Kapitel 7

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Plötzlich umgriffen zwei starke Hände meine Taille und schoben mich gezielt in eine Richtung. Dann erblickte meine Augen Licht.

Hoffnung keimte in mir auf.

Mit einem Mal war mein Kopf über Wasser und ich konnte frische Luft einatmen. Meine Lungen pumpten sich mit Sauerstoff voll. Ich wollte schreien, weil es so weh tat, doch selbst dazu war ich nicht mehr fähig. Mein Körper komplett steif vor Kälte und vollkommen entkräftet.

Der Griff um meine Hüfte war jedoch weiterhin kräftig. Ich bemerkte, wie man mich zu einer Leiter schob, die von der Ufermauer herabhing.

"Amy, los! Du musst da hoch!", hörte ich eine vertraute Stimme.

Seine Stimme erfüllte meinen Geist mit Wärme, doch leider nicht meinen Körper.

Ich konnte nicht. Mein Körper hatte keine Kraft mehr.

Dann sah ich über mir ein Gesicht und die Hände eines älteren Mannes, die sich in meine Richtung schoben. Er griff erstaunlich kraftvoll nach mir und zog mich hoch, sodass ich wieder im Trockenen war.

Erschöpft ließ ich mich auf den matschigen Boden fallen. Ich zitterte unkontrolliert und war froh immerhin meine Atmung unter Kontrolle zu haben.

Dann sah ich wie Timo in ähnliche schlechter Verfassung aus dem Wasser gehievt wurde. Da er sicherlich 20 bis 30 kg mehr wog als ich, hatte man bei ihm deutlich mehr Schwierigkeiten ihn rauszuziehen. Mittlerweile waren noch mehr Menschen dazu gekommen, um uns zu helfen.

Schließlich landete auch er im Matsch. Er rang sichtlich gequält nach Sauerstoff.

Timo und ich tauschten Blicke aus. Ich konnte lediglich ein "Danke" mit meinen Lippen formen, ohne dass jedoch ein Ton herauskam.

Es schmerzte so sehr, ihn so zu sehen. Offensichtlich hatte er noch Schuhe und Jacke ausziehen können, ehe er mir ins Wasser gefolgt war.

Er hatte mein Leben gerettet.

Die Menschen um uns herum wurden aufgeregt. Man begann mir meine nassen Kleidungsstücke auszuziehen, sodass ich schließlich nur noch in Unterwäsche auf einer Parkbank saß. Mit Timo tat man das gleiche. Man wickelte uns in Decken, doch die Kälte blieb.

"Der Krankenwagen müsste gleich da sein", versuchte mich eine Frau zu beruhigen und rieb mir energisch über die Schulter, um ein bisschen Wärme zu erzeugen.

"Kleine, der Junge hat dir dein Leben gerettet", sagte ein anderer.

Wieder sah ich zu Timo, dessen Blick mich fixiert hatte. Ich konnte ihn nicht genau deuten.

Dann rückte er näher an mich heran. Schließlich schloss er mich mit seiner Decke ein, sodass wir dicht an dicht saßen. Ich hatte nicht einmal die Chance mich dagegen zu wehren. Ich wollte es auch nicht und genoss es ihm so nah zu sein.

Ich legte meinen Kopf auf seiner Schulter ab.

Er gab mir einen Kuss auf die Wange. Die Lippen waren eiskalt.

"Ich hatte solche Angst um dich", hauchte er sichtlich geschwächt.

Sein Kuss katapultierte mich direkt in ein Paradies, in dem ich die Kälte um mich herum für einen Augenblick vergaß. Auf einmal war mir ganz warm.

Ich sah zu ihm auf. Sein nasses Haar klebte an seinem Kopf und die Lippen waren ganz blau. Trotzdem wirkte auch er in gewisser Weise zufrieden. Dieser Wangenkuss war nicht einfach nur ein freundschaftlicher Kuss gewesen. Das konnte ich deutlich spüren.

"Danke, dass du mich gerettet hast!"

Er sah noch immer besorgt aus.

"Ich hätte es mir nicht verzeihen können, wenn ich zu spät gekommen wäre. Es war verdammt knapp, Amy."

Ja, dass es verdammt knapp gewesen war, konnte ich mehr als bestätigen. Innerlich hatte ich mit meinem Leben schon abgeschlossen.

"Woher wusstest du, dass ich da bin?"

Er zuckte mit den Schultern.

"Wusste ich nicht. Aber ich hatte so einen innerlichen Drang an unseren Ort zu gehen. Ich habe von Weitem gesehen, wie du ausgerutscht bist." Eine Träne kullerte über seine leichenblasse Haut. "Ich bin hinterher gesprungen, aber ich habe dich nicht sofort gefunden. Ich dachte, ich hätte dich verloren."

Der Schmerz in seinen Augen ließ mich innerlich zerbrechen. Es zeigte, wie viel ich ihm wirklich bedeutete und plötzlich war ich mir gar nicht mehr sicher, ob der Pfeil bei ihm wirklich keine Wirkung gezeigt hatte.

Ich drückte mich fest an seinen Körper, der ein Tick wärmer zu sein schien als mein eigener.

Dann hörten wir Sirenen und die Krankenwagen hielten ein paar Meter weiter. Jeder von uns bekam sein eigenes Sanitäterpärchen und selbst einen Notarzt hatte man mitgeschickt. Als ich mich umsah, erblickte ich sogar ein Feuerwehrfahrzeug.

Man trennte uns und brachte uns in die beheizten Krankenwagen. Dort ermittelte man meine Vitalwerte, die so besorgniserregend waren, sodass man sich entschied, dass eine warme Wolldecke keine ausreichende Behandlungsmethode war.

Man legte mir einen Zugang und gab meinen Körper eine Infusion. Zwar erklärte man mir, was man mit meinem Körper machte, doch ich konnte ihnen nicht folgen. Meine Gedanken schweiften stets zu Timo ab. 

AmoraWo Geschichten leben. Entdecke jetzt