Kapitel 5

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Zügig ging ich durch den überfüllten Raum und stellte mich an der Essensausgabe an.

Wir rückten auf, und ich spürte einen großen Hunger.
Ein Mädchen, das nett zu sein schien, beobachtete mich mit sorgenvoller Miene. „Was starrst du mich so an? Schau gefälligst in eine andere Richtung. Ich bin kein Tier in einem Zoo, das darauf wartet, Aufmerksamkeit zu bekommen."

Sie scheute nicht vor mir und meinem bösen Blick zurück, was ich ziemlich erstaunlich fand.
Die meisten hätten schon die Fliege gemacht und wären davon gegangen.
„Ich weiß, wie du dich fühlst." „Nein, weißt du nicht", unterbrach ich sie barsch.

„Doch, das weiß ich. Es ist nicht lange her, seitdem ich hierhergekommen bin. Damals brach eine Welt in mir zusammen, und ich hatte alles verloren. Hier auf diesem Internat hatte sich vieles zum Guten verändert. Ich könnte es dir zeigen, wenn du magst." Ihr Angebot hörte sich verlockend an. „Zeig es mir. Überzeuge mich, dass es sich zu leben lohnt."

Gemeinsam gingen wir weiter Richtung Buffet, bis wir vor dem Essen standen.
Ausgehungert nahm ich mir einen Teller und überflog das Essen. Es sah leider nicht ganz appetitlich aus. Zur Auswahl gab es: Brot, Baguette, mit verschiedenen Salzen und Ölen.

Zusätzlich wurde ein Vollkornbrot in geschnittenen Scheiben angeboten. Eine Reihe weiter gab es viele verschiedene Suppen, die aussahen, als hätte man etwas gegessen und dann wieder ausgespuckt. Das Mädchen, das vor mir stand, drehte sich zu mir um. „Ich weiß, unsere Auswahl ist nicht wirklich ansprechend. Hast du dich schon entschieden, was auf deinem Teller landet?"

„Ich entscheide mich für einige Baguettescheiben mit Butter und Salz." Ich häufte mir meine genannten Lebensmittel auf.
Sie jedoch, nahm ein wenig Suppe.

Bei der Vorstellung, dass sie die Suppe tatsächlich essen würde, kriegte ich einen leichten Würgereiz. „Hast du Lust, dich zu mir und meinen Mädels zu setzen? Wir haben noch einen Platz für dich. Oh, ich habe ganz vergessen, mich vorzustellen: Ich bin Isla."

„Ich heiße Liv. Liv Sinclair. Gerne setze ich mich zu dir und deinen Mädels am Tisch."
„Sehr gut. Ich freue mich, dass du an unserem Tisch Platz nimmst. Jedes Mal bin ich begeistert, wenn neue Leute kommen, die ich kennenlernen kann."

Als wir bei ihrer Gruppe ankamen, ließ ich mich auf eines der Stühle fallen, und Isla tat es mir gleich.
Ich schaute aufmerksam in die kleine Runde und entdeckte ein asiatisch aussehendes Mädchen, das bei uns am Tisch saß.
Sie hatte eine schmale Nase, ihre Hautfarbe war weißgelb gemischt, und ihre glatten braunen Haare waren zu einem strengen Pferdeschwanz gebunden.

„Du bist wohl die berühmte Liv Sinclair, von der hier alle sprechen. Ich heiße Emily Black. Willkommen in unserer Clique." „Freut mich, dich kennenzulernen, Emily", sagte ich und reichte ihr zur Begrüßung meine Hand, doch sie ergriff sie nicht. „Tut mir leid, aber ich stehe nicht so auf Körperkontakt." Mit ihrer Hand fuhr sie sich verlegen durch die Stirn, wo einige Babyhaare hervorschaute.

„Ich hasse meine Babyhaare. Immer fallen sie mir ins Gesicht und rauben mir jede Schönheit." Ich ging nicht auf ihr Gejammer ein und fing an, mein Essen in den Mund zu schaufeln. Das Stück Brot schmeckte mir ganz okay, und ich tunkte es zum zweiten Mal in das Salz- und Ölgemisch hinein.

Emily schaute ein Mädchen in unsere Gruppe an, das mir erst jetzt aufgefallen war, nachdem ich meine Scheibe Brot zurechtgelegt hatte. „Hast du eine Schere für mich, Charlotte?"

Das weitere Mädchen, das sich als Charlotte entpuppte, wuselte unter unserem Tisch herum. Was will Emily jetzt mit einer Schere? Sie will doch nicht etwa an ihrem Tisch die Haare schneiden. „Ja, habe ich, hier ist sie."

Sie reichte Emily die Schere, und Emily fing an, ihre Babyhaare abzuschneiden.
Eines nach dem anderen segelte nach unten auf unseren Tisch, und ich verzog angewidert mein Gesicht zu einer Grimasse.

„Was ist los, geht es dir nicht gut?", wollte Isla von mir wissen. „Wisst ihr was? Mir ist der Appetit vergangen. Wenn ihr etwas von mir wollt, bin ich oben in meinem Zimmer, der Nummer dreizehn."
Ich ließ mein Geschirr stehen und verschwand, ohne ein weiteres Wort, nach oben aufs Zimmer.

Zimmer Nummer 13Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt