Das Wasser, welches am Fenster runterlief drückte Xenias Stimmung perfekt aus. Heute war einer dieser Tage, an denen sie sich einfach nutzlos fühlte. An solchen Tagen wusste sie nichts mit sich anzufangen und verkroch sich meistens auf ihrer Fensterbank. Schlecht gelaunt sah sie aus dem Fenster und beobachtete die Menschen, die wegen dem Regen die Straßen entlang hechteten.
Die Stille drückte ihr schwer auf die Seele und sie hasste es nicht hören zu können. Traurig klappte sie ihr Tagebuch zu, in das sie reinschreiben wollte, es dann aber doch nicht getan hatte. Wie gerne würde sie jetzt Musik hören und eine Geschichte erzählt bekommen. Unwillkürlich dachte sie an Raphael und musste lächeln. Er verstand sie einfach so gut. Und sie verstand ihn. Bei ihm hatte sie das Gefühl, sich fallen lassen zu können und die Taubheit zu vergessen. Plötzlich blitzte ihr Handy und sie sah eine Nachricht von Raphael auf ihrem Bildschirm.
R: Ich denke an dich. <3
Sie lachte und schrieb ihm zurück.
X: Kannst du Gedanken lesen?
R: Anscheinend?!Sie sprang von der Fensterbank. Vielleicht sollte sie einfach versuchen, diesen Tag sinnvoll zu nutzen und etwas für ihr Abi zu tun. Wegen ihrer Taubheit hatte sie eine Klasse wiederholen müssen.
Genervt fuhr Xenia sich durch die Haare und dachte an den vorigen Tag zurück. Sie mochte es, wie Raphael mit ihr umging. Er war nett, zuvorkommend und hilfsbereit. Sie blätterte auf die nächste Seite ihres Mathebuches und versuchte sich auf die Aufgaben zu konzentrieren. Doch nach zehn Minuten gab sie auf und ging in die Küche. Wer brauchte denn schon zu wissen, wie viel sechs hoch zehn mal fünfhundert war? Das brauchte doch kein Mensch.
In der Küche goss sie sich ein Glas Wasser ein und leerte es in einem Zug. Auch wenn sie im Moment Ferien hatte, war Schule anstrengend. Plötzlich blinkte das Licht für die Türklingel, welches in jedem Zimmer angebracht war. Seufzend schlurfte sie zur Tür und öffnete sie langsam.
Zu ihrer Überraschung war niemand da. Xenia sah nach rechts, links und dann auf die Fußmatte, auf der ein kleiner weißer Umschlag lag. Schnell hob sie ihn auf und drehte ihn um. Er war blütenweiß und es stand kein Absender drauf.
Verwirrt schloss sie die Tür wieder und riss den Brief auf. Unsicher begann sie zu lesen.
Raphael saß auf seinem Platz in der Uni und langweilte sich zu Tode. Sein Dozent schwafelte vorne irgendetwas wovon er sowieso nichts verstand. Gelangweilt ließ Raphael seinen Blick durch den Raum schweifen und blieb bei Mary hängen, die ihm unauffällig zuwinkte. Er seufzte tief und ließ den Kopf hängen. Nur noch ein Tag und dann würde er endlich Xenia wiedersehen. Er stellte sich vor, wie sie mit ihrer zierlichen Hand ganz bestimmte Worte schrieb. Seine Hand umschloss den Kugelschreiber fester, während er versuchte sich auf seine Vorlesung zu konzentrieren, doch er schweifte immer wieder ab.
Als der Minutenzeiger endlich auf der Zwölf stand, sprang Raphael als erster von seinem Platz auf und rannte durch das Gebäude zum Ausgang. Dann setzte er sich in sein Auto, startete den Motor und drückte das Pedal herunter. Zügig verließ er das Unigelände und ordnete sich in den typischen Verkehr von Hamburg ein. Mit der Absicht noch zum Bäcker zu gehen, hielt er am Straßenrand und stieg aus.
Der Duft nach frischen Brötchen hing in der Luft, als er den Bäckerladen wieder verließ und sich auf den Weg nach Hause machte.
Mit zitternden Händen hielt Xenia den Brief in der Hand, während sie das Papier am liebsten zerrissen hätte. Ihr Handy blitzte, doch sie sah nicht nach, wer ihr was geschrieben hatte. Wütend und verletzt schnappte sie sich ihre Jacke und stürmte nach draußen in den Regen. Sie setzte sich in ihren Wagen und jagte ihn aus der Einfahrt. Während sie das Lenkrad fest umklammert hielt, versuchte sie auf die Straße zu achten und sich den Weg zu Raphael in Erinnerung zu rufen.
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Hände sind ihre Sprache
RomanceVorsichtig tippte er sie an der Schulter an und sie zuckte zusammen. „Du hörst nichts, oder?", fragte er langsam und legte seine Hände über die Ohren. Sie sah ihn überrascht an und nickte. „Nein, ich kann nichts hören!", sagte sie leise und schluckt...