Kapitel 30

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"Was meinst du denn damit? Er ist verschwunden? Wie kommst du darauf?", fragte meine Mutter sichtlich besorgt.

"Er ist einfach weg", sagte ich hektisch. "Und ich glaube, ich weiß auch, wer dahinter steckt. Mama, bitte sag mir, wie ich Jupiter kontaktieren kann. Du hast das doch in letzter Zeit öfter gemacht."

Timo war in Gefahr und je länger er verschwunden war, desto größer war die Wahrscheinlichkeit, dass man ihm etwas Schreckliches angetan hatte.

"Schatz, so einfach ist das nicht. Jupiter kann man wirklich nur in äußersten Notfällen hinzuziehen. Dass Timo verschwunden ist, ist zwar tragisch, aber vielleicht ist er auch bei einem Freund und taucht bald wieder auf. Und selbst wenn ihm etwas zugestoßen ist: Jupiter ist ein Gott. Er interessiert sich nicht für Menschen."

Ich schüttelte vehement den Kopf.

"Nein, das stimmt nicht! Er interessiert sich für mich! Und deshalb weiß ich, dass er sich auch für Timo interessieren wird. Bitte Mama! Sag es mir!"

Jupiter war mein Vater. Auch wenn er gesagt hatte, dass er für mich kein Vater sein könnte, so wusste ich trotzdem, dass ich ihm etwas bedeute. Und Jupiter konnte mir noch am ehesten helfen. Denn er war immerhin einer größten Götter, die die römische Mythologie hatte. Er hatte viel Macht und genau die brauchte ich jetzt!

"Schatz, wir haben schon so viel Unruhe erzeugt. Ich will nicht noch mehr Ärger machen. Über dieses Kind in deinem Bauch redet wahrscheinlich eh schon jeder. Wir brauchen nicht noch mehr Aufmerksamkeit. Wir hatte bis jetzt sehr viel Glück, dass das alles so geduldet wurde. Je mehr Trubel wir jetzt machen, desto größer ist das Risiko, dass man dich doch sanktioniert."

Es redete eh schon jeder darüber? Es hatte sich also bereits herumgesprochen, dass ich als Amora ein Kind mit einem Menschen erwartete? Nun hatte ich keinen Zweifel mehr daran, dass Venus hinter Timos verschwinden steckte. Sie hatte damals auch Emil verschwinden lassen und nun tat sie das gleiche. Doch so schnell gab ich nicht auf! Ich würde um Timo kämpfen, denn ich wusste, dass er das gleiche auch für mich tun würde.

"JUPITER!", begann ich nun laut in unserem Flur herumzuschreien. "JUPITER!"

"SCHHH, Amy! Was tust du denn?", versuchte mich meine Mutter zu unterbrechen.

"Wenn du mir nicht helfen willst, dann muss ich eben selber herausfinden, wie ich Jupiter herholen kann", gab ich mich trotzig. "JUPITER!"

Mama hielt mir mit verschreckten Blick die Hand vor den Mund.

"Hör auf!", meckerte sie. "Sonst hören das noch die Nachbarn."
"Ist mir egal", erwiderte ich nuschelnd, da ihre Handfläche noch immer auf meinen Lippen lag. "JUPITER!"

Sie presste die Hand fester auf meine Lippen.

"Du hast mich gerufen?", ertönte plötzlich eine männliche Stimme.

Überrascht drehte ich mich um und starrte ich ihn an. Ich hatte nicht gedacht, dass man ihn wirklich so einfach heraufbeschwören konnte.

Umso besser, dass er jetzt da war!

"Ich brauch deine Hilfe", sprudelte es aus mir heraus. In dem Moment hatte Mama mich jedoch schon am Ellenbogen gepackt und nach hinten gezogen.

"Es tut mir leid", sagte sie ehrfürchtig und schirmte mich mit ihrem Körper ab. "Das ist ein Missverständnis. Wir wollen nicht noch mehr Probleme machen", entschuldigte sie sich, als würde sie mit einem König sprechen.

Jupiter sah mich skeptisch an. Trotzdem lag eine gewisse Sanftmut in seinem Blick und ich fragte mich, ob er sie noch so liebte, wie damals.

"Das stimmt nicht", mischte ich mich ein. "Ich brauche deine Hilfe! Timo ist verschwunden und ich denke, dass Venus ihn hat."

Mama lachte peinlich berührt.

"Kind, wie kommst du denn auf so etwas? Warum sollte Venus Interesse an Timo haben?"

Jupiter sah mich derweil ernst an. Ich wusste, dass er mir jedes Wort glaubte.

"Verdammt", fluchte er leise vor sich hin. "Ich kläre das!"

"Ich will mitkommen!", ließ ich ihn sofort wissen.

"Amy, du gehst nirgendwo hin. Was ist denn hier überhaupt los? Was hat Venus mit Timo zu tun?"

Mama wusste nicht, dass Venus jegliche Liebe bei Amora unterdrücken wollte und so verstand sie auch nicht, warum ausgerechnet Venus Timo entführt haben sollte.

"Bitte, nimm mich mit!", flehte ich und ignorierte Mamas Fragen.

Er schüttelte den Kopf und nicht alles andere als kompromissbereit aus.

"Das ist zu gefährlich, aber ich werde tun, was ich kann! Das verspreche ich dir!"

Und ehe ich widersprechen konnte, löste er sich vor meinen Augen wieder in Luft auf. Mama sah mich entsetzt an.

Ich ließ meine Schultern enttäuscht sinken. Ich wollte aktiv nach Timo suchen und nicht hier zurückgelassen werden. Ich fühlte mich so nutzlos. Vielleicht durchlitt Timo gerade höllische Schmerzen und ich stand hier tatenlos herum.

"Was zur Hölle ist hier los?", mahnte sie mich. "Sprich!"

Ich konnte es ihr nicht sagen. Das musste Jupiter schon selber tun.

"Ich muss nach Timo suchen", war das einzige, das ich sagte und stürmte dann draußen.

Abrupt blieb ich jedoch stehen, als ich sah, wer gerade mit seinem Hund an unserem Gartenzaun vorbei spazierte.

Das war das bildschöne Mädchen, das Anfang des Jahres neu an die Schule gekommen war. Sie war das Mädchen, das eigentlich vom Pfeil getroffen werden sollte.

Wie hatte ich sie vergessen können? Seit dem Tag, als der Pfeil mich getroffen hatte, hatte ich sie nie wieder gesehen und nicht einen Gedanken an sie verschwendet.
Sie wäre eigentlich Timos große Liebe gewesen.

Das Mädchen lächelte mich schüchtern an und sah dabei aus wie ein Elfe. In eleganten Bewegungen glitt sie über den Bürgersteig. Nicht einmal der zerzauste Hund, der wild an der Leine zog und bellte, konnte ihrer Anmut schaden.

Ich fragte mich, ob ich ihr die wahre Liebe genommen hatte und ob sie je wieder Liebe finden würde. Ich begann mich zu fragen, warum ich überhaupt zwischen Timo und ihr etwas gespürt hatte, obwohl Timo und ich doch für einander gemacht waren.

Dann schüttelte ich kurz meinen Kopf, um wieder bei klaren Verstand zu sein. Ich könnte mir darüber den Kopf zerbrechen, sobald ich Timo gefunden hatte. 

AmoraWo Geschichten leben. Entdecke jetzt