Kapitel sieben

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"Alec?"
"Lilli?"
Mir fielen plötzlich so viele Sachen ein, die ich noch wissen musste, die wichtig waren...
"Was willst du mit deinen Drohungen erreichen... ich meine... Geld?" Er lachte leise und fuhr sich mit der Hand durch die dunklen Haare. "Nein. Ich will Wahrheit. Dass er dir sagt wer du bist." "Weißt du, dass sich das verdammt nach einem Thriller anhört?" Wieder lachte er zur Antwort. Wir saßen auf einer der Bänke, deren Holz sich angenehm kühl anfühlte. "Wer bin ich denn?", fragte ich leise. "Die Tochter deiner Mutter", erwiderte er ohne zu zögern. "Es geht also nur um Louiana?" "Im Prinzip, ja." Er lächelte mich an und mir wurde ganz warm. Es fühlte sich an, als würde sein Lächeln die ganze Kirche ausfüllen, jeden Winkel, und war doch nur für mich bestimmt. Wir schwiegen wieder. "Lilli?" "Alec?" Wir lachten beide über die Routine unseres Gesprächs. "Erzähl mir was über dich. Über deine Freunde." Nun lächelte ich. Obwohl es sich krank anhörte. Alec konnte doch auch nur irgendein Verrückter sein, der mir alles vorlog. Ein kranker Stalker, irgendwas. Mir wurde schlecht von dem Gedanken. Aber ich wollte ihm vertrauen. Es war, als würde ich meinen Verstand ignorieren und nur auf mein pochendes Herz, meine kribbelnde Haut, meine um Alec kreisenden Gedanken hören. "Also, da ist Nora... Ich kenne sie seit der Grundschule und sie war da schon meine beste Freundin." Ich lächelte versonnen. "Dann sind da Jess und Louis, Zwillinge. Sie sind seit einem Jahr auf meiner Schule. Lieb und verdammt lustig." Mir fiel ein, dass ich die beiden seit ein paar Tagen nicht mehr zu Gesicht bekommen hatte. Sie waren warscheinlich mal wieder mit ihrer Mutter bei irgendeiner Mathe-Fortbildung. Ich beschloss, sie morgen mal zu suchen. "Ach ja und..." Und Josh wollte ich sagen. Aber es blieb mir im Hals stecken. "Wirst du noch mehr Briefe schreiben?" fragte ich schnell, um nicht weiter über Josh reden zu müssen. "Jetzt hab ich dich. Ich kann dir die Wahrheit selbst sagen. Wozu brauche ich deinen Vater?" Seine Augen glitzerten und plötzlich sah er bedrohlich aus. Für einen kurzen Augenblick war er der Alec, den ich Angst hatte in ihm zu finden.

"Wo sind eigentlich Jess und Louis?" fragte ich Nora am nächsten Montag. Ich hatte, natürlich, vergessen ihnen zu schreiben... Ich musste Nora ins Gesicht schreien, damit sie mich verstehen konnte. Wir standen in der überfüllten Cafeteria und waren auf der Suche nach einem Tisch. "Gute Frage", erwiderte Nora und schob sich an einem Jungen vorbei, der wild gestikulierte und Nora fast eins übergezogen hätte. Kurz verlor ich ihren schwarzen Haarschopf aus den Augen, dann sah ich sie wieder an einem leeren Tisch stehen und winken. "Dieser Laden ist eindeutig nicht für mehr als 500 Schüler konzipiert!", sagte sie und rempelte demonstrativ einen kleinen Jungen an, der sie verstört anblinzelte und sich dann schnell aus dem Staub machte. Ich musste lachen. "Das ist aber nicht die feine englische Art!" "Es ist auch nicht die feine englische Art, einen Magen zu haben, der so laut knurrt, dass es bestimmt die halbe Schule hört, also ist diese 'feine Art' sowieso schon am Arsch." "Nora Christina Anderson! Was sind das denn für Kraftausdrücke?" ertönte plötzlich Jess' Stimme. Sie setzte sich zu uns und hob eine Augenbraue. "Entschuldigen sie mich, Miss Jessica. Aber wir können später gerne weiter diskutieren. Ich geh mich anstellen. Soll ich euch was mitbringen?" "Gerne", erwiderte ich, dankbar, mich nicht erneut durch die Mensa quetschen zu müssen. "Jess?" "Danke, keinen Hunger" "Okay, bis gleich!"
Jess und ich schwiegen kurz, dann fragte ich: "Wo ist eigentlich Louis? Und wo wart ihr die letzten Tage?" Jess seuftzte und grinste schief. "Unsere Mum war auf ner Fortbildung. Und wir mussten mit." Irgendwie verstand niemand so genau, was Jess' und Louis' Mutter arbeitete. Irgendwas mit Technik und Mathe. Sowieso nicht so mein Ding. "Und ehrlich gesagt" fuhr sie fort "hab ich keine Ahnung, wo sich mein lieber Bruder herum treibt... Das letzte mal als ich ihn gesehen habe, ist er mit Josh in Richtung Computerraum..." "Tag die Damen," Louis. Na klar. "Hey, Josh", sagte Jess und ignorierte ihren Bruder. Ich wollte etwas sagen, ließ es aber. Es änderte doch sowieso nichts.
"Wir kriegen nen neuen Schüler", sagte Josh und tat, als hätte er mein Schweigen nicht bemerkt. Das hatte er aber. Ganz sicher. "Sieht er gut aus?" fragte Nora und schob mir mein Sandwich zu. "Woher soll ich das wissen?" "Weißt doch sonst immer alles." "Nicht so viel wie du, Madame!" "Schleimer!" "Man tut was man kann!", erwiderte er und sah mich direkt an. Ich hatte seine und Noras Kabbelei bis eben genossen, doch jetzt beschlich mich wieder dieses Schuldgefühl. "Heute ist ja erst Montag", stöhnte Nora, die meine missliche Lage bemerkt hatte. "Ich hasse Montage", murrte jetzt auch Jess. "Aber mal zurück zu dem Neuen!", sagte ich schnell und sah Josh so ruhig wie möglich an. "Wo kommt der her, wer ist er?" "Neu hergezogen, glaube ich. Mehr weiß ich auch nicht", sagte er bedauernd. "Lassen wir uns überraschen", meldete sich Louis zu Wort. Wir nickten alle zustimmend und aßen schweigend weiter. Als es zur siebten Stunde klingelte, ahnte ich rein gar nichts, was für ein Chaos mir bevor stand.

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