KAPITEL 6 - POISON PROCESS

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Durch mehrere Tore, Türen, Flure und Treppenhäuser hindurch schlendern wir, über Frau Doktor Fortress und ihre anstrengende Art tratschend, zur ärztlichen Forschungs- sowie Behandlungsetage. In weniger als einer Stunde beginnt Jins Untersuchung. Was genau dort geschehen soll verheimlicht er mir jedoch mit einem verschmitzten Grinsen.

Irgendwie macht es mich glücklich und fast schon stolz, dass er mich in solch einem intimen Moment dabeihaben möchte. Manchmal habe ich das Gefühl, dass Chase und Jin nur aus Mitleid mit mir befreundet sind. Aber wieso dann ausgerechnet ich? Hier in Fortress leben genug Menschen die weitaus größeren Schmerz in ihren Gesichtern tragen als ich. Zudem kann ich Jin mittlerweile so gut einschätzen, um zu wissen, dass er anderen Menschen mit purem Misstrauen begegnet. Er lässt kaum jemanden an sich oder seinem muskulösen Kumpel heran. Sein Beschützerinstinkt hätte mich niemals aufgenommen, wenn er mir gegenüber kein gutes Gefühl gehabt hätte. Oder?

„Hey Payne", reißt mich der Tätowierte mit sehr genervtem Tonfall aus meinen Gedanken. „Wir sind da!"

Wir stehen vor einer großen rotglänzenden Eisentür, hinter der sich der Ort verbirgt, wo ich vor einigen Wochen aus dem Koma erwacht bin. Diese Eisentüren fungieren auf jeder Etage als einziger Ein- und Ausgang. Öffnen kann man sie nur durch das gleichzeitige Nutzen eines Chips, sowie das Scannen der Iris. Nur Wächter, Forscher und Ärzte erhalten dieses Privileg. Dementsprechend greift der uniformierte Mann hinter uns nach dem Schlüsselbund, der mit einem Karabinerhaken, an einer kleinen Schlaufe seiner Hose befestigt ist. Er drängelt sich an Jin und mir vorbei, während er zwischen all den Schlüsseln einen Chip hervorkramt. Der Wärter schaut mir an, dreht seinen Kopf einmal bis zum Anschlag nach links und ein weiteres mal nach rechts bis die Gelenke und Wirbel in seinem Nacken beide male laut knacken. Es gefällt ihm, dass er uns überlegen ist.

Er stellt sich breitbeinig vor, den in Augenhöhe, angebrachten Scanner, der sich links von der Tür befindet. Als er den Chip sowie sein Gesicht nah an das Gerät hält signalisiert ein kurzes Piepen die Autorisierung.

Das große Tor schiebt sich mechanisch auf, sodass wir in eine Art Wartezimmer treten können. Mehrere rote Stühle stehen aufgereiht an den kahlweißen Wänden und ein einziger runder Tisch füllt die Mitte des Raumes. Auf ihm liegt trostlos eine leicht zerknitterte Zeitschrift, die schon mindestens fünf Jahre alt ist und wohl schon durch einige Hände gewandert zu sein scheint. Eine aktuelle wird man wohl kaum irgendwo an diesem Ort finden, schließlich soll niemand an irgendwelchen Informationen über das heutige Weltgeschehen gelangen. Sie könnten es ja sonst vermissen oder anfangen Fragen zu stellen was außerhalb der Mauern so geschieht.

Mit einem „Nehmt dort Platz und haltet die Klappe bis euch jemand ruft", werden wir weiter in den Raum gedrängt. Der Wächter zeigt auf zwei der vorhandenen Stühlen, bleibt selbst jedoch mit verschränkten Armen vor uns stehen und passt auf das wir keinen Unsinn machen. Die einkehrende Stille löst eine gewisse Nervosität in mir aus, und das obwohl ich gar nicht derjenige bin der heute untersucht werden soll. Ich schaue rüber zu Jin, der ziemlich entspannt wirkt, seinen Kopf gegen die Wand hinter sich lehnt und die Augen schließt.

Seine Gelassenheit weckt Bewunderung und etwas Neid in mir.

„Warst du schonmal beim Arzt?", flüstert Jin, während er Augen weiterhin geschlossen hält.

Eigentlich muss die Frage ganz einfach zu beantworten sein, aber plötzlich wird mir klar, dass ich mir gar nicht so sicher bin. Natürlich bin ich während meiner Kindheit schon des Öfteren untersucht worden. Mittlerweile glaube ich jedoch, dass die Ärztin, die immer zu uns nach Hause kam, zu einen der alten Kontakte meiner Mutter gehört haben könnte. Ein normaler Arzt hätte doch meine Abnormalität erkannt und mich höchstwahrscheinlich, bei der Polizei oder anderen Behörden, gemeldet, oder? Seitdem ich weiß, dass meine Mutter einer Organisation angehörte, die sich im Kampf gegen Fortress befunden hat, sehe ich mein Leben plötzlich mit anderen Augen. Manchmal, wenn ich nachts in meiner unpersönlich leeren Zelle liege, frage ich mich, ob überhaupt etwas echt war. Die Schule? Die Kinder? Meine Freunde?

B L A C K / D E M O NWo Geschichten leben. Entdecke jetzt