KAPITEL 5 - CHANGELESS

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Ich nehme einen kräftigen Schluck meines Morgenkaffes und beobachte Chase. Wie ein fröhliches Kind schlürft er an dem dünnen Strohhalm seines Trinkpäckchens. Ich lache kurz auf und schüttle meinen Kopf als ich den schielenden Apfel erkenne, der sich auf dem Getränk befindet. Die Tatsache das ein so großer muskulöser Mann mit beiden Händen umschlungen an seinen Apfelsaft saugt, zaubert auch Jin ein Lächeln ins Gesicht. Es ist erstaunlich wie schnell sich eine Freundschaft zwischen uns dreien aufgebaut hat. Seit dem Tage, an dem sie mich in den Duschen angesprochen hatten, waren sie eine riesige Stütze für mich. Sie setzten sich bei jeder Mahlzeit zu mir, egal wie erschöpft, verzweifelt oder grimmig ich war. Dem ersten Experiment von Frau Doktor Fortress folgten viele weitere Untersuchungen: Zwei Wochen lang EKGs, MRTs, Belastungsforschungen anhand von sportlichen Aktivitäten und vieles mehr raubten mir meinen Schlaf, doch die beiden Jungs halfen mir da durch. Jin hatte immer ein offenes Ohr und Chase spornte mich an, sodass ich niemals das Gesicht vor Frau Doktor Fortress verlor.

Überraschenderweise gewährt mir die Leiterin des Forschungszentrums eine Pause von unbestimmter Zeit, die mittlerweile aber schon eine ganze Woche anhielt. Um ehrlich zu sein benötigte ich diese Ruhephase dringend. Mein Stecker ist gezogen, die Luft ist raus und all meine Energie aufgesogen. Manchmal scherzen Jin, Chase und ich darüber mit actionreichenden Szenen aus Fortress auszubrechen, obwohl wir ganz genau wissen, dass wir niemals eine Chance haben würden.

Zumindest bringt mir diese Freundschaft wieder etwas Glück in meinem Leben. Seit dem Tod meiner Mutter kann ich endlich wieder ehrliche Freude empfinden, ohne das Gefühl zu haben, diese nicht zu verdienen.

„Chase, wenn du noch einmal an deinem scheiß leeren Trinkpäckchen schlürfst, stecke ich es dir sonst wo hin!", schimpft Jin plötzlich den nun geschockten Muskelprotz an. Dieser entfernt den Knickstrohhalm, richtet ihn auf Jin und pustet kraftvoll hindurch, sodass Reste von Apfelsaft und Spucke auf das Gesicht des Tätowierten landen.

„Du bist sowas von tot!", brüllt Jin, während er sich aufrichtet und seinem Kumpel feste gegen die Schulter boxt. Mit qualvollen Schmerzen und geröteten Handknöcheln zieht Jin sein Faust zurück und jammert: „Ich hab kurz vergessen, dass deine Haut gefühlt aus Stahl besteht."

Chase lacht, wendet sich zu mir und blickt mich fragend an: „Sag mal Payne, hast du Frau Doktor Fortress jetzt schon eigentlich die Frage zu deinem Vater gestellt?"

Ich verdrehe meine Augen, nicke und hebe gleichzeitig meine Schultern an.

„Auf die Frage, wo mein Vater ist, meinte sie nur, dass er ganz in der Nähe sei. Ich bin seitdem total paranoid, schaue mir jede Person hier haargenau an und versuche irgendwelche Gemeinsamkeiten zu entdecken."

„Vielleicht bist du ja mit Herr Doktor Fortress verwandt? Hast du schon kahle Stellen am Kopf?", kichert Jin kleinlaut mit dem Wissen, dass ich diesen Scherz überhaupt nicht komisch finde.

Tatsächlich stelle ich mir sämtliche Szenarien mit Wächtern, Forschern und sogar manchen der Insassen vor. Es scheint als würde ich überall aber auch nirgendwo meinen Vater sehen. Ich muss mehr erfahren, doch bisher ließ mich Frau Doktor Fortress keine weiteren Fragen stellen.

„Sag mal Payne", fängt Chase ganz vorsichtig an zu fragen: „Du hast uns ja vom Tod deiner Mutter erzählt. Was ist eigentlich danach geschehen? Wie kamst du nach Fortress?"

Ich kratze meine Schläfe, überlege wo ich anfangen soll und beginne:

„Als ich den Brief in meinen Händen hielt und ihre Worte las zog sich mein Hals zu. Umgeben vom Blut meiner eigenen Mutter saß ich heulend auf dem Boden. Ich weiß nicht mehr wie lang, aber es fühlte sich wie eine Ewigkeit an. Irgendwie überkam mich das Gefühl, sie würde gleich lachend durch die Tür stürmen und mich fest in ihre Arme nehmen. Ich schaute zu ihren leblosen Körper und bemerkte, wie schlecht ich diese Situation eigentlich realisieren konnte. Mit starrem Blick zu ihr fragte ich mich, wieso sie bloß sterben musste, wer der Täter wäre und weshalb sie schrieb, dass ich in Gefahr sei? Mein Leben verkomplizierte sich innerhalb weniger Sekunden. Plötzlich sollte ich untertauchen, mein Dasein in dieser Stadt beenden und an irgendeinem fremden Ort komplett von vorne beginnen. Ich verstand die Welt nicht mehr. Sollte ich die Polizei rufen oder auf die Worte in diesem unbefriedigenden Brief hören? Das alles überforderte mich maßlos, doch aus irgendeinem Grund sagte mir mein Bauchgefühl, dass die Polizei nicht die richtige Lösung sei. Meine Mutter hätte nicht ohne Grund geschrieben, dass ich Herrn Gusto aufsuchen sollte, sobald ich Hilfe benötigen würde. Ich verstand aber nicht wieso grade er? Rückblickend erinnerte ich mich, dass meine Mutter mich öfter in seinem italienischen Café Ti Salverò unterbrachte, wenn sie mal länger arbeiten musste. Manchmal war sie sogar tagelang fort und so ließ er mich bei sich schlafen. Er war nie mehr als ein Babysitter für mich. Das ergab alles keinen Sinn. War wirklich der Chef eines Cafés der auf mich aufpasste der einzige Freund meiner Mutter gewesen? Oder steckte doch mehr dahinter?

B L A C K / D E M O NWo Geschichten leben. Entdecke jetzt