Tränen liefen ihre Wangen hinunter und Xenia schlug ihre Faust ins Kissen. Das konnte doch nicht wahr sein! Er hatte sie eiskalt angelogen! Liebesbriefe von einem anderen Mädchen, und dann traf er sie auch noch! Sie merkte, dass Nadine ihr über die Schulter streichelte. Xenia hatte sie direkt angerufen, um Ablenkung zu erhalten, was Nadine dann auch umgehend getan hatte. Wütend und verletzt griff Xenia nach ihrem Handy, nur um auf Raphaels Namen zu starren. Er hatte versucht, sie per Videoanruf anzurufen, aber selbst wenn sie das Licht ihres Handys wahrgenommen hätte, wäre sie nicht drangegangen. Sie schaltete das Handy aus und legte es auf den Tisch. Schluchzend kuschelte sie sich in Nadines Schoß und schloss die Augen.
Genervt versuchte Raphael, sich am nächsten Tag von Xenia abzulenken, jedoch erfolglos. Egal was er machte, ob er las, Musik hörte oder seine Wohnung auf Hochglanz polierte, weil er nichts anderes zu tun hatte, ständig geisterte sie in seinen Gedanken herum. Ihre fast schwarzen Haare und die leuchtenden Augen, wenn er ihr von seiner Lieblingsmusik erzählte und den Takt auf ihren Arm tippte.
Als es an der Tür klingelte, fluchte er und riss beim Aufmachen beinahe die Tür aus den Angeln. „DU!", fauchte er, als er in das Make-Up verschmierte Gesicht von Mary blickte. „Tritt mir nie wieder unter die Augen!" Die junge Frau vor ihm zuckte unmerklich zusammen. „Ach Schatz, was ist denn geschehen?", fragte Mary leise, doch Raphael blockte sofort ab. „Ich weiß, dass du einen unschönen Brief an Xenia geschrieben hast!", knurrte er und die Blondine zuckte mit den Schultern. „Was?", fassungslos sah Mary ihn an. „Du denkst...ich hätte Drohbriefe an deine Freundin geschrieben?" Sie lachte bitter. Raphael starrte sie an. „Du, du warst das gar nicht? Aber das kann doch nicht sein! Wer war es dann?", fragend schaute er im Treppenhaus umher. Mary zuckte die Schultern: „Ich mag deine Freundin nicht besonders, aber Drohungen? Nein, nein, du kennst mich Raphael, ich würde nie im Leben jemandem Drohen!" Raphael schüttelte nur den Kopf. „Deswegen Ja! Du kennst sie nicht einmal und magst sie nicht, weil ich in sie verliebt bin und nicht in dich!", mit diesen Worten drehte er sich um und knallte seine Wohnungstür zu.
Raphael lauschte, bis er die Tür ihrer Wohnung zuschlagen hörte und schlich dann auf den Flur, die Treppen hinunter und schlenderte die Straße entlang. Er merkte erst, wo lang er gelaufen war, als die Fenster von Xenias Haus vor ihm aufleuchteten. Mit einem schnellen Blick auf die Uhr stellte er fest, dass es noch nicht ganz so spät war und er durchaus einen Abstecher zu ihr wagen konnte. Er klingelte an ihrer Tür und wartete. Nach gefühlten zehn Minuten wurde sie von einer fremden Frau geöffnet. Irritiert trat er einen halben Schritt zurück und starrte die Frau an. Ihre Augen verengten sich zu schlitzen. Sie zog ihr Handy hervor und schrieb etwas.
„Ganz schön mutig, hier aufzutauchen!!!! Xenia hat sich wegen dir die Augen ausgeheult. Ich glaub's einfach nicht! Wie kannst du nur auf ein Date mit einer anderen Frau gehen? Ihr wart zu diesem Zeitpunkt zusammen!", die Frau funkelte ihn wütend an. Raphael schüttelte energisch den Kopf und bat mit irgendwelchen Zeichen um Einlass. Die Frau überlegte kurz und tippte dann wieder. „Ich bin Nadine, eine Freundin von Xenia. Leider kann ich dich nicht hereinlassen, da sie schon schläft. Wenn du etwas von ihr möchtest, dann versuch es doch morgen noch einmal. Auf Wiedersehen!", Raphael las etwas sauer den Text und nickte dann knapp. Dann würde er eben morgen wiederkommen und den Tag darauf und den Tag danach. Er würde das klären.
Mit hängenden Schultern schlurfte Raphael zur nächsten Bank und setzte sich hin. Von hier aus konnte er das Haus gut beobachten, aber von anderen nicht so leicht gesehen werden. Nach einiger Zeit verließ Nadine das Haus und ging ins benachbarte Gebäude. Mit wachsamen Augen schaute er immer wieder zum Haus, wo die Lichter langsam erloschen. Es war schon einige Zeit vergangen, als er am Fenster von ihrem Haus eine Bewegung wahrnahm. Die Gardinen schoben sich zur Seite und dann sah er, wie Xenia sich auf ihre Fensterbank setzte und rausschaute.
Ihr Blick glitt über die Straße, als würde sie jemanden suchen. Xenia fuhr sich erschöpft übers Gesicht. Dieser Tag war die reinste Katastrophe geworden. Die Briefe von dieser Mary zogen in ihrem Kopf Kreise. Warum hatte Raphael diese Briefe aufbewahrt? Bedeutete die rote Rose ihm etwas? Sie lehnte den Kopf an die kühle Scheibe und starrte wieder nach draußen, wo sie plötzlich jemanden entdeckte. Er saß auf der Bank etwas abseits des Hauses und schaute zu ihr herüber. Bevor sie auch nur überlegen konnte, ob sie zu Raphael hingehen wollte, sah sie, wie Nadine genervt zu ihm ging. Sie konnte nicht sehen, was Nadine gebärdete, aber es sah sauer aus. Eilig zog sie sich Schuhe an und lief in Jogginghose und T-Shirt zu den beiden hin. Xenia tippte Nadine auf die Schulter und sie drehte sich um. „Kommst du allein klar?", gebärdete sie beherrscht, ruhig zu bleiben und Xenia nickte schwach. „Ich bin da, wenn du mich brauchst", ließ Nadine sie wissen und ging mit schnellen Schritten wieder zu ihrem Grundstück. „Was willst du?", schrieb Xenia und schaute Raphael kalt und abwartend an. Dieser wich vor ihrem harten Gesichtsausdruck etwas zurück. Eine Minute später hatte sie ihre Antwort. „Es tut mir leid, Xenia. Ehrlich. Diese Briefe hättest du nicht sehen dürfen! Ja, es waren Liebesbriefe und ja ich habe auch die Rose und diesen hässlichen Anhänger aufbewahrt. Ich habe unklugerweise gedacht, dass du diese Schublade niemals öffnen würdest und die Briefe zusammen mit der ganzen Kommode irgendwann beim Ausziehen verrotten würden. Ich hatte nie vor, diese Post zu öffnen, aber ich musste etwas überprüfen. Xenia, diese Briefe stammen von meiner anhänglichen Nachbarin Mary Parker. Sie hat übrigens auch den Drohbrief an dich geschrieben und ihn dir auch irgendwie unterge....", bei diesen Zeilen fiel ihr das Handy aus der Hand. Reflexartig griff Raphael danach, fing es auf und steckte es in seine Jackentasche. Dann trat er vorsichtig auf Xenia zu und nahm sie in den Arm. Ganz sanft umschlangen seine Arme ihre Schultern und er atmete den Duft ihres Haares ein.
Als er sie wieder losließ trat sie einen Schritt zurück und sah ihn lange an. „Danke für deine Erklärung, aber ich muss darüber nachdenken. Ich bitte dich, zu warten, bis ich mich melde..." , sie drehte sich um und ging mit langsamen Schritten wieder ins Haus. Ihr Handy blitzte und sie sah auf das Foto, welches Raphael ihr geschickt hatte. Es war eine Einkaufstasche und unter dem Foto stand: Ich war heute Nachmittag wirklich einkaufen, nur damit du weißt, dass ich dich nicht angelogen habe;)
Unerwartet musste sie grinsen und legte sich mit tausenden Gedanken ins Bett. Plötzlich fing sie wieder an, zu weinen und wünschte sich, Nadine wieder bei sich zu haben. Xenia drehte sich herum und versuchte, einzuschlafen. Sie fühlte sich allein und vermisste Raphaels Wärme. Doch ihrer Meinung nach hatte er es verbockt. Warum nur mussten Liebesbriefe existieren?
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Hände sind ihre Sprache
RomanceVorsichtig tippte er sie an der Schulter an und sie zuckte zusammen. „Du hörst nichts, oder?", fragte er langsam und legte seine Hände über die Ohren. Sie sah ihn überrascht an und nickte. „Nein, ich kann nichts hören!", sagte sie leise und schluckt...