Kapitel 9

155 13 0
                                    

Wir hielten an einem kleinen Häuschen an. Es war mit einem Strohdach bestückt und sah auch so, ziemlich baufällig aus. Der kleine Mann führte uns ins Haus und stellte uns seiner Frau vor. Uns fiel direkt die helle Hautfarbe der Frau auf und das hochgestochene, gute Deutsch. Sie sprach laut und aufgeschlossen, jedoch leicht verunsichert: "Guten Abend, ihr habt eine lange Reise hinter euch und wollt euch bestimmt ein wenig frisch machen oder?" Ohne eine Entgegnung von unserer Seite zeigte sie uns das Badezimmer. Verdreckt und einfach ekelerregend. Schließlich wuschen wir uns das Gesicht, mit wenigstens reinem Wasser. Wir gingen den gleichen Weg zurück wieder in die Küche und ich fragte leise: "Was haben sie mit uns vor? Was ist das für ein Spiel? Was soll das alles?" Die junge Frau antwortete entschlossen: "Ihr werdet jetzt hier leben. Für immer. Kommt mit, ich werde euch euer Zimmer zeigen. Es ist bescheiden, aber beschwert euch nicht. Geht in die anliegenden Häuser und seht, welch Luxus ihr hier habt." Wir schauten uns skeptisch und ein wenig ängstlich an, folgten ihr jedoch. Schließlich ließ sie uns mit abschließenden Worten alleine: "Wenn ihr noch etwas braucht, kommt hinunter in die Küche, um 20.00 Uhr gehen mein Mann und ich zu Bett, was ihr noch macht ist uns egal, allerdings rate ich euch frühzeitig schlafen zu gehen. Morgen werde ich euch in der Frühe um 4.30 Uhr wecken. Dann geht es auf die Felder! Gute Nacht." Als die Tür in das Schloss fiel herrschte nicht lange Stille. "Hier, schau mal, hast du Hunger? Hier steht ein fertiges Abendessen. Sieht nicht gerade lecker aus, aber wenn du genauso wenig zu Essen in den letzten Tagen bekommen hast wie ich, ist dir das egal." , sagte meine Mitbewohnerin. "Ja, Danke! Wie war dein Name noch? Ich heiße Anne. " ,sagte ich. "Vor lauter Aufregung haben wir uns einander ja noch gar nicht vorgestellt, mein Name ist Amelie.", sprach sie schmatzend. Nun nahm auch ich einen Löffel des nach schon mal gegessenen Essen aussehenden Essens. Wir schwiegen keine Minute, wir redeten noch bis tief in die Nacht, erstaunlicher Weise aber nicht über die Situation in der wir steckten, sondern über unsere ähnliche Vergangenheit. Auch Amelie hat sich in ihrer Familie nie Willkommen gefühlt und auch sie wurde tagelang bei zwei Männern im Keller eingesperrt und wurde schließlich in den Flughafen ähnlichen Bau gebracht. Außerdem wurde auch sie Abends auf dem Heimweg überfallen, sie musste hungern und wurde genötigt. Wir sprachen aus gleichen Erfahrungen. Wir hörten uns gegenseitig zu und vergaßen die Zeit, bis wir endlich einschliefen. Um genau 4.30 Uhr, was mir die kleine, rostige Uhr an der Wand zeigte kam die Frau hinein und riss uns aus dem Schlaf. Lange hatte ich nicht mehr so gut geschlafen. Wir hatten ein Bett aus Stroh mit einem großen Laken überzogen und einer dünnen Decke, welche wir allerdings bei gefühlten 40 Grad nicht brauchten. Sie nahm die Fetzen von der Fenster ab, welche für Dunkelheit sorgten. Außerdem betrat der kleine, krüppelige Mann unser Zimmer. Wir richteten uns langsam auf und während Amelie ein raues "Guten Morgen" über die Lippen brachte, tat ich es ihr nach. "Guten Morgen! Nun ja, bevor wir aufs Feld gehen, haben wir oder eher ich euch noch etwas zu sagen. Wir wollten euch gestern erst einmal ankommen lassen, statt direkt mit dieser Nachricht zu konfrontieren.", sagte die Frau mit unsicherer Stimme. Amelie und ich schauten uns skeptisch an. Sie setzte wieder an: "Nun... Ich bin eure leibliche Mutter!" Wir realisierten ihre Worte gar nicht, bis sie uns dann die ganze Geschichte erzählte. Sie setzte sich auf unser Bett, während sie zuerst meine und dann auch Amelies Hand nahm. " Ich bekam euch, Anne und Amelie bereits mit 15 jungen Jahren und stand alleine, verzweifelt mit eurem Vater da. Ohne die Unterstützung seiner oder meiner Eltern. Völlig alleine, mit zwei kleinen, süßen Zwillingen. Wir standen beide mitten im Leben, waren selber noch Kinder und mit dieser Situation komplett überfordert..." Ihr schossen die Tränen in die Augen, während sie leise weiter sprach: "Also beschlossen euer Vater und ich damals, euch zwar zu bekommen, allerdings sofort zur Adoption freizugeben. Ich wollte euch eine schöne Zukunft ermöglichen. Euer Vater starb fünf Jahre später an Leukämie. Nun hatte ich nichts mehr, lernte allerdings sehr schnell Sudhir kennen. Er war kurze Zeit in Deutschland, reiste jedoch dann zurück nach Indien. Ich beschloss mit ihm zu gehen und jetzt bin ich hier, aber glaubt mir, ich habe kein schönes Leben und hätte ich gewusst was hier auf mich zukommt, wäre ich nie mit ihm gegangen. Ein Glück das er kein Wort Deutsch versteht. Ich nehme an, ihr seit beide von zwei Männern überfallen und mitgenommen worden. Angestellte des Unternehmens hier in Indien. Damit verdienen die ihr Geld. Zumindest hat Sudhir einmal auf mich gehört und mir keine Vorschriften gemacht. Ich habe Wind davon bekommen das er zwei Mädchen aufnehmen will, damit er Helfer für sein Feld hat. Ich las die Liste der Mädchen, zwischen denen er entscheiden konnte und fand eure Namen! Bevor ihr zu anderen Familien geraten wärt, habe ich darum gekämpft, einige Jahre später meine eigenen Kinder wieder zu haben. Wir schaffen das zusammen. Wir müssen hier raus, ich weiß aber nicht wie. Tag für Tag werde ich zurecht gewiesen und geschlagen. Ich wurde Zwangs verheiratet und bekam einen Indischen Namen. Malati Akhtar. Vorher Amina Schmidt. Daran könnt ihr euch nicht erinnern, nichtmal mein Gesicht habt ihr damals lange gesehen, direkt wart ihr weg und glaubt mir, es war herzzerreißend! Ich durfte euch zwar noch Namen geben, aber das war es dann auch schon. Immerhin, hätte ich euch die nicht geben dürfen, wären wir womöglich niemals mehr zusammen gekommen. Es gibt nichts schlimmeres als seine eigenen Kinder nicht behalten zu dürfen." , Sudhir unterbrach die erstickende Stimmung mit ein paar Worten, welche Amelie und ich nicht verstanden. Allerdings sagte unsere Mutter, dass wir zu lange reden, er hätte ihr weniger Zeit vorgegeben, jetzt müsste sie länger arbeiten für weniger Geld. Wir sprachen kein Wort, mit gemischten Gefühlen sprangen wir auf und machten uns auf den Weg zum Feld. Wir gehorchten jedem Wort, welches unsere leibliche Mutter für uns übersetzte.

Mein LebenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt