Ein Blick auf den überfüllten Bus genügte und ich beschloss, nach Hause zu laufen. Frische Luft konnte meinem Kopf - der warscheinlich noch überfüllter war als der verdammte Bus - ja nicht schaden. Die sechs Schulstunden waren schneller vergangen als ich befürchtet hatte. Josh war mir so gut es ging aus dem Weg gegangen. Was mir sehr recht war. Es war so furchtbar, ihm zu sagen, dass ich noch nicht so weit war und mich dann kurz darauf in einen anderen zu verlieben. Wobei verlieben das falsche Wort war. Alec faszinierte mich. Der Gedanke an ihn ließ mich erzittern. Ich spürte seine Berührungen, seinen Atem immer noch. Ich dachte nur an ihn. Es war nicht dieses süßliche Verliebtsein, bei dem man den anderen ansieht und schnell weg guckt, wenn dieser es bemerkt. Nicht diese Freude, wenn man dem anderen nah sein konnte. Es war auf unerklärliche Art ein Drang, der mich immer wieder an Alec denken ließ.
Ich sah nicht nach vorn. Ich bemerkte die anderen Schüler, die redend und lachend an mir vorbei drängten, kaum. Ich sah auf meine Stiefeletten - meine Chucks waren ja noch nass - und beobachtete, wie meine Beine einen Fuß vor den anderen setzten, als gehörten sie nicht zu meinem Körper. Der Weg zog sich ewig hin und jeder Schritt kam mir furchtbar schwer vor. Als unser Haus endlich hinter der nächsten Straßenecke auftauchte, seufzte ich. So viel Geborgenheit und Sicherheit dieser Ort auch ausstrahlte, war mir der Ernst der Lage völlig bewusst. Dad war noch im Büro, als ich ankam, und so verkroch ich mich direkt in mein Zimmer. Ich zog mein Handy aus der Hosentasche und überflog die Nachrichten. Soraja wünschte uns ein schönes Wochenende... Oh, es war ja schon Freitag... Nora und Josh diskutierten in einem Gruppenchat - ich hasste die Dinger - über Mrs Jokobs' neue Frisur und dann war da noch eine unbekannte Nummer...
HeyWer bist du?
Keine drei Sekunden später kam die Antwort:
Alec
Ich erschauderte. Das war unmöglich! Da wollte mir jemand einen Streich spielen, irgendwas aber das konnte doch nicht Alec sein. Der Erpresser meines Vaters schrieb mich doch nicht einfach an...Beweis es mir
Tippte ich mit zittrigen Fingern.
Wir waren in einer Kirche
Es musste Alec sein. Wer sonst könnte davon wissen...
Woher hast du meine Nummer?
Ich hab Kontakte
Du bist unvorsichtig
Ich weiß
Wo bist du, Alec?
So unvorsichtig nun auch wieder nicht
Bist du in der Nähe?
In DER Nähe oder in DEINER Nähe?
In meiner
ja
Alec war in meiner Nähe. Ich atmete hörbar aus. Er war da.Ich will dich sehen. Alec. Ich will dich sehen.
Dann komm.
Wohin denn?
Was glaubst du denn?
Ich hasse Rätsel
Es ist doch offensichtlich
Worauf wollte er hinaus? Ich hatte doch keine Ahnung, wo genau er war. Ich wusste doch nicht... Doch. Natürlich.
Okay
In 10 Minuten?
Ja
Als ich die Treppe hinuntersprang überlegte ich mir schon eine Ausrede für Dad, wo ich hinging. Doch es war überflüssig. Dads Wagen parkte weder in der Auffahrt noch war er in der Ferne zu sehen. Ich rannte los, plötzlich kamen mir meine Beine nicht mehr schwer vor. Im Gegenteil. Ich rannte ohne Seitenstechen, ohne die Kälte zu spüren.
Bevor ich die prunkvolle Holztür zu Brides Church ausstieß, atmete ich tief durch. Was wenn ich mich geirrt hatte? Wenn Alec gar nicht die Kirche sondern etwas komplett anderes gemeint hatte? Doch meine Sorge war unbegründet. Alec saß still auf der vordersten Kirchenbank und sah starr zum Altar. Er sah sich nicht um als ich näher kam. Erst als ich mich neben ihn setzte sagte er mit rauer Stimme: "Da bist du also". "Ja, hier bin ich" wisperte ich noch, bevor ich mich in seinen Augen verlor.
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Unforgivable
RomanceLilli lebt zusammen mit ihrem Vater ein ganz normales Leben in London. Normal bis zu dem Tag an dem sie erfährt, dass ihr Vater erpresst wird. Von jemandem, der nur mit ihr reden will. Dieser jemand ist Alec. Der leider verdammt schöne Alec.