Kapitel neun

30 3 0
                                    

"Irgendwas Neues in der Schule?" Ist mal jemandem aufgefallen, dass das wirklich eine Frage ist, die fast alle Eltern stellen? Und dann kommt immer, so wie jetzt, "Nee, eigentlich nicht." Doch anders als in meinem Fall ist das meistens keine verdammte Lüge. Man vergisst mal, die fünf in einem Vokalbeltest zu erwähnen oder die geschwäntze Relistunde, aber ganz sicher verschweigt man nicht die Anwesenheit des Erpressers in der eigenen Klasse. Dad saß an seinem Schreibtisch und tippte auf der Tastatur seines Computers ohne aufzusehen, als ich sein Büro betrat und ihm einen Kaffee auf den Tisch stellte. "Trink, sonst wird er kalt", sagte ich nur und hörte noch ein "Danke, Süße" als ich die Tür hinter mir schloss. Ich hatte eine ganze Menge Hausaufgaben auf, also beschloss ich das Essen, zumal ich sowieso noch keinen Hunger hatte, einfach zu verschieben.
Zwei Inhaltsangaben, ein Aufsatz und drei Arbeitsblätter später lehnte ich mich in meinem Schreibtischstuhl zurück und fischte mein Handy aus dem schwarzen Rucksack neben mir. Erst öffnete ich eine Nachricht von Louis, der mich nach einer Englischhausaufgabe fragte. Dann Liams Nachricht:

Liam und Lilli, wird das was?

Ist das ein Flirtversuch?

Wer weiß

Jetzt mal ehrlich, was genau bin ich für dich?

Viel

Geht das genauer?

Dabei blieb es. Er antwortete nicht mehr. Ich seuftze. Als ich resigniert das Handy sinken lassen wollte, empfing es plötzlich eine Nachricht von Jess.

Hey Lilli
Nora, Louis, Liam, Josh und ich wollen heute Abend um 7 Bowlen gehen? Kommst du mit?<3
xxJess

Liam gehörte jetzt also dazu. Mir sollte es recht sein. "Dad?" rief ich. "Daaaaad!" "Was zum Teufel ist denn los, Lilli? Ich arbeite!" brüllte er zurück. Ein wenig genervt sah ich auf die Uhr. Noch zwei Stunden bis ich an der Bowlinghalle sein musste. Was fing ich bloß mit diesen verdammten zwei Stunden an? Und sollte ich Dad wirklich sagen mit wem, wann und wo ich mich traf? Vorsicht ist ja bekanntlich besser als Nachsicht, als rief ich: "Ich treffe mich mit Nora!"
Dass Nora noch nichts von ihrem Glück wusste, musste Dad ja nicht wissen.

"Nora? Hey, ich bin's... In einer viertel Stunde bei dir?" "Klar", hörte ich sie durchs Telefon sagen. "Gut, soll ich Pizza mitbringen? Ich hab so Hunger!" Sie lachte. "Lilli, iss beim Bowlen was. Du Vielfraß." Dann legte sie auf. Dann eben keine Pizza.
Kurz nachdem Nora mir mit den Worten: "Schon verhungert?" die Tür geüfgnet hatte, saß ich auch schon im Schneidersitz auf ihrem großen Himmelbett und sah sie erwartungsvoll an. "Wie lange hatten wir sowas nicht mehr?" seuftze sie und setzte sich mir gegenüber. "Was denkst du über Liam?" fragte ich nach einer kurzen Pause. Sie strich sich das lange schwarze Haar zurück und fixierte mich mit ihren dunkelbraunen Augen. Ich schätze ihre Meinung sehr; ich wusste, dass niemand Personen so gut einordnen konnte wie sie. Ihr Blick glitt am Bett hinunter, auf den Boden und wieder zu mir. "Er ist ein bisschen..." begann sie, "sagen wir mal undurchsichtig. Es ist schwer ihn einzuordnen, weil er wirklich nur seine Scharle zeigt. Ich habe noch nie einen Menschen gesehen, der seine Persönlichkeit so gut verstecken kann." "Ja, das hab ich auch gemerkt." murmelte ich. "Und Jess? Sie mag ihn oder?" "Naja, so wie ich Jess kenne ist sie vorsichtig. Aber nach dem Motto 'Wen man hat, den hat man und kann ihn immernoch gehen lassen' probiert sie sich möglichst von ihrer besten Seite zu zeigen." "Wo nimmst du das immer alles her?" lachte ich. Es war wirklich erstaunlich, welche Menschenkenntnis dieses Mädchen mit sich herum schleppte. "Keine Ahnung, aber ich weiß, dass du irgendwas versteckst, dass mit ihm zu tun hat." Ich wurde rot. Konnte ich Nora alles erzählen? "Ich weiß nicht. Irgendwas ist da..." stotterte ich und schwieg dann. "Dieses 'Irgendwas' sagt mir jedenfalls, dass es zwischen unserem lieben Josh und Liam Probleme geben wird." Ich wollte etwas erwidern doch Nora schnitt mir das Wort ab, "Ich geh dir ein Sandwich holen!", und verließ das Zimmer.

"Hey, na?" begrüßte uns Jess fröhlich. Sie trug eine enge schwarze Jeans und ein zartes cremefarbenes Top. Ihre blonden Haare fielen ihr in sanften Locken über die Schultern. Sie sah umwerfend aus. Ich hatte mich einfach für eine helle Jeans entschieden und trug dazu einen grauen Pulli. Es sah schlicht aus, betonte aber meine grünen Augen. Womit ich sehr zufrieden war. "Seid ihr die ersten?" fragte ich Jess und sah zu Louis hinüber, der gelangweilt auf seinem Iphone herum tippte. "Jap!" erwiderte Jess und rief plötzlich: "Josh, Liam, huhu! Hier sind wir!" Ich sah die beiden Jungs erst, als sie die kleine Treppe zur Bowling-Bahn hinunter stiegen, lachend, und mir wurde klar, dass sie Freunde werden könnten. Werden würden.
Um mich nicht weiter mit dem Gedanken zu beschäftigen, ob das gut oder schlecht war, gesellte ich mich zu Nora um mit ihr zu beobachten, wie Jess erst Josh und dann Liam umarmte. Ich stellte fest, dass mich letzteres gar nicht weiter störte; ich mich sogar eher freute, dass sich die anderen so gut mit Liam verstanden. Als ich Josh zur Begrüßung umarmte, wisperte er mir etwas ins Ohr, was mir eine Gänsehaut bereitete. "Gib mir noch eine Chance, Süße." Ich erwiderte nichts und als er sich von mir löste, tat er als sei nichts gewesen. Er strich sein schwarzes Shirt glatt und fing an mit Nora über seine Bowlingkünste zu diskutieren. "Hey Du!" sagte Liam plötzlich sehr dicht neben meinem Ohr, in das Josh soeben hinein gewispert hatte. Er umarmte mich un d murmelte: "Kommen wir eigentlich öffiziel zusammen?" Ich schnappte nach Luft. Hier waren mir eindeutig zu viele Jungs mit seltsamen Signalen, von denen ich nicht wusste, wie ich mit ihnen umgehen sollte. Aber das Schlimmste war, dass ich keine Ahnung hatte, wie ich den Abend überstehen sollte.

UnforgivableWo Geschichten leben. Entdecke jetzt