KAPITEL 4

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Wince

»Oh shit«, entfuhr es Wince erschrocken. In aller Freude über das Wiedersehen hatten sie überhaupt nicht daran gedacht, dass ihre Umarmungen Spekulationen auslösen könnten. Zögernd schaute er rüber zu Alvaro, der noch immer bestürzt auf Flos Handy starrte.
Er wusste ja, wie Alvaro zur Öffentlichkeit stand, und im Prinzip fühlte Wincent nicht anders. Es ging niemanden etwas an, wen er liebte, seine Musik sollte im Vordergrund stehen. Schließlich hatte er sich nicht einmal öffentlich geoutet. Unwillkürlich dachte Wince wieder an Mark und Paddy, die so lange damit gewartet hatten, ihre Beziehung öffentlich zu machen. Er hatte gelesen, dass Paddy sein Outing gerade ein wenig um die Ohren flog. Homophobe Idioten hatten seinen Tourbus beschmiert, und Parolen auf den Rasen beim Konzert im Stadtpark in Hamburg gesprüht, und Wince bewunderte die beiden sehr dafür, wie sie damit umgingen. Paddy hatte erst gestern eine Pressekonferenz gegeben und deutlich gemacht, dass er sich dem Druck dieser Idioten nicht beugen würde. Wince wusste nicht, ob Alvaro das ebenfalls mitbekommen hatte, aber da sie alle noch in Kontakt standen und in ihrer WhatsApp-Gruppe schrieben, war ihm das sicher nicht verborgen geblieben.

»Was machen wir jetzt?«, fragte Wince vorsichtig, als Alvaro immer noch schwieg, obwohl Flo das Handy längst wieder an sich genommen hatte. Doch zu seiner Überraschung reagierte Alvaro doch cooler als er gedacht hatte.
»Naja, willst du jetzt jeden Artikel kommentieren, der über uns geschrieben wird?«, meinte er. »Dann hätten wir echt viel zu tun. Ey… da stehen wir doch drüber, oder? «,
»Sicher?«, fragte Wince zögerlich.
»Klar war ich jetzt gerade kurz schockiert«, gab Alvaro zu. »Aber, hey… sowas kennen wir doch. Die reimen sich ihre Artikel aus allen möglichen Fotos zusammen. Wenn du cool damit bist… reagieren wir einfach überhaupt nicht darauf.«
»Klar bin ich cool damit«, nickte Wince erleichtert. »Müssen wir wohl doch echt n bisschen besser aufpassen.«
»Ich bin da ganz bei Alvaro«, meinte Flo. »Da kannst du aufpassen wie du willst, die finden doch immer etwas zu schreiben.«
»Eben«, nickte Alvaro. Er legte eine Hand auf Winces und lächelte sanft. »Und selbst, wenn das jetzt weitergeht… lass sie reden. Alles ist gut, okay?«
Wince nickte, erleichtert, dass Alvaro das alles doch so locker sah. Aber er hatte ja auch nur Recht. Sie kannten die Klatschblätter am besten und Wince war es beinahe ein wenig peinlich, dass er so schockiert auf den Artikel reagiert hatte.

Alvaro begleitete sie tatsächlich zum nächsten Konzert, doch diesmal bereiteten sie sich während der Fahrt etwas besser auf den gemeinsamen Auftritt vor. Wincent genoss es sehr, mit Alvaro Musik zu machen, und er war sehr froh, dass sie dieselbe Leidenschaft teilten. Er hatte sich nie vorstellen können, mit jemandem zusammen zu sein, der nicht wenigstens ansatzweise musikalisch war, und dass es nun jemand wie Alvaro war, so schwierig es auch werden würde, war ein großes Glück. Noch während der Fahrt nach Finsterwalde zeigte Wince Alvaro eine Pinnwand im Bus, an die Benni eine überdimensionale Deutschlandkarte gepinnt und alle Orte markiert hatte, an denen sie in diesem Sommer spielten. Es ging Kreuz und quer durch ganz Deutschland und Alvaro zeugte sich wirklich beeindruckt von Winces Programm.
»Morgen wird mega cool«, sagte Wince und zeigte in den äußersten Osten Deutschlands. »Da spielen wir in Sellin, direkt an der Ostsee. Guck mal die Location.« Er suchte auf seinem Handy nach dem wunderschönen Ort, dem Ostseebad Sellin.

»Sehr cool«, stimmte Alvaro zu. »Jetzt bin ich schon n bisschen neidisch, ehrlich gesagt.«
»Komm doch nochmal mit«, bat Wince, auch wenn er nicht betteln wollte und doch wusste, dass Alvaro Termine in Berlin hatte. »Danach hab ich fünf Tage Pause, bevor es weitergeht, wir könnten zusammen nach Berlin und… hätten noch ein bisschen Zeit.«
Alvaro zögerte, Wince bemühte sich, nicht zu bitten zu schauen. »Überleg’s dir«, meinte er, bemüht lässig, dabei wäre es so, so schön, ein bisschen Zeit mit Alvaro am Strand zu verbringen.
»Das wär schon schön«, stimmte Alvaro zu. »Ich hab den ersten Termin übermorgen Nachmittag, wäre mega stressig, aber…«
»Ich will dich jetzt auch nicht nerven oder so«, sagte Wince und fuhr sich durch die Haare. »Ich dachte nur, dass…«
»Hey«, unterbrach Alvaro ihn sofort, schob eine Hand in seinen Nacken und küsste Wince sanft. »Du nervst mich doch nicht. Es wär ja wirklich schön. Ich ruf meine Managerin in Berlin schnell an, okay? Sie wird mich umbringen, wenn ich direkt zum Termin komme, aber das nehm ich in Kauf.«
Wincent grinste in ihren Kuss und dachte, dass sein Herz vor lauter Glück zerspringen müsste. Er tat, was er liebte, auf der Bühne zu stehen, war erfolgreich mit seiner Musik und verliebt in den großartigsten Mann überhaupt. Manchmal fragte er sich tatsächlich, wann der Haken kam.

An diesem Abend sangen sie An Wunder gemeinsam und Alvaro sprang noch einmal zum Finale mit Pläne und Feuerwerk auf die Bühne. Die Fans rasteten aus, wie auch schon in Rosenheim, und Wince dachte kurz, dass sie wirklich irgendwann etwas zusammen aufnehmen mussten.
Sie waren nach dem Konzert im Tourbus, als Alvaros Managerin zurückrief. Selbstverständlich war sie nicht sehr begeistert, dass Alvaro erst so kurz vor ihren Terminen in Berlin sein wollte, aber Wince hörte belustigt zu, wie Alvaro mit Engelszungen auf sie einredete. Er versicherte ihr, wenigstens eine Stunde vorher vor Ort zu sein, damit sie noch einiges besprechen konnten, und schließlich lenkte sie ein. Ihr blieb ja auch gar keine andere Wahl.
»Ey, ich freu mich so«, sagte Wince und schlang seine Arme um Alvaros Hals. »Sonne, Strand, Meer, du… ich bin einfach gerad echt n verdammter Glückspilz.«
»Wenn schon nicht Südafrika, dann eben die Ostsee, nicht wahr?«, grinste Alvaro. »Wie lange brauchen wir?«
»So an die fünf Stunden Fahrt, glaub ich«, meinte Wince. »Ich glaub auch, wir fahren die Nacht durch, oder, Jungs?«
»Ja, bei dem Verkehr da hoch«, sagte Benni aus dem vorderen Teil des Busses. »Ruht euch aus, wird n bisschen dauern.«

Wince freute sich riesig, wieder ans Meer zu kommen, auch wenn es nur für einen Tag sein würde. Er hatte schon auf besonderen Bühnen gespielt, aber eine direkt am Strand, sodass er quasi das Meer rauschen hören konnte, hatte er abgesehen von Südafrika noch nicht erlebt. Weil sie die Nacht durchgefahren waren, erreichten sie das Ostseebad Sellin früh am Morgen und Wince war früh auf den Beinen. Er schmunzelte, als er an der sehr gemütlichen Couch vorbei ging, auf der Alvaro in eine Decke gekuschelt schlief, dabei war es Sommer und im Bus trotz Klimaanlage recht warm. Kurz beugte Wince sich zu ihm und küsste ihn auf die bärtige Wange. Alvaro brummte nur leise und noch im Schlaf.
»Scho‘ aufstehen?«, nuschelte er, Wince schmunzelte deutlicher und strich ihm die noch mehr als sonst verwuschelten langen Haare aus der Stirn.
»Schlaf weiter«, grinste er. »Ich geh ne Runde am Strand joggen.«
Alvaro öffnete ein Auge und starrte ihn ungläubig an. »Sklaventreiber«, brummte er, drehte sich auf die andere Seite und zog sich die Decke wieder über den Kopf.

Wince genoss den Lauf am Strand, brauchte diese Stunde für sich jeden Morgen, um den Kopf frei zu bekommen. Als er zurück zu den Bussen kam, roch es wunderbar nach Kaffee und Wince beeilte sich unter die Dusche zu kommen. Danach beobachtet er belustigt, wie wie Alvaro, ebenfalls frisch geduscht, an der schmalen Küchenzeile stand, und eine weitere Tasse in die Vorrichtung am Kaffeeautomat schob. Leise trat er zu Alvaro, legte beide Arme um die schmalen Hüften und küsste sich sanft über Alvaros Nacken.
»Morgen«, raunte er und bedauerte für einen Moment, dass sie nicht alleine waren. Aber sie hatten ihre Nacht gehabt, und Wince war wichtiger, dass sie überhaupt zusammen waren.
»Guten Morgen, Sklaventreiber«, grinste Alvaro zurück, drehte sich kurz um und ließ sich küssen. »Hast du dich ausgetobt?«
»Ja«, lachte Wince. »Aber an den Strand gehen wir später trotzdem noch, oder?«
»Solange ich nicht joggen muss«, gab Alvaro zurück.
Wince schüttelte ungläubig den Kopf. »Wie kann man so heiß aussehen und kaum Sport machen? Das ist doch unfair.«
»Ich mache Sport«, lachte Alvaro. »Nur kein Joggen und nicht in aller Hergottsfrühe.«
»Es war sieben Uhr«, verteidigte sich Wincent. »Oh, ist das meiner? Danke.« Er schnappte sich die fertige Tasse Kaffee und lehnte sich gegen die Anrichte.

Benni kam mit Brötchen von einer Bäcker in der Nähe zurück und sie frühstückten mit den Jungs. Wince war erleichtert, dass Alvaro sich gut mit ihnen verstand, aber er konnte sich kaum vorstellen, dass es jemanden gab, mit dem Alvaro nicht gut klarkam. Der Spanier war mit allen cool und locker und erfüllte jeden Raum mit seiner Präsenz. Sie verabredeten sich für nachmittags an der Bühne und Alvaro und Wince machten sich auf zum Strand. Wince hatte sich vorher informiert und je weiter sie sich von den Hotspots entfernten, desto weniger Leute waren unterwegs. Irgendwann fanden sie einen Strandabschnitt, an dem niemand zu sehen war, sie zogen die Schuhe aus und wateten durch den weichen Sand zum sanft an den Strand schwappenden Meer. Das Wasser umspülte ihre Füße angenehm. Schließlich liefen sie zurück zu den Dünen, Wince breitete eine Decke auf dem Sand aus, sie ließen sich auf die Decke fallen und Alvaro reichte ihm eine mitgebrachte kleine Flasche Sekt.
Wincs blinzelte in die warme Sonne und sein Herz hüpfte, als Alvaro sich dicht an ihn legte und ihre Hände sich auf der Decke berührten. Er schaute zu Alvaro, sah den Spanier lächeln und zwinkern und dachte, dass er sich lange nicht mehr so glücklich gefühlt hätte wie in diesem Moment.
»Wir sind schon zwei verdammte Glückspilze«, sprach Alvaro da seine Gedanken aus und Wince nickte.

»Oh ja«, stimmte er zu und schaute erneut rüber zu Alvaro. »Was gibt’s noch für dich?«, fragte er dann. »Ich mein, zu erreichen? Du hattest n Duett mit Jennifer Lopez, mehrere Nummer eins Hits, ne Europatournee… was gibt’s für Alvaro Soler noch?«
Sie hatten sich bisher über dies und das unterhalten, nun ließ Alvaro den Blick über das Meer vor ihren Augen schweifen. »Ganz ehrlich, musikalisch wüsste ich jetzt nicht, was noch kommen sollte. Nach einem Album ist ja immer vor einem neuen Album, nach einer Tour vor einer neuen. Ich denk da irgendwie eher ans Private, ich mein… ein Haus zum Beispiel. Irgendwo direkt am Meer, davon träume ich echt schon lang. Dass du etwas hast, wohin du… nach Hause kommst, weißt du.«
Wincent schmunzelte, weil ihn das tatsächlich wieder überraschte, bei ihrem Leben. »Hund, Haus und Kind?«, fragte er neckisch, weil natürlich klar war, dass eine Sache davon in ihrer Beziehung nicht funktionieren würde.
Alvaro schaute ihn an. »So ähnlich«, meinte er. »Halt einfach etwas, das… deins ist. So wie bei Mark und Paddy, das bewundere ich echt. Ihre Wohnung, ihr Leben, jetzt das Outing und überhaupt, wie sie das meistern. Sie kennen sich in- und auswendig, und trotzdem hat man das Gefühl, dass sie einfach zusammen gehören. Dass da einfach nichts dazwischen passt.«
»Das stimmt«, nickte Wince. »Ich bewundere das auch sehr.«

»Was ist mit dir?«, stieß Alvaro ihn in die Seite. »Was wartet auf Wincent Weiss? Ein Duett mit Sarah Connor?«
»Oh mein Gott, das wär tatsächlich sehr krass«, lachte Wince. »Keine Ahnung, ich würd unfassbar gern mal in nem Stadion spielen. So vor 50, 60.000 Menschen, die deine Songs mitsingen. Das muss unfassbar sein.«
»Auf der Waldbühne werden ja ziemlich viele sein, vielleicht 20.000«, meinte Alvaro.
»Stimmt, das wird sehr krass«, sagte Wince. »Ich freu mich schon irre drauf. Und sonst… ich weiß nicht, bisher hat das alles keine Rolle gespielt. Haus und Privates und all das, weißt du. Aber…« Er wollte sagen, dass er sich mit Alvaro einiges vorstellen könnte, wusste natürlich nicht, wie der Spanier darüber dachte, und ob es nicht viel zu früh war, über solche Dinge nachzudenken.
»Aber?«, fragte Alvaro sanft und Wince fühlte den Blick der dunklen, wunderschönen Augen auf sich ruhen.
»Ich weiß nicht, das kommt sicher alles noch«, sagte Wince zögerlich, aber dann gab er sich einen Ruck. Warum sollte er verheimlichen, wieviel Alvaro ihm inzwischen bedeutete? »Aber mit dir kann ich mir einiges vorstellen.«
Alvaro fing seinen Blick auf, erwiderte Wincents Lächeln, beugte sich dann, ohne eine direkte Antwort, zu Wince. Aber die brauchte Wincent auch nicht, denn dass Alvaro ihn küsste, hier, am Strand, wenn auf kurz und doch so bedeutungsvoll, ließ sein Herz sich überschlagen.

Viel zu schnell meldete sich Winces Handywecker, den er sich immer stellte, damit er sein Konzert nicht verpasste. »Ich muss zurück«, seufzte Wince, hatte er die Zeit mit Alvaro doch so sehr genossen. »Tut mir leid.«
»Alles gut«, versicherte Alvaro ihm. »Das Konzert wird bestimmt mega. So direkt am Meer, das ist besonders.«
Sie erhoben sich und machten sich auf den Weg zurück zum Bühnentrakt. Es war merkwürdig, nach dieser Nähe in ihrer Düne wieder auf Abstand zu gehen, nebeneinander her zu schlendern wie beste Freunde. Aber Wince war sehr bewusst, dass er sich daran gewöhnen musste, auch wenn es ihm sehr schwerfiel. »Hast du eigentlich gelesen was bei Paddy los ist?«, fragte Alvaro da. »Auf seinen Konzerten? Das ist ja echt heftig.«
»Ja, hab ich«, zeigte sich auch Wince betroffen. Seit Paddys Outing tauchten regelmäßig auf seinen Konzerten Randalierer auf, die sogar nicht davor zurückschrecken, seine Tourbusse mit wüsten Parolen gegen Homosexuelle zu beschmieren. »Ich wollt ihn schon die ganze Zeit mal anrufen, er schreibt ja auch gar nicht mehr in unserer Gruppe, verständlich, find ich. Vielleicht mach ich das morgen.«
»Ja, mach das«, stimmte Alvaro zu. »Ich hab ihm geschrieben, aber es kam nur eine kurze Antwort. Das ist schon übel. Dass ausgerechnet er das durchmachen muss, wo das Outing bei Mark so cool lief.«
»Ja, er hat eben eine Vergangenheit, die die Fans nicht vergessen«, meinte Wince. »Das ist schon schwierig für die Fans nach all den Jahren. Ich hoffe, dass er das Outing nicht bereut.«
»Ja, das hoffe ich auch«, stimmte Alvaro besorgt zu. »Wär nicht so gut für die Beziehung.«
»Die beiden machen das schon«, sagte Wince. »Mark und er gehören einfach zusammen.«
»Oh ja«, nickte Alvaro schmunzelnd und Winces Herz klopfte warm, als er Alvaros sanften Blick auffing. Er wollte kaum daran denken, dass sie sich bald schon wieder voneinander verabschieden mussten, wenn auch nur für zwei Wochen. Jeder Abschied fiel ihm schwer, auch wenn ihm natürlich bewusst war, dass er sich damit arrangieren musste.

Das Konzert war unglaublich. 5000 Fans waren gekommen, und direkt am Meer zu spielen, war unfassbar cool. Es war besonders, den direkten Blick aufs Meer während des Konzerts genießen zu können, und je später es wurde, desto mehr Lichter brannten ringsum und Wince sog die wunderschöne Atmosphäre mit dem tiefschwarz Meer, das in sanften Wellen an den Strand des Ostseebad schwappte, in sich auf.
In dieser Nacht schliefen sie noch einmal im Tourbus, bevor es für wenige Tage Pause nach Hause ging. Alvaro telefonierte am anderen Morgen gleich mit seiner Managerin, aber da sie früh auf rächen, erreichten sie Berlin schon am frühen Mittag. Bedrückt verabschiedete sich Wince von Alvaro; verständnisvoll hatten die Jungs sie im unteren Teil des Busses allein gelassen.
»Daran werd ich mich nie gewöhnen«, seufzte er und schlang die Arme um Alvaros Hals. »Wieso heuerst du nicht einfach als mein Backgroundsänger an?«
»Ich glaube nicht, dass du das bezahlen kannst«, schmunzelte Alvaro.
Wince legte den Kopf schief. »Ich könnte mir etwas einfallen lassen«, grinste er, beugte sich vor und verschloss ihre Lippen innig.

»Mmh«, raunte Alvaro in ihren Kuss. »Das reicht noch lange nicht, um mich zu überzeugen, aber ich bin gespannt, was du dir einfallen lässt.«
Wincent schob sich ein wenig näher an Alvaro, vertiefte ihren Kuss, seine Zunge fand in Alvaros Mund und er hörte Alvaro in den Kuss seufzen. Wince verlor sich in dem Kuss, wünschte sich einfach mit diesem Mann in seine Wohnung, die doch gar nicht weit entfernt war. Aber sie mussten sich zusammenreißen, und Wince seufzte bedrückt an Alvaros Lippen, als dessen Handy erneut klingelte.
»Okay, okay«, gab Wincent sich geschlagen. »Ich will nicht verantwortlich sein, dass deine Managerin einen Herzinfarkt bekommt, weil du noch nicht da bist.«
Alvaro konnte sich ein Lachen nicht verkneifen, küsste Wince noch einmal kurz und ließ das Handy klingeln. »Sie weiß, dass ich nicht immer sofort rangehe«, meinte er augenzwinkernd. »Das ist sie schon gewöhnt.«
»Typisch Spanier, ne«, lachte Wince. »Hau schon ab, bevor ich es mir anders überlege und dich hier fessele.«
»Mmh, da hätte ich nichts gegen, ehrlich gesagt«, zwinkerte Alvaro und prompt verirrte sich ein Bild von Alvaro, nackt mit Handschellen an sein Bett gefesselt, in Winces Kopf.
»Bring mich nicht auf dumme Gedanken«, grinste er, rechnete aber nicht mit Alvaros Gelassenheit diesbezüglich.
Er fixierte Winces Augen und sie Blick war plötzlich so dunkel, dass Wince sich nur wirklich nur noch schwer zurückhalten konnte. »Du kannst alles mit mir machen, Wince«, sagte Alvaro und Wincents Herz stolperte. »Ich vertraue dir.«
»Alles?«, fragte Wince leise, ließ seine Lippen ein letztes Mal über Alvaros kratzige gleiten.
»Alles«, bestätigte Alvaro und ließ dabei keinen Zweifel daran, dass er es ernst meinte.
»Na vielen Dank auch, jetzt kann ich‘s wirklich nicht mehr abwarten, bis ich nach Barcelona komme«, brummte Wince.
Alvaro lachte, löste sich von ihm, griff nach seinem Handy und seinem Koffer. »Wie gesagt… überzeugt mich. Vielleicht bewerbe ich mich doch bei dir als Backgroundsänger.«
Er warf Wincent noch eine Kusshand zu, dann drehte er sich, noch immer lachend, um und verließ den Bus.

Wince rief Paddy abends an, als er in seiner Wohnung war, die Schmutzwäsche von dne Konzerten in die Waschmaschine gestopft und sich mit Cola und seinem Handy auf die Couch zurückgezogen hatte. Es war noch sehr heiß in Berlin, um die 30 Grad, und das  um halb sieben Abends, und Wince war erleichtert, dass er in seiner Wohnung eine Klimaanlage hatte einbauen lassen. Nach der doch recht kräftezehrenden Tour genoss er die angenehme Kühle, dachte kurz daran, dass dies erst der erste Teil der Sommer-Open-Airs gewesen war und fand, dass sich der Sommer in diesem Jahr sehr dahin zog. Er liebte das, liebte es, Open Airs zu spielen, aber er freute sich mindestens ebenso auf die Abschlusskonzert im Herbst, wenn sie die großen Hallen füllen würden – die Jahrhunderthalle in Frankfurt, die Hans-Martin-Schleyerhalle in Stuttgart, und als krönenden Abschluss die Barclaycard-Arena in Hamburg. Dabei würde ihn Johannes unterstützen und Wince hoffte sehr, dass Alvaro ebenfalls kommen konnte. Denn sein Herz klopfte jetzt schon aufgeregt beim Gedanken daran, dass sie dort vor mehr als 5000 Fans auftreten würden. Vor viel mehr.
Das Handy klingelte noch immer und Wincent war schon versucht, aufzulegen. Im letzten Moment bevor er den Videocall wegdrücken wollte, nahm Paddy doch ab und Wince freute sich, ihren Kumpel zu sehen. Sie alle hatten noch engen Kontakt, er mit Johannes und Jeanette sowieso, aber auch mit Jennifer und Milow schrieb er ab und zu. Mark und Paddy waren ebenfalls enge Freunde geworden.

»Wince, hey, sorry, ich hab nicht gesehen, dass du das bist. Wie geht’s dir? Nice to hear from you, man«, begrüßte Paddy ihn.
Wince zog kurz eine Augenbraue hoch. Paddy wirkte müde, erschöpft, er lächelte nur schwach und seine Augen blickten längst nicht so offen und warm wie in Südafrika. Offenbar machte diese Sache etwas mit ihm, was ja auch kein Wunder war. »Hey, ich wollte nicht stören, ich hab nur gelesen, was bei dir los ist und so… wollte mal hören, wie es dir geht.«
Paddy rieb sich den Nacken. Er saß auf der Dachterrasse, jedenfalls konnte Wince das im Hintergrund sehen, schien den Abend zu genießen. »Das ist echt lieb von euch, Alvaro hat auch schon geschrieben. Ich hoffe sehr, dass sich das alles bald klärt. Hast du gelesen, was gestern in Ludwigsburg passiert ist?«
»Das Plakat? Ja, das hab ich gelesen. Solche Wichser, ehrlich. Ich finds super, dass du damit an die Öffentlichkeit gegangen bist«, meinte Wince.
»Danach ist ja noch mehr passiert«, sagte Paddy, erzählte von dem Drohbrief, der an seinem Hotel abgegeben war und den Ermittlungen der Polizei, die sich auf die Überwachungskamera konzentrierten. »Ich hoffe sehr, dass dieser Albtraum bald vorbei ist«, sagte er und Wince nickte.
»Das hoffe ich auch sehr«, meinte er. »Das ist schon krass. Ist Mark noch nicht da?«
»Nein«, sagte Paddy. »Er kommt morgen erst. Übermorgen fliegen wir für eine Woche nach Südafrika. Endlich ein bisschen Urlaub. Aber erzähl, wie läuft’s bei unserem Spanier und dir?«
Wince seufzte. »Es ist… schwierig. Ich meine, das wussten wir ja, aber… sich wo wenig zu sehen, das ist echt hart. Aber Alvaro ist unglaublich süß, er hat mich vor ein paar Tagen mitten bei einem Konzert überrascht und ist bis heute mitgekommen. Naja und in zwei Wochen fliege ich für eine Woche nach Barcelona.«
»Das ist schon beinahe mehr, als Mark und ich uns anfangs gesehen haben«, schmunzelte Paddy. »Ihr bekommt das schon hin. Ihr müsst beide Kompromisse eingehen, das ist das Wichtigste.«
»Das tun wir«, sagte Wincent. »Ich muss mich echt dran gewöhnen.«
»Alvaro bestimmt genauso«, meinte Paddy. »Vor allem müsst ihr euch vertrauen. Ohne Vertrauen funktioniert das nicht.«
»Ist ja eh das Allerwichtigste«, stimmte Wince zu. »Und ich vertraue ihm.«

»Gebt euch ein bisschen Zeit, bis sich das eingespielt hat«, riet Paddy ihm. »Es wird immer wieder Treffen geben, die einer von euch absagen muss. Gerade bei der Entfernung. Aber vielleicht zieht Alvaro ja irgendwann nach Berlin.«
»Das wär unfassbar«, sagte Wince. »Aber ich will nicht, dass er alles für mich aufgibt. Wenn es dann doch nicht funktioniert, würde ich mir das nicht verzeihen.«
»Das wird sich alles geben mit der Zeit«, beruhigte Paddy ihn. »Setzt euch nicht unter Druck. Das bringt eh nichts und führt nur zu Streit. Glaub mir, ich weiß, wovon ich rede.«
»Ich bin echt froh, dass ich mit dir darüber reden kann«, sagte Wince, fühlte sich tatsächlich etwas beruhigter, weil Paddy genau wusste, wie er sich fühlte. Es war kein sinnloses Dahergerede, weil Paddy und Mark dasselbe erlebt hatten und Wince war wirklich dankbar, dass sie noch so engen Koktakt hatten.
»Jedenfalls freu ich mich, dass ihr euch gefunden habt«, meinte Paddy. »Ich hatte ja von Anfang an das Gefühl, dass da etwas war zwischen euch.«
»Ich auch«, nickte Wince schmunzelnd. »Und ich bin echt neidisch, dass ihr jetzt Urlaub im Grootbos macht. Grüß mir diesen mega Pool.«
»Mache ich«, grinste Paddy. »Ich freu mich schon wahnsinnig. Ist zwar nur eine Woche, aber das brauch ich jetzt total.«
»Glaube ich, nach allem«, meinte Wince. »Danke für deine Ratschläge, Paddy, ehrlich. Genießt euren Urlaub.«
»Und du deinen in Barcelona«, schmunzelte Paddy. »Du, ich muss leider auflegen, der Polizist ruft mich gerade an. Ich melde mich, ja? Danke für deinen Anruf, Wince und eure Sorge. Das bedeutet mir viel.«
»Mach’s gut und danke dir«, beendete Wince das Telefonat und schob die Pizza, die er während des Telefonat schon aus dem Tiefkühlfach geholt hatte, in den Ofen.

Er checkte sein WhatsApp, aber Alvaro war noch nicht wieder online gewesen. Sicherlich war er noch unterwegs. Wince schrieb mit Benni, dann mit seinem Management, überprüfte ein paar Termine. Der Nachmittag war wie im Flug vergangen und nachdem er gegessen hatte, telefonierte Wince mit seinem Großvater. Sie telefonierten regelmäßig, Wince war das sehr wichtig, es erdete ihn jedes Mal nach dem Trubel einer Tour, brachte ihn wieder runter. Er erzählte, dass er in Sellin direkt am Meer aufgetreten war, überlegte, ob er seinem Opa von Alvaro erzählen sollte, doch er wollte das nicht am Telefon tun. Seit einigen Jahren wusste sein Opa, dass er schwul war und Wince war sehr dankbar und erleichtert über dessen lockere Reaktion gewesen.
Er war noch mitten im Gespräch, als es plötzlich, es war gerade gegen 20 Uhr abends, an seiner Tür klingelte. Überrascht, weil er sich niemanden mehr erwartete, lief Wince in den Flur. »Opa, ich muss ganz kurz an die Tür, da hat jemand ge…«, begann er, öffnete währenddessen die Tür und ließ völlig perplex das Handy sinken.

»Was machst du denn hier?«, fragte er, starrte Alvaro fassungslos an und war überzeugt, dass er jetzt wirklich durchdrehte.

Nur Ein Herzschlag entferntWo Geschichten leben. Entdecke jetzt