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Die Nacht verlief schrecklich. Alle halbe Stunde habe ich mich übergeben, bis nichts mehr da war, was ich hätte geben können. Kurz dachte ich, ich müsste die Fahrt nach Hamburg absagen.
Und trotz der Anstrengungen, die die letzte Nacht mitgebracht hat, sitze ich nun in meinem Honda, Mia auf der Rückbank und Berlin liegt schon einige hundert Kilometer hinter uns.

Die Strecke von Berlin nach Hamburg ist nun wirklich kein Katzensprung. Wenn alles gut läuft, ist man in drei Stunden da oben. Doch meistens läuft es nicht gut. So wie heute.
Mia und ich fahren von einem Stau in den anderen. Die Fenster kann man kaum offen lassen, nicht nur wegen der Hitze. Der Geruch des Ländlichen lässt meinen Magen Achterbahn fahren. Bisher konnte ich die Übelkeit erfolgreich mittels verschiedener Atemübungen bekämpfen, doch der Augenblick der Wahrheit wird kommen.

Mia spielt eine Runde Ich sehe was, was du nicht siehst nach der anderen und ich versuche mir nicht anmerken zu lassen, dass ich jedes Mal genau weiß, was sie gesehen hat. Es ist eines unserer Lieblingsspiele auf langen Fahrten. Nur heute quält es mich. Zwischen den Runden sinniert meine Tochter darüber, wie toll das Wochenende mit John werden wird. Sie fragt sich natürlich, ob Marten mit Chopper vorbei kommen wird. Sie möchte natürlich unbedingt mit Skittlez spielen und ausschließlich John darf sie an diesem Wochenende ins Bett bringen. Ganz normal.

Als wir einen besonders langen Stau hinter uns gebracht haben, geht die Fahrt schneller voran.
Johns Haus liegt in Tinsdal. Es liegt genau gegenüber der Elbe, die nächsten Nachbarn sind zu beiden Seiten etwa zweihundert Meter entfernt. Und ja, ich weiß das so genau, weil ich seine Adresse mehrfach gegoogelt habe. Natürlich nur, um mir einen Überblick zu verschaffen. Ich bin Mutter, ich muss wissen, wohin die Reise geht.

"Mia, Süße wach auf. Wir sind da." Ich ruckle leicht an der Schulter meiner Tochter, warte, bis sie die Augen aufschlägt. Gerade will ich sie abschnallen, da reißt Mia sie auf.

"Papa soll mich abschnallen", verkündet meine Tochter verschlafen. Es ist bereits früher Nachmittag, die Fahrt hat extrem lange gedauert, mir ist noch immer hundeelend und ich habe gewiss keine Kraft für eine Diskussion.

"Mia, das ist albern. John wartet auf uns. Komm jetzt bitte." Ich trete einen Schritt zurück, lasse sie sich selbst abschnallen, was sie schließlich macht und aussteigt.
Beladen mit unseren Taschen und einer gehörigen Portion Mut gehe ich vor zur Haustür. Wir kommen nur wenige Schritte vorwärts, da geht die Tür auf und John kommt heraus.

"Da seid ihr ja!", ruft er grinsend und kommt uns entgegen. "Ihr habt verdammt lange gebraucht."
Mia bleibt wie angewurzelt stehen. Auch ich stoppe sofort in meiner Bewegung, suche den Blick meiner Kleinen. "Hey Prinzessin!" John geht in die Hocke, eine Geste, mit der er Mia von Anfang an begegnet ist. Geduldig wartet er, was seine Tochter nun machen wird. Ihr Blick trifft meinen, tausend Fragen scheinen durch ihren winzigen Kopf zu schwirren. Doch jetzt gerade brennt in ihr das Verlangen, sich ihrem Papa in die Arme zu werfen. Ich sehe es in ihren Augen. Um sie und John gleichermaßen zu erlösen, nicke ich.

"Ist schon gut, Spatz. Geh und sag deinem Papa hallo", sage ich und trete einen Schritt beiseite.
Kaum habe ich zuende gesprochen, läuft Mia los, erst langsam, dann immer schneller. John breitet die Arme aus, empfängt Mia und wirbelt sie einmal durch die Luft.

Ich gönne beiden diesen Moment, stelle die Taschen ab und warte. John drückt Mia fest an sich, lehnt sein Kinn auf ihre Schulter und schaut mich unverwandt an. "Danke", sagt er lautlos, während ich ihm lächelnd zunicke.

"Kommt rein, ich zeige euch alles." John schiebt sich Mia auf die linke Hüfte, offenbar braucht meine Tochter heute nicht mehr selbst zu laufen. Er nimmt mir eine der Taschen ab, geht dann voran in sein Haus. Zielstrebig geht John in die obere Etage und auf ein Zimmer links der mittig liegenden Treppe zu. Hier oben kenne ich mich kaum aus. Ich weiß, dass auf der anderen Seite des Flurs Johns Schlafzimmer ist, direkt daneben sein riesiges Bad, doch wohin die zwei anderen Türen führen, kann ich beim besten Willen nicht sagen.

Fuck - Hab schon tausendmal verkacktWo Geschichten leben. Entdecke jetzt