Kapitel 19

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Ich fühlte mich erwachsener und glücklich.

Ich hatte das Gefühl, dass Timo und ich endgültig zu einer Einheit zusammengewachsen waren. So, wie es der Liebesbann von Anfang an für uns vorgesehen hatte.

Wir saßen wieder im Auto, um zu verhindern, dass wir uns nicht zu lange an einem Ort aufhielten. Die Angst gefunden zu werden war größer denn je.

Fast genauso groß war die Angst vor dem, was nun zweifelsfrei in mir wuchs. Denn es war ein Tag nach meinem 18. Geburtstag und nun war klar, dass ich schwanger war.

All das versuchte ich zu verdrängen, indem ich an unser erstes Mal dachte.

Ich hätte es nie für möglich gehalten, doch tatsächlich war ich noch verliebter als zuvor.

Immer wieder beobachtete ich ihn unauffällig und dachte mit einem warmen Gefühl im Bauch daran, wie wir uns nahe gekommen waren. Diese Intimität machte süchtig.

Verträumt sah ich aus dem Fenster.

Wir fuhren mittlerweile Straßen entlang, die von schneebedeckten Bäumen gesäumt war. Es sah aus wie in einem verträumten Märchenland. Leider war das Leben kein Märchenland, in dem es immer ein Happy End gab.

Plötzlich schreckte Timo hoch und drehte das Radio lauter. Sein gesamter Körper war nun angespannt. Bis eben hatte ich noch in meiner Traumwelt festgehalten, doch nun war ich höchstkonzentriert.

"Die beiden Teenager werden bereits seit zwei Wochen vermisst. Sie sind vermutlich mit einem dunkelblauen VW Polo unterwegs. Das Autokennzeichen ist MOL- DRI 354. Sollte Ihnen dieses Kennzeichen auffallen, verständigen Sie bitte sofort die zuständigen Behörden. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass Timo L. und Amora H. einer Straftat zum Opfer gefallen sind. Sie gelten als sehr zuverlässig. Wir hoffen sehr, dass die Zwei schnell zu ihren Familien zurückkommen.Wenn Sie also irgendwelche Hinweise haben, zögern Sie nicht die genannte Telefonnummer zu wählen. Und nun weiter zum Wetter."

Timo und ich sahen uns panisch an.

"Die gehen von einer Straftat aus?", fragte ich entsetzt.

Meine Mutter müsste doch schlau genug sein, um sich denken zu können, dass ich abgehauen war. Und Timos Eltern bekamen regelmäßig Nachrichten von ihm. Wieso dachten sie, dass wir gegen unseren Willen verschwunden waren?

Timo war ganz blass geworden. Mir wurde derweil schlecht und ich fragte mich, ob das schon mit der Schwangerschaft zu tun hatte. Denn genau das war ich: Schwanger.

"Shit", fluchte er und schlug auf das Lenkrad.

"Die haben unser Kennzeichen öffentlich herausgegeben. Damit sind wir doch geliefert. Was machen wir denn jetzt?"

Ich zuckte die Schultern. Wir hatten verloren und das nicht erst am heutigen Tag, sondern schon vor Wochen. Wir hatten eh nie gewinnen können. Es war immer nur darum gegangen mehr Zeit zu haben.

"Wir fahren so lange, bis sie uns finden", informierte ich ihn nüchtern.

"Aber wir können das Auto doch auch irgendwo stehen lassen und uns anders fortbewegen."

Ich schüttelte den Kopf.

"Timo, wenn die unser Kennzeichen herausgeben, dann doch bestimmt auch Fotos von uns. Wir werden früher oder später geliefert sein. Wahrscheinlich eher früher."

Er presste die Lippen zusammen.

"Und dann?", fragte er. "Was passiert dann? Du hast mir nie gesagt, was geschieht, wenn man uns findet."

Ich wusste es selber nicht. Meine Vermutung war, dass zumindest Timo verschwinden würde. So, wie Oma es von ihrem Emil erzählt hatte.

"Wir werden uns nicht mehr sehen können", antwortete ich ihm.

Mit großen Augen sah er mich an.

"Was?"

"Ja, vermutlich wird man dafür sorgen, dass wir uns nie wiedersehen."
"Nein, das lasse ich nicht zu! Wer immer das auch versucht! Oder aus welchem Grund." Er nahm meine Hand und drückte sie fest. "Amy, wir gehören doch zusammen. Das weißt du auch! Ich weiß ganz genau, dass du so fühlst wie ich." Er schien nun den Tränen nahe. Noch nie zuvor hatte ich ihn so gehen. "Wir gehören zusammen. Und ganz ehrlich: Wie will man uns denn davon abhalten zusammen zu sein? Wir sind beide erwachsen. Uns kann doch keiner mehr etwas vorschreiben."
"So einfach ist es leider nicht", sagte ich traurig.

Nicht mehr in Timos Nähe zu sein, fühlte sich vermutlich sogar noch schlimmer an, als tot zu sein.

"Erkläre es mir, Amy! Was wollen die denn machen? Und vor allem warum?"

Ich seufzte.
"Ich habe es dir schon einmal versucht zu erklären, aber das ist nicht so einfach zu verstehen."

Er zog kritisch seine Augenbrauen zusammen.

"Fängst du jetzt wieder mit diesem Amor-Quatsch an?"

Zu gerne würde ich es auch als Quatsch abtun. Ich antwortete nicht auf seine Frage, denn ich wusste, dass uns das nicht weiterbringen würde.

Wir sahen beide auf die vereiste Straße. Ich spürte wie meine Herz schneller zu schlagen begann - bei dem Gedanken, dass Timo bald einfach verschwunden sein könnte. Ich würde ihn nie wieder sehen. Ich konnte nur hoffen, dass sie ihn vielleicht am Leben ließen und ihm woanders eine Chance gaben.

Doch auch dort würde er nicht glücklich werden, denn der Pfeil hatte uns beide getroffen. Wir waren emotional ein Leben lang aneinander gebunden. Wir konnten ohne einander nicht glücklich werden.

Was hatte ich ihm nur mit meinem blöden Fehler angerichtet?

"Du hast richtig Angst, oder?", fragte Timo in die Stille hinein.

Ich nickte.

Die Angst ihn zu verlieren überlagerte alles. Doch wenn ich das für eine Sekunde beiseite legte, war da auch noch eine große Portion Angst vor dem, was in meinem Bauch heranwuchs.

"Du weißt, ich würde dich mit allem, was ich habe beschützen. Das weißt du doch, oder?"

"Ich weiß", sagte ich und streichelte ihm über den Arm. "Aber leider kannst du mich nicht vor allen schlimmen Dingen dieser Welt beschützen."

"Ich kann es zumindest versuchen", gab er sich kämpferisch und ich wusste, dass er es ernst meinte. Doch diesen Kampf konnte leider weder er noch sonst irgendjemand gewinnen.

"TIMO!", kreischte ich plötzlich instinktiv, als ich sah, was da vor uns auf der Straße stand.

Doch es war schon zu spät.

AmoraWo Geschichten leben. Entdecke jetzt