Kapitel 22

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"Mama!", kam es mir erschrocken und gleichzeitig voller Angst über die Lippen.

Ihre Haar waren noch zerzauster als sonst und irgendwie sah sie mager aus.

"Amy, was ist denn nur passiert?", brachte Mama mit Mühe hervor.

Ihre Augen waren glasig.

"Wir hatten einen Unfall", erklärte Timo, der die Worte deutlich schneller fand als ich. "Es tut mir furchtbar leid. Ich hätte auf Amy besser aufpassen sollen. Ich wollte nicht, dass das passiert."

Er trug keine Schuld und doch sah ich sie ihm im Gesicht an.

"Was ist mit dem Baby?", richtete Mama das Wort an mich und ignorierte Timo.

Dessen Blick schoss jedoch sofort zu mir.

"Baby?", stammelte er. "Was für ein Baby?"

Mein Herz schlug augenblick schwerer und trotzdem schneller. Es war, als würde ein Stein in meiner Brust pochen.

"Amy", sagte meine Mutter fordernd, ehe ich etwas sagen konnte. Timo ignorierte sie komplett. "Hast du den Ärzten gesagt, dass du schwanger bist? Viele Medikamente schaden dem Kind. Schatz, du musst jetzt gut auf dich aufpassen. Auf dich und auf das Kind."

Ich sah, wie Timo alle Gesichtszüge entglitten. Er verstand die Welt nicht mehr und mir selbst ging es nicht viel anders.
"Du bist schwanger?", flüsterte er heiser und schien jegliche Fassung zu verlieren. Für einen Moment presste er seine Lippen zusammen und ich wusste, dass das kein gutes Zeichen war. Was hatte ich auch erwartet? "Deshalb wolltest du mit mir fliehen. Weil dich irgendein Typ geschwängert hat? Ist das dein verdammter Ernst? Du lässt mich glauben, dass du mich liebst und du noch keinerlei sexuelle Erfahrung hast und dabei bist du von einem anderen schwanger? Willst du mich eigentlich verarschen?"

Pure Enttäuschung zeichnete sich auf seinem Gesicht ab. Aber auch eine große Portion Wut.

"Timo", unterbrach meine Mutter ihn. "Das ist alles ein bisschen anders. Lässt du Amy und mich bitte für einen Augenblick allein."

Ungläubig starrte er erst mich und dann meine Mutter.

"Liebendgerne!", feuerte plötzlich in meine Richtung. "Ich habe nichts, was mich hier noch hält. Ich bin mit die fertig, Amy. Echt schade! Ich dachte wirklich, dass wir beide etwas Besonderes wären. "

Timo funkelte mich böse an, als wäre ich nur Abschaum. Dann verließ er den Raum und knallte die Tür hinter sich.

Ich spürte, wie aus meinem Inneren ein Heulkrampf hochkam.

"Schatz, hast du den Ärzten gesagt, dass du schwanger bist?", wiederholte meine Mutter.

Das Thema hatte bei ihr offensichtlich oberste Priorität. Meine Prioritätenliste sah hingegen deutlich anders aus.

"Nein. Heute ist erst der zweite Tag nach meinem 18. Geburtstag! Kann man da überhaupt von Schwangerschaft reden? Wohl kaum! Die Ärzte hätten es vermutlich nicht einmal feststellen können. Und zweitens waren meine Verletzungen so schwerwiegend, sodass du froh sein kannst, dass ich noch lebe! Ich bezweifle, dass das Ding in mir auch nur eine Chance hatte."

Mama wurde blass, wahrte jedoch die Fassade.

"Amy, Amora sind so viel robuster als du denkst. Insbesondere als Fötus. Das ist bei uns so veranlagt, schließlich können wir nur ein Kind bekommen. Solange du lebst, lebt auch das Kind in dir. Trotzdem ist es wichtig, dass es nicht mit Giften aus Medikamenten geschadet wird. Das musst du unbedingt den Ärzten sagen."

Ich musste gar nichts.
Es war mir alles nur noch egal.

Alles, woran ich nur noch denken konnte, war Timo. Timo, der dachte, ich hätte ihn belogen und hintergangen. Aus seiner Sicht stand ich verdammt beschissen da. Er dachte wirklich, dass ich von einem anderen schwanger war und deshalb mit ihm hatte fliehen wollen. Er musste davon ausgehen, dass ich ihm Gefühle nur vorgespielt hatte.

In Anbetracht der Tatsache, dass ich ihm ständig gesagt hatte, dass er mir vertrauen könne, war das eine absolute Katastrophe. Wie sollten wir jemals wieder zueinanderfinden?

Mama legte nun ihre Hand auf meinen Oberarm und streichelte ihn sachte.

"Wir haben uns große Sorgen gemacht, Amy", sprach sie einfühlsam. "Wieso hast du denn nicht mir gesprochen?"

"Weil du Timo an den Rat verpfeifen wolltest! Ich wollte ihn beschützen."

"Süße, ich glaube, du verstehst da etwas falsch. Ich wollte mich an den Rat wenden, um euch zu helfen. Du weißt doch, dass ich Timo sehr gern habe. Ich würde doch auch nicht wollen, dass ihm etwas passiert."

Ich runzelte verwundert die Stirn.
"Aber der Rat wird uns dafür bestrafen! So wie sie es mit Emil getan haben!"

Nun war Mama es, die verwirrt drein schaute.

"Wer ist denn Emil?"

"Oma große Liebe", sprach ich die Wahrheit aus. "Ich habe ein Foto von ihm gefunden und Oma hat mir erzählt, dass sie ihn ihn verliebt war. Als der Rat davon erfahren hat, ist er verschwunden.Spurlos! Und das wird nun auch mit Timo geschehen!"
Vielleicht war der zutiefst enttäuschte Timo das letzte Bild, das ich von ihm haben würde.

"Was?", fragte Mama ungläubig.

"Ja, du hast schon richtig gehört. Auch Oma hat sich mal verliebt und ihre große Liebe hat man ihr genommen. Du warst noch ganz klein, als das geschah. Und das werden sie mit Timo jetzt auch tun."

Mama fiel die Kinnlade nach unten.

"Meine Mutter war verliebt?", fragte sie stotternd.

Für sie war das ein absolut unmögliches Szenario.
"JA!"

"Das wusste ich nicht", murmelte sie vor sich hin.

"Jetzt weißt du es und jetzt weißt du auch, was du Timo damit antust, wenn du ihn an den Rat verpfeifst."

Mama schüttelte nachdenklich den Kopf.

"Amy, ich weiß nicht, was damals mit Oma geschehen ist, aber deine Situation ist anders. Du hast dich versehentlich mit dem Pfeil getroffen. Ich habe den Rat bereits kontaktiert und ich möchte, dass du jemanden kennenlernst."

Ich wollte mit niemanden vom Rat etwas zu tun haben. Also schüttelte ich den Kopf.
Dann schloss ich die Augen und legte meine Finger auf die Schläfen. Ich hatte solche Kopfschmerzen.

"Amy, alles gut bei dir?"

Meine Mutter war nie wirklich um meinen körperlichen Zustand besorgt gewesen. Wenn ich als Kind hingefallen war, hatte sie weder gepustet noch ein Pflaster angeboten. Denn sie wusste, dass sich bei mir - als Amora - innerhalb von Minuten die Wunde selbst heilen konnte.

Doch das war ein verdammt schwerer Unfall gewesen und auch unsere Heilungskräfte ware nicht endlos.
"Kopfschmerzen. Das ist alles", beruhigte ich sie.

Sie seufzte.

"Dann versuch erst einmal zu schlafen. Ich komme heute Abend noch einmal wieder und dann stelle ich ihn dir vor."

"Wenn er Timo verschwinden lassen möchte, kann er mir gleich fernbleiben", motzte ich genervt.

"Er ist Mitglied des Rates und er möchte sich erst einmal deine Geschichte anhören. Ich denke, wenn du ihm klar machst, was wirklich geschehen ist, wird man eine bessere Lösung finden."
Eine bessere Lösung? Was sollte das sein?

Im Prinzip könnte es mir fast egal sein, was die Lösung überhaupt war. Timo würde wahrscheinlich sowieso nie wieder mit mir reden. Nicht, nachdem er sich von mir so betrogen fühlte. 

AmoraWo Geschichten leben. Entdecke jetzt