Fragen, auf die es keine Antworten gibt

19 3 0
                                    

Zuhause stellte ich für Milla und mich schnell etwas Brot auf den Tisch und nachdem wir gegessen hatten brachte ich sie ins Bett, denn es war schon es halb acht. Aber Milla wollte noch nicht schlafen, stattdessen fragte sie mich über Mara aus. "Du Jay, das Mädchen heißt Mara, aber wer ist das?", wollte sie wissen. "Ich kenne Mara aus der Grundschule, wir waren zusammen in einer Klasse, weißt du. Und letzte Woche habe ich sie getroffen und heute haben wir sie auch getroffen." "Ja, heute haben wir sie auch getroffen", stimmte sie mir zu, "warum hat sie mit dir geredet?" Ich stöhnte leicht auf. Das war eine schwierige Frage und ich wusste die Antwort ja selbst nicht so genau. Also entschloss ich mich, Maras Antwort zugeben und sagte: "Warum sollte sie nicht mit mir reden?" Milla guckte mich besserwisserisch an und sagte dann: "Niemand redet mit dir Jason, niemand!" Ich war sehr erstaunt, was Milla alles mitbekam mit ihren fünf Jahren. Ich wusste zwar, dass sie nicht dumm ist, aber nach dieser Aussage war ich doch etwas schockiert und das schlimme ist, ich konnte ihr nicht mal eine richtige Antwort geben, denn es war wieder etwas dass ich nicht richtig verstand. Mara hat zwar versucht, es mir zu erklären, aber verstanden hatte ich es trotzdem nicht ganz. Dann kam noch hinzu, dass ich es Milla auf keinen Fall so sagen konnte, wie Mara es mir gesagt hatte, denn Milla würde es nicht verstehen, denn sie dachte ja, dass es normal sei, von mir versorgt und erzogen zu werden und ich wollte ihr das Leben nicht noch schwerer machen, als es eh schon für sie war. Ich konnte ihr einfach nicht sagen, dass wir anderes sind als andere Familien und somit riskieren, dass sie dem Ekel wohlmöglichirgendwelche Fragen stellte, für die er sie schlagen würde, wenn er und meine Mutter denn dann mal wieder da wären. Also sagte ich nach einiger Zeit, in der Milla mich erwartungsvoll ansah: "Es gibt Menschen, die nett sind Milla weißt du und es gibt Menschen, die so nett sind, dass es ihnen egal ist, ob andere Menschen mit jemandem reden oder nicht, sie tun es trotzdem. Mara ist so ein Mensch, es ist ihr egal, ob jemand mit mir redet." Milla sah mich mit großen Augen an. "Mara ist ein netter Mensch?", wollte sie wissen. "Ja, Mara ist nett", war meine kurze Antwort darauf, "Aber Milla, du musst jetzt schlafen, es ist schon spät." Sie schaute mich beleidigt an und verschränkte die Arme vor der Brust. "Ich bin aber nicht müde", behauptete sie, doch ich sah, wie sie ein Gähnen unterdrücken musste. "Doch du bist müde, ich seh' das. Komm leg dich jetzt hin und schlaf, ich lasse auch das Licht an und wenn was ist, bin ich in meinem Zimmer", flüsterte ich ihr zu und verließ das Kinderzimmer.
Ich hörte, wie die Tür aufgeschlossen wurde und schaute kurz auf um zusehen, wer da kam. Es war meine Mutter und das Ekel. Eigentlich hätte es mir egal sein können, weil sie oder David sind beide keine angenehme Gesellschaft, aber in diesem Moment wünschte ich, es wäre David gewesen. Ich hatte keine Lust meine Mutter zusehen und auf meinen Stiefvater konnte ich auch gut verzichten. Ich seufzte leicht und ging in mein Zimmer um noch ein paar Hausaufgaben zu machen, als ich hörte, wie jemand Milla's Raum betrat und anschließend wieder raus ging. Irgendwie war es komisch. Eigentlich ging abends niemand mehr in das Zimmer von außer mir.
Denn auch das Ekel, kümmerte sich auch nicht wirklich um seine Tochter, was ihn in meinen Augen noch unsympathischer machte. Er weckte sie zwar morgens und half ihr beim Anziehen und brachte sie dann in den Kindergarten und holte sie auch wieder ab, aber meistens schrie er dabei rum und schlug auch mal zu und sobald Milla aus dem Kindergarten abgeholt war, ließ er sie alleine. Dann war sie manchmal über zwei Stunden alleine in der Wohnung, bis ich nach Hause kam und das war etwas, das mich noch wütender machte, als die Tatsache, dass er sie schlug. Kein Vater und keine Mutter würden ihr fünfjähriges Kind so lange alleine Zuhause lassen. Das machten nur meine Mutter und ihr Freund.
Gegen 21:30 Uhr hörte ich erneut die Wohnungstür und ein paar Sekunden später kam David ins Zimmer. Innerlich stöhnte ich genervt auf, den wollte ich heute eigentlich auch nicht mehr sehen, obwohl ich mir vorhin gewünscht hätte, dass er es war, aber ich konnte nichts machen. David wohnte jetzt zwar erst seit fast drei Wochen bei uns, aber es kam mir viel länger vor. Bis heute wusste ich weder, warum mein Vater ihn zu uns gebracht hatte, noch warum meine Mutter ihn aufgenommen hat, obwohl sie sich eh nicht für ihn interessierte. Sie interessierte sich für ihn genau so wenig wie für Milla und mich, aber das wunderte mich erst auch nicht wirklich. Aber als ich mir Gedanken darüber machte, warum unsere Mutter sich um Milla und mich nicht kümmert und zu dem Schluss kam, dass ich schuld war, da wunderte ich mich schon, warum sie David auch mehr oder weniger ignorierte. Schließlich hatte ich mit ihm vorher nie etwas zu tun gehabt. Die Tatsache, dass ich schuld war, könnte Mara mir zwar mehr oder weniger ausreden, aber ich würde den Gedanken nicht los, dass ich etwas damit zutun haben musste.
Als David das Zimmer betrat wurde mir bei seinem Anblick fast schlecht. Er sah aus wie immer, aber nach dem heutigen Gespräch mit Mara und den fragen von Milla, auf die ich keine Antworten hatte, reichte es aus. David sah fast aus wie ich. Relativ groß, leicht gelockte dunkelblonde Haare, aber er hatte Muskeln, die ich nicht mal im Traum besaß. Diese Ähnlichkeit, machte meine Übelkeit noch schlimmer. Wie konnte jemand, der so ekelhaft, egoistisch und selbstverliebt war, aussehen wie ich und dann auch noch mit mir verwand sein? Schon wieder eine Frage, auf die ich keine Antwort hatte. Ich fragte mich auch, warum mein Vater ihn zu uns gebracht hatte und warum ich bis dahin nichts von ihm wusste. Diese Frage quälte mich, seit er bei uns in der Tür stand, aber als ich ihn fragte sagte er nur: "Ich wusste, dass es dich gibt, aber dass du so ein Lappen bist, hätte ich nicht erwartet." Da hatte er mich vielleicht drei Sekunden gesehen und direkt beleidigt. Zugegeben, "Lappen" war keine schlimme Beleidigung, aber es war trotzdem hart.
David ließ sich auf sein Bett fallen und tippte auf seinem Handy rum. Ich überlegte kurz, ob ich etwas sagen sollte, ließ es dann aber sein, schließlich würde er mich eh ignorieren oder mir eine Beleidigung an den Kopf werfen. Also wand ich mich wieder meinen Hausaufgaben zu und ging, als ich sie fertig hatte ins Bad, um mich umzuziehen und dann schlafen zugehen, schließlich war morgen Schule.

Als ich am Donnerstag aufwachte, stellte ich fest, dass es für meine Verhältnisse recht spät war und dass ich ziemlich gut geschlafen hatte.
In einer halben Stunde würde der Rest meiner sogenannten Familie aufstehen und ich hatte keine Lust auf irgendwelche nicht vorhandenen Unterhaltungen. Also zog ich mir schnell ein paar Klamotten über und ging in die Küche um mir Frühstück zu machen. Ich schaute aus dem Fenster. Auf dem großen Baum im Hof saßen schon viele Vögel und zwitscherten vor sich hin. In diesem Moment wünschte ich mir ein Vogel zu sein. Nicht unbedingt weil sie fliegen können, wobei dass ein positiver Nebeneffekt wäre, aber sie sahen so friedlich und unbeschwert aus, dass ich mich am liebsten zu ihnen gesetzt und meine Probleme vergessen hätte.

Wie kann das seinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt