude.

Im Gebäude selber war es kühl. Es roch nach frisch geputzten Fliesen und Putzmittel.
Ich sah mich um. Besonders spannend war es nicht eingerichtet, und generell, einen Preis für Innenausstattung würde hier keiner Gewinnen. Ein Mann, der mir nur allzu bekannt war, kam uns entgegen.
"Hi, Andreas!", rief ich. Unser Anwalt hatte schon seine schwarze Robe an, und kam uns lächelnd entgegen.
"Ihr müsst ein wenig leiser sein. Es läuft schon ein Prozess."
Ich nickte und Papa winkte Andreas zur Seite. Onkel Samu und ich liefen zu einem großen Fenster.
"Very beautiful!", witzelte er als wir aus dem Fenster auf eine Wand mit vielen nicht nur schönen Graffitis blickten. Ich grinste und fühlte mich trotz der angespannten Lage etwas entspannter. Plötzlich berührte mich jemand an der Schulter. Ich wirbelte herum und sah Larissa.
"Hallo Laila.", sagte sie.
Ich klammerte mich fast schon verzweifelt an Onkel Samus Arm und versteckte mich. Schützend legte er seinen Arm um mich und funkelte Larissa durch seine blauen Augen an. Ich versuchte mich so weit in Onkel Samus Armen zu verstecken, dass ich einfach nicht mehr da wäre.
Diese Frau machte mir Angst. Ich hatte Angst vor meiner Mutter.
"Go away.", sagte Onkel Samu ruhig, aber bestimmt. Aus dem Augenwinkel sah ich, wie Larissa etwas zusammen sackte, sich dann aber auf dem Absatz ihrer viel zu hohen Schuhe umdrehte, und davon stakste. Onkel Samu kniete sich neben mich, und war nun etwas kleiner als ich.
"Alles ok?", fragte er und ich wusste sofort, er meinte das nicht einfach nur so, sondern genauso wie er es sagte.
"Ich glaube schon... danke.", sagte ich und versuchte ein Lächeln zustande zu bringen was mir vermutlich nicht ganz so gut gelang.
Zehn Minuten später, saßen Onkel Samu und ich nebeneinander auf blauen Stühlen in der Nähe von Papa. Ich würde viel lieber neben Papa sitzen, aber er musste als "Angeklagter" alleine neben Andreas sitzen.
Ich fand das unfair. Trotz, dass Larissa mit entführt hatte, und ihr Komplize mich wohlgemerkt fast erschossen hatte, wurde der Prozess aufgenommen und durchgeführt.
Ich seufzte und lies mich an Onkel Samus Schulter fallen. Ich war traurig und hatte Angst. Wenn dieser Prozess schon unter so unfairen Umständen aufgenommen worden war, wer sagte dann, dass Larissa die Richter nicht bestochen hatte, um diesen Prozess zu gewinnen?
"It's going to be alright.", sagte Onkel Samu als hätte er meine Gedanken gelesen. Ich nickte, obwohl ich nicht wirklich beruhigt war.
Als die Richter herein kamen, standen wir alle auf. Nervös wippte ich mit dem Fuß. Ich wusste, dass ich erst etwas sagen dürfte, wenn der Richter mich ansprach. Aber das würde mir sehr schwer fallen.
"Also, Frau Egel, Sie haben Herr Santos auf sein Sorgerecht für Ihre Tochter Laila Santos angeklagt. Richtig?", Larissa nickte. "Was war dafür Ihr Anlass?"
Jetzt war ich ja mal gespannt.
"Ich habe schon seit einiger Zeit die Vermutung, dass Herr Santos meine Tochter Laila missbraucht. Sie zu Dingen zwingt, die sie gar nicht tun will. Außerdem möchte ich endlich ein Teil von Lailas Leben sein. Ich habe nicht mitbekommen, wie sie ihren ersten Schritt gemacht hat, wie sie ihr erstes Wort gesagt hat und all solche Dinge eben."
Woran das wohl liegen mag?, dachte ich und wollte Larissa anschreien, was ihr einfiele, solche willkürlichen Vermutungen zu verkünden, aber Onkel Samu legte seine Hand auf mein Knie und sah mich eindringlich an. Ich nickte und er ließ mich los.
"Herr Santos, wollen Sie oder Ihr Verteidiger dazu etwas sagen?", fragte der Richter. Erwartungsvoll sah ich Papa an.
Dieser erhob sich und fing an: "Also erstens, finde ich die ersten Gründe von Frau Egel etwas an den Haaren herbei gezogen. Es besteht kein Grund zur Annahme, dass ich meiner Tochter etwas getan habe, oder sie auch nur zu irgendetwas gezwungen hätte. Den zweiten Grund kann ich nachvollziehen. Aber sie ist selber schuld. Noch bevor Laila geboren war, stand fest, dass ich nach der Geburt das volle Sorgerecht für sie übernehme. Diese Entscheidung haben Frau Egel und ich im Angesicht unser beider Eltern getroffen. Frau Egel war zurechnungsfähig und hat diese Entscheidung mit ihrem Wort bestätigt. Daher finde ich es zwar in Ordnung, dass sie gerne Zeit mit Laila verbringen möchte, aber das würde ich nur erlauben, wenn Laila das wollte. Aber ich kann nicht für sie sprechen, daher würde ich ihr jetzt gerne das Wort überlassen."
Papa sah mich erwartungsvoll an. Doch ich war noch zu perplex, um irgendeinen sinnvollen Satz zu bilden. So professionell hatte ich Papa noch nie reden hören.
Erst als Samu mich anstupste konnte ich etwas sagen. Ich klappte den Mund auf, doch dann fiel mir ein, dass ich erst reden durfte, wenn der Richter es mir erlaubte. Erwartungsvoll sah ich diesen also an, und er nickte mir aufmunternd zu.
Ich erhob mich also und fing an zu reden: "Aus meiner Sicht ist die Sache so: Vielleicht hätte ich Zeit mit Frau Egel verbringen wollen, wenn sie nicht einfach am Set von 'The Voice of Germany' aufgetaucht wäre. Dort hat sie mich einfach umarmt, ohne mich vorher zu fragen. Dann hat sie einfach meinen Vater beleidigt, obwohl sie überhaupt keinen Grund dazu gehabt hätte. Als sie dann wenige Tage später auch noch in mein erstes Interview rein geplatzt war, war für mich klar: Zu dieser Frau würde ich nie und nimmer wollen. Dass sie mich entführt hat, lasse ich jetzt mal außen vor, aber auch so: Im Prinzip, dadurch dass sie Papa unterstellt, dass er mich zu irgendetwas zwingen würde, unterstellt sie mir ja, dass ich nicht kompetent genug bin, um mir meine eigene Meinung bilden zu können!"
Ich merkte, wie ich langsam aber sicher aufbrauste. Um einen völligen Ausraster zu vermeiden, machte ich eine kurze Pause und redete dann weiter:
"Ich habe meinen Vater furchtbar doll lieb und würde nie wo anders leben wollen. Das Frau Egel gerne einen Teil in meinem Leben hätte, kann ich in gewisser Weise nachvollziehen, aber das hätte sie sich vorher überlegen müssen. Bevor sie mich abtreiben lassen wollte.", beendete ich meinen epischen Monolog.
"Einspruch!", erklang die Stimme Larissas von der anderen Seite des Raumes.
"Einspruch abgelehnt!", sagte der Richter und sah wieder zu mir: "Also Fräulein Santos, Sie wollen nichts mit Ihrer leiblichen Mutter zu tun haben. Habe ich das im Grunde richtig verstanden?"
Ich nickte.
"Gut, dann hören wir uns an, was Frau Egel dazu zu sagen hat. Bitte.", er winkte in Larissas Richtung und sie erhob sich.
"Hören Sie nicht selber, wie gezwungen und auswendig gelernt das klingt? Ich bin der festen Überzeugung, dass meine Tochter von Herr Santos dazu gezwungen wurde!"
Jetzt reichte es aber! Wie konnte sie es wagen, mir zu unterstellen ich würde das auswendig gelernt haben?! Ich sprang auf und rief: "Einspruch!"
Gleichzeitig rief Papa das gleiche. Verwundert sah uns der Richter an.
"Bitte Fräulein Santos, was sagen sie dazu?"
"Ich finde es unerhört das mir unterstellt wird, ich hatte das auswendig gelernt! Ich habe mir größte Mühe gegeben, es professionell auszuführen. Außerdem finde ich es total unfair! Ich bin wegen Frau Egel fast gestorben, lag über zwanzig Stunden im Koma, und jetzt kommt die, und will Papa unterstellen, er hätte mir diesen Hass auf sie aufgezwungen! Zu deiner Information, Frau Egel: Ich hasse dich! Ich will und werde nichts mit dir am Hut haben!", schrie ich, und rannte so schnell mich meine Füße trugen aus dem Gerichtssaal in den Flur und von dort auf die Straße in Richtung des Parks an dem wir vorbei gefahren waren.

SEINE Tochter (Nico Santos)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt