29. Kapitel

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darling, no one's soul is pure.
we are not here to stay clean.

Gab es Dinge, die man nicht verzeihen konnte? Die Frage kreiste in meinem Kopf herum wie eine lästige Mücke. Letztendlich bat er mich um Verzeihung und konnte mich nicht dazu zwingen. Dazu nicht. Dennoch verwarf ich all meine Sorgen.
Es machte mich nicht zu einem besseren Menschen, jedoch fühlte mein Herz sich kurz danach so viel ... leichter an.

Tatsächlich sah ich Carter die Tage darauf immer öfter. Wir verbrachten Nachmittage und Wochenenden zusammen, zwei Wochen lang. Von Evan? Keine Spur. Stattdessen vergaß ich die Zeit, indem ich sie mit Carter und Gwendolyn verbrachte. Letztere half mir stark über all das hinwegzuschauen. Zu vergessen.
Ich brachte es nicht übers Herz, überhaupt irgendjemandem von den Geschehnissen zu erzählen, doch mit den Tagen schien es, als wäre das gar nicht mehr nötig. Ich fand wieder in meinen Alltag und um ehrlich zu sein, wusste ich nicht, ob das bedauernswert war oder nicht. Ich vermisste ihn. Es waren die ruhigen Momente, in denen ich alleine war, in denen meine Gedanken abschweiften.

Es war spät in der Nacht, als mein Handy klingelte und Gwendolyns Name auf dem hellen Bildschirm angezeigt wurde. Sofort ging ich in der Sorge, dass vielleicht etwas passiert war, ran. "Kommst du raus?", fragte sie mich geradeheraus und ich hielt inne. "Jetzt?", flüsterte ich und konnte den piepsigen Ton in meiner Stimme nicht unterdrücken. "Wir warten vor deiner Tür!", sagte sie schnell und schon legte sie auf. Für einige Sekunden starrte ich auf mein Handy und man hätte meinen sollen, dass bereits kleine Rauchwolken von dem ganzen Nachdenken meinen Kopf emporstiegen. Als ich dann jedoch realisierte, dass Gwendolyn wahrscheinlich bereits vor unserem Haus parkte, stand ich wie von der Tarantel gestochen auf und steuerte die Haustür an. Wenn es nach mir ginge, wäre ich am liebsten die Treppen heruntergepoltert oder -gerannt, doch da mein Vater sehr wahrscheinlich bereits schlief, musste ich auf die stillere Variante umsteigen.
Mein Adrenalinpegel stieg und meine Laune sank. Ich wusste selbst nicht wieso. Eigentlich wollte ich gerade auch lieber im Bett liegen.

Innerhalb eines tiefen Atemzuges öffnete ich unten die Tür und tatsächlich erblickte ich einen silbernen Wagen. Carter war wohl auch da. Mit meinen pinken Hausschuhen, die mich meist an flauschige Wolken erinnerten, tapste ich also über das frisch gemähte Gras und meine Laune sank - falls überhaupt möglich - noch mehr. Es hatte geregnet.
Kleine weiße Nebelschwaden bildeten sich in der kalten Nachtluft, als ich ausatmete und ich wartete ungeduldig darauf, dass das Fenster heruntergefahren wurde.

Gwendolyn schaute mich mit tellergroßen Augen an, als sie mich in meinem Schlafanzug sah, doch Carter lachte nur. "Willst du dir nichts überziehen?", fragte er mich dann schelmisch grinsend und ich schnaubte bloß. Ich hatte nicht vor, heute Nacht noch einen kleinen Ausflug zu machen. "Steig ein, Eden. Wir sind schon spät dran.", verlangte Gwendolyn und ich runzelte fragend die Stirn. "Wo wollt ihr denn hin?", fragte ich und konnte nicht verhindern, dass meine Zähne frierend aufeinander klapperten. "Das wirst du schon sehen.", sagte die Blondine geheimnisvoll und lachte aufgeregt. Tatsächlich machte ich mir Sorgen. Gwendolyn schien Probleme viel zu oft magisch anzuziehen. Was sollte es heute werden?
Am meisten regte es mich jedoch auf, dass sie mich immer mit rein zog. Vielleicht war das aber auch meine Schuld.

Es dauerte nicht lange, da bettelte Gwendolyn mich bereits an, heute Abend mitzukommen. Eine Ausnahme zu machen. Sie seien nur für mich diesen Umweg gefahren, um mich abzuholen. Leise seufzte ich und verschränkte die Arme ineinander. "Ist ja schon gut.", gab ich nach und sie klatschte glücklich in die Hände. Schnell stieg sie aus und zerrte mich in den Wagen hinein. "Unsere Tür.", sagte ich schnell und wollte wieder aussteigen, doch sie kam mir eilig zuvor. Schnell lief sie auf unser Haus zu und knallte nicht gerade leise die Haustür zu. Ich konnte von Glück sprechen, dass wir einen Ersatzschlüssel für den Fall, falls wir uns ausschließen sollten, parat hatten.
Wehmütig dachte ich an meinen Vater und wünschte, ich hätte ihm Bescheid gegeben. Doch andere Sorgen überschattet diesen Gedanken: Ich hatte mich nicht umgezogen. Zwar war es im Auto deutlich wärmer, doch gerade trug ich nicht mehr als eine weite, graue Schlafhose und ein rosa Shirt, welches farblich zu meinen Hausschuhen passte. Wahrscheinlich war es viel größeres Glück, dass es zu dunkel war, um zu sehen, dass ich darunter nichts trug.

⚜⚜⚜

Noch nie war Carter so schnell gefahren. Mit rasendem Herzen und flauen Magen hatte ich meine Finger um den Haltegriff gekrallt und betete, dass wir diese Fahrt heile überstehen würden. An Schlaf habe ich schon nicht mehr gedacht, seitdem wir die erste Ampel überquert hatten. Gwendolyn hingegen schien das Lächeln nicht aus dem Gesicht schwinden zu wollen. Während ich also mit meiner Übelkeit kämpfte, lachten und witzelten die beiden vor mir sorgenlos herum.
Die Lichter rasten nur so an uns vorbei und erst als man sie wieder deutlich erkennen konnte, erlaubte ich mir wieder normal durchzuatmen. Und ich dachte, meine Klausuren seien immer der größte Stress gewesen.

Als wir unser Ziel erreichten konnte man bereits von außen laute Musik hören, welche selbst das Innere des Wagens zum Pulsieren brachte. Grüne, rosa und gelbe Lichter drangen durch das getönte Glas der Fenster zu uns durch. Wo waren wir? Meine Gedanken und mein Herz überschlugen sich. Ohne auf mich zu warten stiegen Gwendolyn und Carter aus dem Wagen und ließen mich alleine zurück. Zum ersten Mal wünschte ich mir, ich hätte die beiden niemals miteinander bekannt gemacht. In einigen wichtigen Punkten waren sie sich zu ähnlich.

Mit noch immer zitternden Händen, schaffte ich es, die Tür zu öffnen und hinauszutreten.
Frierend verschränkte ich die Arme ineinander und musste staunen, als ich sah, was sich vor mir erstreckte. Ich hatte bereits oft von solchen Treffen gehört, doch soweit ich wusste, war alles immer ziemlich geheim gehalten worden. Ich hielt inne. Woher wussten Carter und Gwendolyn hiervon? Ich hätte gedacht, dass Letztere Straßenrennen bereits als total uncool und kindisch abgestempelt hätte. Und dennoch waren wir hier.

EVAN ✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt