Ein Drohbrief kommt selten allein

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Ich wusste nicht, dass du heute eine Präsentation halten musstest", der Zettel trat seine Reise über den Tisch zu Xenia an. Sie lächelte entschuldigend und Raphael grinste etwas. „War es denn ein Erfolg?", fragte er und sie kritzelte ein dickes, fettes „Ja" unter seine Frage.

Nachdem Xenia aus der Schule gekommen war, hatte Raphael sie mit ihrem Lieblingsessen überrascht, Spaghetti mit Käsesoße. Die Zettel, die hin- und hergeschoben wurden, waren interessanter als das Essen und Xenia wollte wissen, ob die Polizei sich schon gemeldet hatte. „Nein, sie haben sich noch nicht gemeldet!" Raphael machte eine entschuldigende Geste und Xenia grinste.

Als es an der Tür klingelte, zuckte Raphael zusammen und sah zu Xenia, die ihn fragend ansah. Er schrieb nur ein Wort auf den Zettel. „Türklingel". Raphael erhob sich und öffnete die Tür. „Mary!", überrascht starrte er seine Nachbarin für ein paar Sekunden an, bevor er sich wieder fing und sich bemühte, eine kalte Miene aufzusetzen. „Was willst du?", die Frage entfloh seinem Mund netter als beabsichtigt. Ihre blauen Augen musterten ihn für einen Moment. „Ich wollte nur sichergehen, dass es dir und deiner Freundin", sie stolperte etwas über das Wort ,„ob, ob es euch gut geht, nach allem was passiert ist. Mit den Briefen und dem Paket und so!" Ihr Gesicht verzog sich zu einer mitleidigen Miene. Irritiert schüttelte Raphael den Kopf. „Paket? Hier war kein Paket!" „Achso, hmm...okay! Dann, dann wird es wahrscheinlich noch kommen", mit diesen Worten verschwand Mary wieder in ihrer Wohnung.

Kopfschüttelnd ging Raphael wieder zu Xenia und nahm sie bei der Hand. Im Wohnzimmer setzte er sich mit ihr aufs Sofa und drückte sie an sich. „Ich liebe dich!", flüsterte er und pustete ihr sanft in den Nacken. Sie lehnte sich an seine Brust und schloss zufrieden die Augen. Raphael genoss es, Xenia in seinen Armen zu halten. Die Minuten zogen sich zu Stunden und irgendwann waren beide eingeschlafen.

Der Wecker riss Raphael unsanft aus dem Schlaf. Murrend machte er ihn aus und kuschelte sich wieder an Xenia. Nach ein paar Minuten gab er sich geschlagen und schaute auf den nervenden Wecker. 07:45 Uhr. Mit einem erschrockenen Aufschrei sprang er aus dem Bett und weckte Xenia. „Wir haben verschlafen!", rief er und zeigte ihr die Uhrzeit. Fluchend richtete sie sich auf und verschwand im Bad. Keine fünf Minuten später stand sie schon wieder vor ihm und warf noch schnell ihr Portmonee in den Schulrucksack. Zusammen hechteten sie die Treppen hinunter und vor dem Haus trennten sich ihre Wege.

Als Xenia auf dem Schulhof eintraf, zeigte die große digitale Uhr 08:05. So schnell sie konnte, lief sie ins Gebäude und kam vor ihrem Klassenraum keuchend zum Stehen. Schnell betätigte sie den Schalter, der neben der Tür angebracht war und trat dann in den Raum. „Entschuldigen Sie die Verspätung, ich habe verschlafen", gebärdete sie der Lehrerin, die sie erstaunt musterte. „Nun gut, da werde ich mal ein Auge zudrücken. Setz dich Xenia, ich habe noch nicht begonnen", beruhigte die Lehrerin sie und Xenia setzte sich rasch auf ihren Platz.

Raphael hatte es noch rechtzeitig in die Uni geschafft und sich fix und fertig auf einen Platz gesetzt. Mary saß schräg vor ihm und hatte sich zu ihm nach hinten gebeugt. „Wieso bist du so spät? Mal wieder mit der tauben Hure herumgeturnt? Ich weiß aus zuverlässiger Quelle, dass sie neben dir noch zwei weitere Männer hat, um ihre Bedürfnisse zu stillen. Also für mich wäre das ja nichts!", angeekelt drehte sie sich wieder nach vorn. Wut stieg in Raphael hoch und er hatte Mühe, sich zusammenzureißen. „Im Gegensatz zu dir weiß sie es besser, als Gerüchte zu verbreiten, die nicht stimmen. Außerdem ist sie im Bett viel besser, als du es bist", beschützte er seine Freundin und ignorierte das überraschte Keuchen von Mary. Seine Nachbarin ging ihm sowas von am Arsch vorbei.

Die Zeit zog sich in endlose Stunden. Unruhig wippte er mit dem Fuß auf und ab. Xenia hatte ihm am Morgen noch erklärt, dass sie mit dem Auto kurz in die Stadt fahren wollte, um sich ein neues Buch zu kaufen. Irgendwie vertraute er gehörlosen Menschen kein Auto an, vertraute jedoch darauf, dass Xenia wusste, was sie tat.

Als er endlich in seinem eigenen Auto saß und nachhause fuhr schaltete er Musik an und genoss den warmen Fahrtwind. Xenia hatte ihm ein paar Titel genannt, die sie gerne gehört hatte, bevor sie gehörlos geworden war. Er hatte sich eine Playlist aus diesen Liedern zusammengestellt und die Songs direkt ins Herz geschlossen. Er parkte den Wagen vor dem Haus und stieg aus.

In seiner Wohnung hielt er inne. Es stank fürchterlich nach irgendwas Verfaultem. Langsam ging er ins Wohnzimmer und traute seinen Augen nicht.

Auf dem Sofa lag ein mittelgroßer Pappkarton, daneben ein Zettel und davor auf dem Boden eine schleimige Substanz, die man ohne zu zögern, als Erbrochenes abgestempelt hätte. Vorsichtig, um nicht hineinzutreten, schnappte Raphael sich den Brief und den Karton. Seine Augen überflogen die schwarze Tinte und dann öffnete er, ohne zu zögern die Kiste. Erschrocken taumelte er einige Schritte zurück und ihm war es, als käme sein Mittagessen wieder hoch. Die tote, mit Blut bespritzte Ratte im Auge behaltend, schossen ihm die Worte des Briefes durch den Kopf.

Sein Magen gab grummelnde Geräusche von sich und er hatte Mühe, seine Mageninhalte wieder hinunterzuschlucken

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Sein Magen gab grummelnde Geräusche von sich und er hatte Mühe, seine Mageninhalte wieder hinunterzuschlucken. Mit spitzen Finger beseitigte er den Karton und machte sich dann daran, das Erbrochene wegzuwischen.

Anscheinend war sie trotzdem in den Buchladen gefahren. Die Zeit im Blick behaltend, wartete er darauf, dass sie wiederkam.

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