Kapitel 21

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Ich öffnete meine Augen und musste feststellen, dass Timo sein Versprochen gebrochen hatte.
Ich war allein. Das klinische Licht tat mir in meinen Augen weh. Ich vernahm ein leises Surren und einen sterilen Geruch. Ich sah an mir herab und entdeckte Verbände und Pflaster. In meiner Armbeuge war ein Zugang gelegt worden.

Erstaunlicherweise wusste ich sofort, wo ich war und was geschehen war.

Der Unfall!

War es überhaupt ein Unfall gewesen?

Oder hatte man es nur so aussehen lassen?

Sofort fragte ich mich, ob Timo von nun an nur noch eine Erinnerung war? Er hätte doch niemals sein Versprechen gebrochen. Wenn er gekonnt hätte, dann hätte er jede Sekunde an meinem Krankenbett verbracht. Dessen war ich mir sicher.

Panik breitete sich in mir aus. Ich brauchte sofort Antworten.

Dann schwang die Tür auf, doch es war nicht Timo, der hineinkam. Ein uniformierte Polizist betrat den Raum. Er war groß gebaut und hatte bereits graue Schläfen.
"Frau Hille, es freut mich, dass sie wach sind", begrüßte er mich. "Wie geht es Ihnen?"

"Timo", kam es heiser aus meinem Hals. "Wo ist er?"

Ich war froh an seinem Gesicht ablesen zu können, dass er mit diesem Namen etwas anfangen konnte. Timo war also nicht einfach verschwunden.

"Er ist ein bisschen angeschlagen, aber nichts Dramatisches. Da hat es Sie deutlich schlimmer getroffen."

"Er ist hier?", fragte ich überwältigt von Erleichterung.

"Ja, ich kann ihn gerne hereinholen und dann komme ich danach noch einmal wieder. Ich hätte nämlich ein paar Fragen an Sie. Aber dafür brauche ich Sie eh bei klaren Verstand. Erholen Sie sich am besten erst einmal und dann komme ich in einer Stunde noch einmal."

Er war hier. Timo war tatsächlich hier.
"Bitte holen sie ihn her! Bitte!"

"Ich bin schon da", ertönte plötzlich seine Stimme und er trat hinter dem Polizisten hervor.
Meine Augen füllten sich mit Tränen. Timo stand auf zwei Beinen vor mir und das war mehr, als ich mir erhofft hatte, als ich im Krankenwagen bewusstlos geworden war.

Um sein Kopf war ein Verband gewickelt worden und auch seine rechte Hand war bandagiert. Das linke Auge war stark angeschwollen und dunkelblau unterlaufen, doch abgesehen davon sah er fit aus.

Ich lächelte ihn an, doch er tat sich schwer dieses zu erwidern.

Humpelnd kam er auf mein Bett zu, setzte sich auf die Bettkante und nahm meine Hand. Der Polizist war indessen diskret genug und zog sich aus dem Zimmer zurück.

"Ich bin so froh, dass du noch lebst. Ich hatte solche Angst dich zu verlieren!"

Er gab mir einen Kuss auf die Stirn. Eine bessere Medizin hätte es nicht geben können.

"Die Ärzte sagen, es sei ein Wunder", informierte mich. "Sie meinten, sie hätten so etwas noch nie zuvor gesehen. Deine Zellen haben sich viel schneller als gewöhnlich regeneriert. Als sie am Unfallort eintrafen, haben sie dir eigentlich kaum Überlebenschance gegeben." Eine Träne tropfte von seinem Kinn. "Ich dachte, ich muss zusehen, wie du stirbst."

Seine Stimme wurde brüchig und er konnte nur mit Mühe noch weitere Tränen zurückhalten.

"Wie geht es dir denn? Hast du dich sehr verletzt?", erkundigte ich mich.

Um meinen eigenen Körper machte ich mir keine Sorgen.

"Nein. Nichts Schlimmes. Ein paar Cuts und ein paar Prellungen, aber mehr auch nicht. Ich fühle mich so schuldig. Ich habe das Lenkrad herumgerissen und wir sind gegen den Baum geschleudert. Mit der Beifahrerseite zuerst. Wegen mir wurdest du viel härter getroffen als ich."

"Hey", unterbrach ich ihn sofort sanft und streichelte seinen Handrücken. "Du hast getan, was du konntest. Ich weiß doch, dass du mich niemals absichtlich verletzen würdest. Es war ein Unfall."

"Aber ich hätte verhindern können, dass du fast gestorben wärst."

"Ich bin nicht gestorben. Und somit wird alles gut. Mach dir keinen Kopf!" Ich versuchte mich nun in eine sitzende Position zu bringen. "Warum ist überhaupt die Polizei hier? Wegen des Unfalls?"

Timo schüttelte den Kopf.

"Nein, wegen unseres Verschwindens. Wir sind aufgeflogen und unsere Eltern sind schon auf dem Weg. Mich haben sie auch schon befragt. Eigentlich sind die Polizisten sogar ganz nett. Aber unsere Flucht hat jetzt natürlich ein Ende."

Ich schluckte schwer.

Was würde jetzt kommen?

Es war aus und vorbei.

Ich griff nach Timos Hand. Ich hatte solche Angst ihn zu verlieren.

"Sie werden im ersten Moment sicher sauer sein", sagte Timo. "Aber mit der Zeit wird Gras drüber wachsen." Er sah mich intensiv an. "Nicht wahr?"

Ich sah auf meine Hände, die offensichtlich von Glassplittern verletzt worden waren.

"Amy? Ich weiß nicht einmal, wie ich es meinen Eltern erklären soll, weil ich nicht einmal weiß, wovor ich geflohen bin. Also sag mir wenigstens, dass früher oder später alles gut werden wird?"

Seine Stimme brach vor Verzweiflung und Anspannung.

"Es wird alles gut werden", zange ich mir eine Lüge über die Lippen.

Es hatte keinen Sinn ihm noch mehr Angst zu machen, als er eh schon hatte. Ich konnte ihm nicht mehr als ein bisschen Zuversicht geben.

Doch in Wahrheit hatte ich keinerlei Hoffnung mehr.

Timo lächelte und strich mir über die Wange.

"Du glaubst nicht, wie sehr mich das freut zu hören."

Dann schwang die Tür auf. Ich erwartete den Polizisten wiederzusehen, doch leider stand dort kein Uniformierter, sondern meine Mutter, die aussah, als würde sie jeden Moment einen Heulkrampf bekommen. 

AmoraWo Geschichten leben. Entdecke jetzt