Die Straßen waren dunkel und Xenia beeilte sich nachhause zu kommen. Plötzlich wurde sie aufgehalten. Ein junger Mann stand vor ihr und sagte etwas. Sie sah, wie seine Lippen sich bewegten und seine Augen gefährlich blitzten. Der Mann kam ihr immer näher und sie trat automatisch einen Schritt zurück. Er packte sie fest am Handgelenk und zog sie an seine Brust. Sein Mund umschloss ihre Lippen und der dreckige Kerl küsste sich an ihrem Hals runter zu ihrem Dekolleté. Xenia öffnete den Mund und schrie um Hilfe. Doch die Straßen waren verlassen, weit und breit war keine Menschenseele zu sehen. Xenia versuchte, sich zu wehren, stieß dem Fremden ihr Knie zwischen die Beine und riss sich los. Schnell verschwand sie um die nächste Ecke und zog ihr Handy hervor. Zitternd suchte sie nach Raphaels Nummer und tat das, was sie seit Ewigkeiten nicht mehr gemacht hatte. Sie rief ihn an. Sie starrte auf den Bildschirm. Mobil... war da zu lesen und als die Schrift sich in 00:01 umschaltete hoffte sie inständig nicht die Mailbox am Apparat zu haben.
Raphael beendete gerade ein kleines Essen, als sein Handy klingelte. Als er den Namen Xenia auf dem Bildschirm sah, schrillten bei ihm alle Alarmglocken. Sie würde nicht ohne Grund anrufen. Ein Telefonat zu führen, kam für sie definitiv nicht infrage. Schnell nahm er ab und hörte sich an, was durch das Telefon zu ihm drang. „Raphael! Bitte hilf mir! Bitte!", sie klang so verzweifelt, dass er sich sofort Jacke und Schuhe anzog. Jetzt hörte er durch das Handy eine männliche Stimme: „Handy weg, Kleine! Ich bin mit dir noch nicht fertig!" Dann hörte er Xenias Schrei und das Telefonat brach ab. Die Haustür flog praktisch von selbst auf und Raphael rannte den Weg zu Xenias Haus entlang. In der Nähe hörte er Hilferufe und seine Schritte beschleunigten sich noch mehr.
Er bog um eine Ecke und hielt erschrocken die Luft an. Xenia hatte sich an der Wand zusammengekauert, ein Mann stand drohend vor ihr. So schnell wie er sich noch nie bewegt hatte, sprang Raphael den Fremden an und zerrte ihn von Xenia weg. Dann landete seine Faust in dem hässlichen Gesicht und der Mann ergriff die Flucht. Als Raphael sich zu Xenia umdrehte atmete er tief durch. Ihre Wange war blau und ihr Handgelenk sah auch nicht gut aus. Raphael hockte sich neben sie und strich ihr vorsichtig über die Hand. Sie zitterte und Tränen liefen ihr über die Wangen. Vorsichtig nahm er sie in die Arme und hob sie hoch. „Shh, alles okay!", versuchte er sie zu beruhigen. Sie hatte sich wie ein Äffchen an ihn geklammert, und er beeilte sich nachhause zu kommen.
Xenia saß auf dem Sofa und umklammerte eine Tasse mit heißem Kakao. Sie war tief in Gedanken versunken. Was wäre geschehen, wenn sie es nicht geschafft hätte, Raphael anzurufen? Wenn sein Handy ausgeschaltet gewesen wäre? Ihr Griff um die Tasse verstärkte sich und das Zittern setzte wieder ein.
Raphael setzte sich mit einer Decke zu ihr und nahm sie in den Arm.
Immer wieder küsste er sie auf den Kopf und strich ihren Arm entlang. Sie lehnte sich an seine Brust und schloss die Augen. Das Gefühl von Geborgenheit und Liebe durchströmte sie. Plötzlich stupste Raphael sie an und hielt ihr einen Zettel hin: „Wir müssen mit deinem Handgelenk und deinem Gesicht zum Arzt. Am besten heute noch."
Sie seufzte und rappelte sich dann auf. Raphael öffnete ihr die Autotür und setzte sich hinters Steuer.Im Krankenhaus wurden sie freundlich begrüßt und Xenia erklärte per Handy, was passiert war. Der Arzt tastete ganz vorsichtig ihre Hand ab und erklärte sie als gequetscht. Im Gesicht konnte er nur einen Bluterguss feststellen und schmierte kühlende Salbe darauf. Ihr Handgelenk bekam einen Verband.
Es war weit nach Mitternacht, als sie zu Raphaels Wohnung zurückkehrten. Xenia lag schon im Bett, als er sich im Badezimmer umzog. Müde wechselte er seinen Pullover in ein bequemes T-Shirt und zog seine Hose aus. Dann setzte er sich an den Schreibtisch, um einen kurzen Brief an Mary zu verfassen.
Seufzend faltete Raphael den Brief zusammen und legte sich zu Xenia ins Bett. Sie schlief schon tief und fest. Vorsichtig zog er sie in seine Arme und drückte sie an sich. Mit seinem Gesicht in ihren Haaren schlief er ein.
Am nächsten Morgen legte Raphael den Brief vor Marys Tür. Sie würde ihn finden, lesen und hoffentlich keine weiteren Briefe mehr schreiben.
Raphael ging wieder ins Schlafzimmer, da Xenia noch immer im Bett lag. Vorsichtig rüttelte er ihr an der Schulter, und sie zuckte zusammen. Ihre Hand ergriff seine und zog ihn ins Bett. Lachend nahm er sie in den Arm.
Beim Frühstück dachte Raphael noch einmal über den Brief nach, den er geschrieben hatte und dann sickerte auch der Drohbrief, den Xenia bekommen hatte durch seine Gedanken. „Möglicherweise... Nein!", schalt er sich in Gedanken. Das würde sie nicht tun. „Bist du dir sicher"?, hielt eine Stimme in seinem Kopf dagegen. „Nein, würde sie nicht. Mary ist zwar nervig und anhänglich aber einen Drohbrief würde sie nicht schicken." Er schob den Gedanken beiseite und widmete sich wieder seinem Essen.
„Wie geht es deiner Hand?", schrieb Raphael nach einer Weile und Xenia zeigte einen waagerechten Daumen. „Und wie sieht meine Wange aus?", stellte sie eine Gegenfrage. Er grinste und schrieb: „Ganz okay!" Sie senkte den Kopf und versuchte die Tränen zurückzuhalten, die sich in ihrem Inneren angestaut hatten. Sekunden später fand sie sich in Raphaels Armen wieder. Er drehte sein Gesicht so, dass sie ihn ansehen musste. Dann bewegten sich seine Lippen. „Ich liebe dich! Du...das!", soviel verstand sie. Als ihre Tränen versiegten, war sein T-Shirt feucht, doch er winkte ab und kuschelte sich mit ihr ins Bett.
Er nahm ihr Gesicht in seine Hände und küsste sie hungrig und intensiv. Xenia erwiderte den Kuss und drückte ihren Körper an seinen. Plötzlich hielt Raphael inne und deutete mit besorgtem Gesichtsausdruck auf ihre verletzte Hand. Vorsichtig drehte Xenia sich auf die Seite, ohne die Hand zu benutzen. Ihre blaue Wange war Raphaels Gesicht zugewandt und er hauchte zarte Küsse auf die blauen Flecken. Sein Arm umschlang ihre Mitte und seine Hand strich ihr über die heile Wange. Eng aneinander geschmiegt, lagen sie solange im Bett, bis es klopfte.
Murrend erhob Raphael sich, drückte Xenia einen Kuss auf die Stirn und schlurfte zur Tür. „Ein Paket für Sie, Herr Graves.", der Postbote überreichte ihm ein kleines Päckchen und lächelte. „Bevor ich es vergesse, diese Rose lag auf ihrer Fußmatte", er gab Raphael die Rose und fügte noch hinzu: „Ihre Freundin scheint Sie sehr zu mögen." Dann verabschiedete er sich und lief die Treppen hinunter.
„Jetzt reicht's!", dachte Raphael wütend und stürmte in seine Abstellkammer. Er öffnete die Schublade und riss irgendeinen Brief auf. „Die gleiche Schrift!", durchfuhr es ihn und hektisch, als ob er noch irgendetwas anderes finden könnte, öffnete er alle fünf Briefe. Alle waren vom selben Absender! Von Mary! Er konnte seine Hände nicht mehr ruhig halten und riss das Paket auf. Zum Vorschein kam ein Kettenanhänger in Form einer kleinen Rose. Außer sich vor Wut stopfte er alles wieder in die Kommode und verließ die Abstellkammer.
Wieder bei Xenia, nahm er sie sofort in den Arm und sog den süßlichen Geruch ihres Shampoos ein. Tief durchatmend, tippte er eine Erklärung für sie ins Handy. „Das war die Post, tut mir leid, dass es so lange gedauert hat!" Xenia machte eine wegwerfende Handbewegung und gab Raphael einen Kuss. Er grinste und küsste sie zurück. „Ich liebe dich so sehr!", schrieb er und umarmte sie fest. „Und ich liebe dich!", flüsterte sie zurück.
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Hände sind ihre Sprache
RomanceVorsichtig tippte er sie an der Schulter an und sie zuckte zusammen. „Du hörst nichts, oder?", fragte er langsam und legte seine Hände über die Ohren. Sie sah ihn überrascht an und nickte. „Nein, ich kann nichts hören!", sagte sie leise und schluckt...