Meine Mutter

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In der Schule war es langweilig und ich hörte mal wieder nicht zu. Es interessierte mich einfach nicht, was Herr Berlich unser Physiklehrer grade erzählte. Ich konnte später ja Jannis oder Hassun fragen, ob ich abschreiben könnte. Jannis war ein Steber, aber ich mochte ihn eigentlich ganz gerne und Hassun war mein einziger richtiger Freund.
Auf einmal wurde ich aus Gedanken gerissen, denn die Tür ging auf und unsere Klassenlehrerin Frau Mude kam rein. Sie war die ungewöhnlichste Person, die ich je getroffen hatte. Sie trug seltsame Kleidung, immer farbenfroh und einfach nur schräg. Viele aus der Klasse nannten sie Papagei oder Buntspecht.
"Sooo, ich hab vorhin vergessen zu sagen, dass in einer Woche Elternsprechtag ist", rief sie im reingehen. "Typisch", flüsterte Hassun mir zu und fing an zu grinsen. Er mochte die verpeilte Art von Frau Mude nicht, ich hingegen fand es oft ganz praktisch. Zum Beispiel vergaß sie einmal, dass sie mit mir reden wollte, weil ich auf dem Schulhof ausgerastet bin und einen Achtklässler geschlagen habe. Aber manchmal hatte Hassun recht und es nervte einfach nur. Doch heute war ich mal wieder froh darüber, denn dann musste ich wenigstens kein Physik machen. Auf einmal lag ein Zettel auf meinem Platz. Wie war der denn jetzt da hin gekommen? Ich schaute fragend zu Hassun, der lachte nur und sagte: "Alter, du musst besser aufpassen!" " Was ist das denn jetzt für ein Zettel?", fragte ich ihn. "Das lieber Jason, ist der Zettel, auf dem steht, dass ich deine Mutter am Elternsprechtag gerne sprechen würde. Wenn du zugehört hättest, wüsstest du es jetzt." Scheiße... Frau Mude hatte es gehört. War ich wirklich so laut gewesen?

In der Pause wollte Jannis von mir wissen, ob ich wüsste, ob meine Mutter diesmal zum Elternsprechtag kommen würde. Da ich es aber nicht wusste zuckte ich nur mit den Schultern und sagte: "Woher soll ich das wissen?" Damit war unser Gespräch über unsere Eltern auch schon wieder beendet, denn beide wussten, dass ich nicht gerne über meine Mutter sprach.
Hassun hatte tolle Eltern. Seine Eltern waren immer für ihn da, halfen ihm, wenn er Probleme hatte und sie unternahmen schöne Dinge mit ihm und seinen Geschwistern.
Ich beneidete ihn um seine Familie und das wussten er und Jannis auch.

Meine Mutter war ganz anderes.
Sie war zwar morgens da, wenn ich aufwachte, und oft auch mittags, wenn ich aus der Schule kam, aber sie redete nur das Nötigste mit mir. Und oft ignorierte sie mich auch einfach. Sie war keine Mutter mehr für mich, schon lange nicht mehr. Eher eine große Schwester, die nur in ihrem Zimmer hockt und nichts tut.
Seit ich acht bin, habe ich keine Mutter mehr. Seit ich acht bin, musste ich für mich alleine sorgen. Ich weiß nicht, was damals genau passiert ist, aber kurz nach meinem achten Geburtstag hat sie ihren Job verloren und keinen neuen mehr gefunden. Von da an lebte sie nur noch so vor sich hin und redete kaum noch.
Als ich neun war, lernte sie das Ekel kennen. Das war ein schlimmes Jahr für mich. Ich wusste noch nicht, wie weit ich bei ihm gehen kann und habe meine Grenzen ausgetestet. Ich musste jedes mal feststellen, dass sie enger waren als erwartet. Er war einer von den Erwachsenen, die der Meinung sind, Kinder müssen still sein und dürfen nur reden, wenn es ihnen erlaubt wurde. Ich hasse so was!
Nach ca. einem Jahr kam dann meine Schwester auf die Welt und meine Mutter veränderte sich langsam wieder. Ich freute mich sehr, dass sie wieder mehr mit mir redete. Ab und zu kochte sie sogar für mich. Aber als meine Schwester laufen und feste Nahrung essen konnte, da drückte meine Mutter sie mir auf den Arm und sagte: "Spiel mit ihr, mach ihr was zu essen, wickel sie. Ich habe keine Zeit!" Ich war geschockt. Ich war grade mal zehn und sollte mich um ein 13 Monate altes Baby kümmern!? Als ich sie fragte, warum sie keine Zeit hätte, meinte sie, es würde mich nichts angehen und hat mit dem Ekel das Haus verlassen. Da stand ich nun mit Milla und musste mich nicht nur um mich, sondern auch noch um sie kümmern. Ich war zehn! Tja, so ging das von da an bis jetzt und so wird es wahrscheinlich sein, bis sie sich selbst um sich kümmern kann. Milla tut mir unglaublich leid. Ich hatte wenigstens die ersten acht Jahre meines Lebens eine Mutter, aber sie, sie hatte nie wirklich eine. Ich weiß nicht was passiert ist, als meine Mutter aufgehört hat meine Mutter zu sein, aber noch weniger weiß ich warum sie aufgehört hat Milla eine Mutter zu sein. Am Anfang lief alles so gut... Dieser Wandel kam aus dem nichts. Es ist so weit ich weiß nichts passiert, was der Grund dafür hätte sein können. Ich verstand meine Mutter nicht. Sie sagt nie etwas, nicht als sie aufgehört hat meine Mutter zu sein und auch nicht als sie aufgehört hat Milla' s Mutter zu sein.
Ich hasste sie dafür!
Hassun hat mal gesagt, dass Hass ein ziemlich krasses Gefühl sei und, dass niemand Hass für seine Eltern empfinden könne, aber ich meine es ernst, ich hasste sie, aus tiefstem Herzen! Er wollte mal mit mir darüber reden, aber da bin ich ausgerastet und seit dem reden wir nicht meher über meine Mutter.

Als ich nach der Schule wieder zu Hause war, kam Milla mir schon im Hof entgegen. Sie weinte. "Milla!, rief ich und lief auf sie zu," Was ist passiert?" Sie warf sich in meine Arme und ich streichelte ihr über den Kopf. Aber sie antwortete nicht, sondern weinte nur noch heftiger. "Hat er dich wieder geschlagen?", versuchte ich sie aus der Reserve zu locken, doch sie schüttelte nur den Kopf. Ich versuche sie zu beruhigen "Scht, es wird alles gut Milla. Was ist los?" Ich nahm sie auf den Arm und zwang sie mich anzugucken. Sie schaute mir jedoch nicht in die Augen, sondern starrte auf mein Ohr. Ich seufzte, sie wollte es mir nicht erzählen, aber ich wollte es unbedingt wissen, ich wollte sie beschützen. Als ich schon fast in der Wohnung war flüsterte sie: "David." Ich schaute sie an: "David?" Sie nickte heftig und ihre braunen Haare kitzelten meine Nase. Oh dieser Idiot! Was hatte er ihr angetan? Warum war er vor mir zu Hause? Er hatte doch donnerstags lang Schule.
Ich schloss die Haustür auf und ging in die Wohnung. Setzte Milla in ihrem Zimmer ab und rannte dann in meins. Dort saß er. Auf meinem Schreibtisch. "Was hast du gemacht!?",zischte ich ihn an. "Was soll ich denn gemacht haben?", fragte er lässig. Oh, er wusste genau wie er mich provozieren konnte. Aber nicht mit mir und nicht wenn Milla im Raum neben an etwas mitbekommen könnte. Ich schnaubte. "Ich denke, dass weißt du besser als ich. Warum heult Milla und sagt, dass du schuld bist? Was hast du gemacht?" David lächelte nur provozierend und ging. Er ging einfach. Er lief aus dem Zimmer und dann hörte ich die Wohnungstür zufallen. Oh, dieses Arschloch! Das würde er noch bereuen! Ich schnaubte noch mal und holte Milla aus ihrem Zimmer und machte uns etwas zu essen.
Danach versuchte ich meine Hausaufgaben zu machen, während Milla neben mir spielte. Es war anstrengend, aber inzwischen hatte ich relativ starke Nerven und bekam es meistens ganz gut hin.
Gegen 16:00 Uhr hörte ich wie meine Mutter und das Ekel die Wohnung betraten. Ich sagte Milla, sie solle kurz auf mich warten und ging in die Küche. "Mama, ich hab einen Zettel für dich. Der ist für den Elternsprechtag", sagte ich. Sie schaute mich nicht mal an. "Mama, du musst den Zettel ausfüllen und sagen, wann du Zeit hast mit Frau Mude zu reden", wiederholte ich mich. Jetzt schaute sie mich kurz an und meinte dann: "Ich habe keine Zeit für so was. In der Schule läuft es bei dir doch ganz gut. Ich meine dein Zeugnis war doch okay. Warum soll ich da mit deiner Lehrerin sprechen?" Ich schaute sie an. Mein Zeugnis war also ganz okay? Hatte sie sich das mal angeguckt? "Mama, ich hatte zwei vieren und ganz viele dreien und eine zwei. Was ist daran bitte gut?" ,fragte ich sie entsetzt. "Sag ich doch, ganz gut." "Frau Mude will trotzdem mit dir sprechen. Was bitte ist so wichtig, dass du nicht mal nachmittags in die Schule deines Sohnes gehen kannst und zuhören, was seine Lehrerin sagt? Du musst nachmittags nicht mal arbeiten!", langsam wurde ich wütend, aber blieb trotzdem erstaunlich ruhig," Es ist also nicht so, dass du eine gute Ausrede hättest." "Mein lieber Jason, ich habe keine Zeit für ein Gespräch mit deiner Lehrerin! Warum, das hat weder sie noch dich etwas anzugehen! Ich habe meine Gründe, warum ich da nicht hingehen werde. Abgesehen davon, ist es total unnötig!", schrie sie auf einmal. Ich zuckte zusammen und wollte zurück schreien, dass es mich sehr wohl etwas anginge, weil es hier um meine Zukunft ging, aber in dem Moment sah ich Milla in der Küchentür. Sie starrte mich an. Ich lächelte ihr kurz zu, sah meine Mutter noch ein letztes mal böse an und rannte raus. Ich war sauer. So richtig sauer! Es reichte nicht, dass Milla heute wegen David geweint hatte, nein, jetzt hätte sie auch noch fast gesehen, wie ich ausgerastet wäre.
Ich hatte Hass. So richtig Hass auf meine Mutter! Warum machte sie uns das Leben so schwer?
Ich holte mein Fahrrad und machte mich auf den Weg ins Feld.

Im Feld, achte ich auf gar nichts mehr und ließ irgendwo mein Fahrrad fallen und stapfte über eine Wiese. Ich schrie. Vor mir tauchte ein Baum auf, ich trat dagegen. Und nochmal. Dann schlug ich auf den Baum ein, dann lief ich wieder über die Wiese. Ich fand einen kleinen Ast und schleuderte ihn gegen einen Baum.
"Hey, was soll das!?", hörte ich eine weibliche Stimme hinter mir. Ich drehte mich um.

Okay, Kapitel zwei ist fertig.
Für wen das der Wutausbruch etwas seltsam war: Jay musste mal Dampf ablassen und er war blind vor Hass, so dass er nicht so genau wusste, was er da gemacht hat.
Ich hoffe es ist jetzt für diejenigen von euch, die es nicht nachvollziehen konnten besser zu verstehen.
Liebe Grüße Mallinskastorys

Wie kann das seinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt