Kapitel 8

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Wenn die beiden laut miteinander sprachen, verstand ich fast jedes einzelne Wort. Sie redeten allerdings nicht allzu oft und schon gar nicht über ihre nächsten Vorhaben, welche mich betrafen. Bis auf diesen Morgen. Ich war vom Tag zuvor noch etwas durcheinander, doch als ich diese Worte hörte, welche die beiden wechselten, blieb mir fast die Luft weg. "Ich habe eben mit ihm gesprochen und er meinte wir könnten die kleine Maus morgen vorbei bringen." sagte der eine. "Okay, dann steht es also wirklich fest, wir geben sie zur Adoption ins Ausland frei!" erwiderte der andere. Mir war natürlich sofort klar, das ich gemeint war. Plötzlich überkam mich eine Gänsehaut am ganzen Körper. Das wollten die doch nicht wirklich durchziehen oder? Ich würde meine Familie nie wieder sehen. Ich fing an zu weinen und kam aus der erstickenden Enge nicht mehr hinaus. Diese unbeschreiblich, große Angst. Ich hatte zwar schon immer das Gefühl gehabt, nicht richtig zu meiner Familie dazuzugehören, aber ich war doch erst 15. Man konnte mich doch nicht einfach aus meinem verdammten Leben reißen! Ich fing an mir Dinge einzureden und vor allem schönzureden, bis ich laute Schritte hörte. Ein Mann betrat den Raum und verband mir die Augen. Er stopfte mir einen Büschel Watte in den Mund, sodass ich gezwungen war, kein Mucks mehr von mir zu geben. Ich litt unter einem Strudel von Gedanken, welche wie ein Fluss durch meinen Kopf sprudelten. Der Mann riss mich an meinem Arm hoch und schliff mich die Treppe hinauf. Nicht das die ganzen Verletzungen ohnehin schon genug weh taten! Vor dem versifften Haus stand sein schwarzer Wagen, in dessen  Kofferraum ich ein weiters Mal verbannt wurde. Auf der Autofahrt, welche sich anfühlte, als würden Tage vergehen, sprachen die beiden kein Wort miteinander. Eine schreckliche Verunsicherung zudem war die Zeit. Ich wusste jetzt schon nicht mehr welcher Tag war. Ich wusste nie die genaue Uhrzeit, traute mich jedoch auch nicht nachzufragen. Als wir angekommen waren, wurde ich mit verbundenen Augen in ein Gebäude geführt, in welchem mir das Licht zum sehen wiedergegeben wurde. Ein dreckiges, großes Gebäude, mit vielen Menschen. Ich bekam Platzangst und wurde panisch. Ich war es nicht mehr gewöhnt unter viele Menschen zu kommen. Ein heiloses durcheinander herrschte in dem überfüllten Bau. Ein Gewimmel von Leuten, welche alle durcheinander redeten und das in einer unbeschreiblichen Lautstärke. Der Schall, welcher an den hohen, breiten Wänden abprallte machte mich wahnsinnig. Dieses Bauwerk war mit einem Flughafen zu vergleichen. Hastig gingen wir zielstrebig geradeaus und betraten einen weiteren Raum. Es war ein schön eingerichtetes, warmes Büro, welches man nicht mit dem Rest vergleichen konnte, was ich von diesem Gebäude bisher gesehen hatte. Ein gut gebauter Mann saß hinter einem großen Schreibtisch, welcher uns anscheinend schon erwartete. "Na da seid ihr ja endlich! Das ist sie also? Schönes Mädchen." sprach er. Einer der beiden Männer gab zur Antwort: "Ja, das ist sie. Also wohin?" "Dann kommt mal mit, kann allerdings etwas länger dauern heut. Es ist ziemlich viel los." antwortete er und wir folgten ihm aus dem Raum hinaus. Die ganze Zeit über hatte ich noch kein Wort gesagt. Ich hatte einfach nur Angst.  Wir gingen links um die Ecke und durchdrängten eine weitere Türe. Eine lange Warteschlange, stand vor einem verwinkelten Flur. Der lange, dunkle Flur führte ins Nichts. Man sah nicht viel, da hier alles, bis auf das Büro, in schwarz-grau gehalten war. Der Mann ging wieder, denn anscheinend wussten die beiden schon gut Bescheid darüber, was hier als nächstes geschah. Die machten das nicht zum ersten Mal. Als wir endlich nach stundenlangem Warten an die Reihe kamen, wurde ich wortlos in einen Käfig gepfercht, welcher auf einem Laufband den dunklen Flur entlang transportiert wurde. Ich sah nichts und man hörte nur das leise Motorgeräusch des Laufbands. Eng eingerollt saß ich also nun da, in einem Käfig eingesperrt. Am Ende war ein kleines Licht zu sehen. Angekommen in einer Menschenmassenhaltung. Vier Männer waren in einem Raum voller Käfige, gefüllt mit Menschen, umgeben. Sie sortierten die Käfige und stapelten sie. Jeder der Männer packte eine Seite des Käfigs und gemeinsam hoben sie einen hoch. Hier ging alles relativ zügig zu. Ich blickte in einige verstörte Gesichter und bemerkte schnell, das sie allesamt nicht älter waren als ich. Langsam begriff ich, dass das alles nicht ganz legal war. Am Ende des Raumes war eine Schleuse, durch welche wieder ein Laufband verlief. Dort wurde Käfig für Käfig draufgehoben und weitertransportiert. Ich fühlte mich, wie ein nutzloser Gegenstand, aber doch nicht mehr wie ein Mensch. Was wollten die überhaupt damit bezwecken? Nur um irgendwie an Geld zu kommen? So tief, so verdammt tief, kann doch keiner gesunken sein! Schließlich war ich an der Reihe. Schnell war ich wieder vom Laufband, und in einem weiteren Raum angekommen. Hier wurden die Käfige wieder gestapelt. Manchmal wurden sogar fünf aufeinander gestellt. Eng aneinander, damit keiner umfiel. Und hier war anscheinend auch Ende. Der Raum war fast ganz gefüllt. Nach mir kamen noch vier weitere Käfige und dann wurde die Türe der Schleuse geschlossen. Es war finsterer als die Nacht. Man hörte einige Schluchzer und laut weinende Mädchen. Denn mir war auch aufgefallen, das es nur Mädchen meines Alters waren, kein einziger Junge begegnete mir zuvor im Raum. Nach einer Weile wurde es laut und es fing an zu wackeln. Man hörte das Klirren und klappern der Käfige, welche sich in kurzen Abständen berührten. Plötzlich sprach eine zarte Stimme: "Käfig an Käfig in einem Flugzeug. Ich habe Angst. Was haben die mit uns vor?" Eine andere Stimme stotterte: "Eh, eh... I, in einem F, F, Flug-lugzeug?" Ich äußerte mich nun dazu: "Ja, ich denke auch das wir uns in einem Flugzeug befinden. Ich wurde die letzten Tage von zwei Männern festgehalten. Ich wurde tagelang in einem düsteren Keller eingesperrt und habe heute morgen mitbekommen, wie sie etwas von einer Adoption ins Ausland gesagt haben." Ein Schweigen brach aus. Nach einiger Zeit redeten manche Mädchen miteinander um die Zeit zu vertreiben. Wir versuchten uns gemeinsam ein wenig die Angst zu nehmen. Irgendwann nickte ich ein und wachte erst durch ein lautes Poltern auf. Ein Mädchen sagte weinend:" Wieder auf der Erde angekommen, weit weg von unseren Familien. Nie wieder, werden wir sie sehen. Aber trotzdem, kämpft um das was ihr erreichen wollt und gebt nie die Hoffnung auf, okay? Lasst den Kopf niemals im Leben hängen. Dafür sind wir noch zu jung. Viel Glück, euch allen!" Es brach ein wildes durcheinander aus. Ein Türe wurde geöffnet und ein paar Männer räumten die Käfige aus und trugen sie wieder auf ein Laufband. In einem großen Raum angekommen, standen viele Menschen mit einem Schild in der Hand, welches mit einer Nummer bestückt war. Jeder Käfig wurde der passenden Nummer zugeordnet. Ich wurde zu einem kleinen Mann eingeteilt, welchem außerdem noch ein zweites Mädchen zugeteilt wurde. Leise sprach sie zu mir:"Die letzten Worte eben, waren von mir. Hoffentlich bleiben wir zusammen." Ich erwiderte sanft:"Hoffentlich!" Tatsächlich, wir wurden aus den Käfigen befreit und folgten dem Mann, welcher uns befahl mitzugehen. Wir verließen das Gebäude und stiegen in seinen kleinen Wagen, welcher auf einem großen Parkplatz vor dem heruntergekommenen Gebäude stand. Die Hitze erschlug einen. Der kleine, abgemargerte Mann war dunkelhäutig und sah ziemlich arm aus. Er hatte ein altes, rostiges Auto. Wenn ich um mich blickte, sah hier keiner wirklich reich aus. Außerdem glaubte ich, dass wir ziemlich Glück gehabt haben, denn die anderen, welche ihr Mädchen oder mehrere abholten, waren sehr energisch und schrien rum. Dieser Mann hatte eine liebe Stimme und schrie uns kein Mal an. Er konnte kein Deutsch und sprach nur sehr undeutliches Englisch. Englisch konnte ich sehr gut. Manchmal mischte er ein paar Wörter dazwischen, welche sich anhörten, als wäre es Hindi. Ich glaubte, wir waren in Indien gelandet. Wir fuhren in ein sehr armes Viertel und uns wurde bewusst, das wir hier wohl nichts anderes als arbeiten mussten. In der Schule hatte ich schonmal ein Referat über die armen Menschen in Indien gehalten und wusste somit was auf mich zukam. Das würde wohl eine sehr harte Zeit werden.

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