Kapitel 6

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Es war nun schon zwei Tage her, dass Fred und ich uns versöhnt hatten, und seitdem hatte ich ihn kaum gesehen. Wir hatten so viel mit dem Unterricht zu tun, dass wir kaum eine freie Minute hatten. Bis abends saß ich an diesem Tag an meinen Schulaufgaben und war nun endlich auf dem Weg zum Gryffindor-Gemeinschaftsraum, um die anderen mal wieder zu sehen.

Auf dem Weg wurde ich jedoch von einen Geräusch abgelenkt. Es kam von links. Ich suchte nach der Quelle des Geräusches und bemerkte eine angelehnte Tür. Verwundert trat ich darauf zu und schob langsam die Tür weiter auf. "Hallo?", fragte ich, aber bekam keine Antwort. Stattdessen identifizierte ich allmählich die Art Geräuschs. Es waren Schluchzer. Offenbar weinte dort jemand. Leise betrat ich den Raum, der sich als eine Abstellkammer entpuppte, die wohl schon lange keiner mehr betreten hatte. Überall waren Spinnweben, auf allen Regalen und sogar auf dem Boden lag eine dicke Staubschicht. Sie wurde nur von ein paar Fußabdrücken unterbrochen, die tiefer in den Raum hinein führten. Offenbar war hier jahrelang niemand mehr gewesen, bis die weinende Person sich hierhin geflüchtet hatte. Kurz überlegte ich, das Zimmer still und heimlich wieder zu verlassen. Wer auch immer hier so herzzerreißend schluchzte, er wollte offenbar allein sein. Und sollte ich da wirklich stören? Ich war keine Gryffindor mit ausgeprägtem Helfersyndrom, ich war nur Fay, eine verschüchterte Ravenclaw, die jedem in Hogwarts Angst machte.

Aber als ich damals so traurig wegen meiner Eltern war, hatte Fred mir geholfen. Er hatte mich getröstet, obwohl wir uns da noch nicht so gut kannten. Und das hatte mir geholfen, auch wenn ich damals gedacht hatte, dass ich lieber allein wäre. Ich hatte zumindest die Pflicht nachzuschauen, wer da weinte und ob ich ihm helfen konnte. Ich ging also leise tiefer in die erstaunlich große Abstellkammer. Ich bog um die Ecke... und hielt verblüfft inne. Diese blonden Haare waren unverkennbar. In der Ecke der Kammer saß Malfoy, auf dem Boden zusammengekauert, die Knie mit den Armen umschlungen und das Gesicht tränenüberströmt. Er starrte ins Nichts, schien mich immer noch nicht bemerkt zu haben.

"Malfoy?", fragte ich zögerlich. Der Slytherin riss abrupt den Kopf hoch und starrte mich erschrocken an. Er schien wirklich mit den Gedanken ganz weit weg gewesen zu sein.

"Du schon wieder", fauchte er und starrte mich so zornig an, dass ich automatisch einen Schritt zurück machte.

"Tut mir leid. Ich wollte dich nicht erschrecken", murmelte ich und wich noch ein wenig zurück. "Ich habe dich weinen gehört und mir Sorgen gemacht." Der blonde Malfoy sprang wütend auf.

"Ich habe nicht geweint, ist das klar?!" Ich zuckte zusammen, so hart und aggressiv waren diese Worte gesprochen. Dennoch ließ ich mich nicht für dumm verkaufen. "Doch, du hast geweint!", entgegnete ich trotzig, woraufhin die grauen Augen des Slytherin begannen, Funken zu sprühen.

"Wenn du das irgendwem erzählst, bringe ich dich um", drohte er und machte einen Schritt auf mich zu. Ich reagierte, indem ich weiter zurückwich.

"Warum sollte ich das jemandem erzählen?" Ich musste so verblüfft geklungen haben, dass der Malfoy einen Moment seine drohende Haltung aufgab und mich überrascht ansah.

"Du wolltest es niemandem erzählen?", hakte er irritiert nach. Ich schüttelte den Kopf.

"Warum sollte ich? Es geht doch niemanden etwas an, wenn du weinst." Der blonde Junge gab seine wütende Haltung völlig auf. Seine ganze Gestalt sackte in sich zusammen und mit einem Mal wirkte er nur noch resigniert. Die Angst, die ich noch wenige Sekunden zuvor empfunden hatte, war ebenfalls wie weggeblasen.

"Danke", murmelte der sonst so stolze Malfoy-Erbe und ich konnte sehen, wie viel Überwindung es ihn gekostet hatte, dieses Wort auszusprechen. Langsam trat ich näher an ihn heran und berührte seinen Arm. "Ich bin niemand, der damit prahlt, wenn er irgendwelche Geheimnisse von anderen Personen kennt. Ich bin niemand, der gerne anderen Menschen wehtut." Bei dem letzten Satz stockte ich kurz, weil diese fiese Stimme in meinem Inneren vermutlich "Lügnerin" gebrüllt hätte, würde ich sie gerade hören. Doch in Gegenwart des Malfoys schien sie zu verstummen. "Und ich bin niemand, der anderen Menschen um jeden Preis helfen will, auch wenn sie selbst es gar nicht wollen. Ich bin keine Gryffindor", erklärte ich mit einem kleinen Grinsen, "Aber ich bin jemand, der zuhören kann. Und ich kann über das Schweigen, was man mir erzählt. Wenn du also mal... Wenn du reden willst... Ich höre zu, okay?" Am Ende geriet ich etwas ins Stocken, aber Draco schien mich verstanden zu haben. Er sah mich nicht an, er mied den direkten Blickkontakt.

"Warum solltest du das wollen? Ich bin fies. Du hasst mich!"

"Das stimmt", erklärte ich nüchtern und der Malfoy zuckte leicht zusammen. "Du bist fies. Und du warst auch nie nett zu mir, sodass ich dich lange gehasst habe und das vielleicht auch noch tue. Aber dir geht es nicht gut. Und ich will dir helfen. Wenn du das auch willst."

Er sah mich an. er schaute mich einfach nur an, als würde er mich das erste Mal sehen. Dann glitt sein Blick zu meiner Hand, die immer noch leicht seinen Arm berührte. Dann schaute er wieder in mein Gesicht.

Plötzlich entriss er mir abrupt seinen Arm und sein Gesicht nahm einen angewiderten Ausdruck an. "Ich will keine Hilfe! Ich brauche keine Hilfe! Und schon gar nicht von dir, du Freak!" Und mit diesen Worten stieß er mich beiseite und verließ die Abstellkammer.

Ich blieb noch einige Minuten so stehen, wie ich war. Wie erstarrt. Seltsamerweise hatten seine Worte weniger wehgetan, als ich gedacht hätte. Er hatte mich als Freak bezeichnet. Na und? Das war ich doch auch. Nicht mehr als er, nicht weniger als sonst jemand. Er hatte gesagt, er würde keine Hilfe brauchen. Das war falsch. Jeder Mensch brauchte irgendwann Hilfe. Aber Malfoy wollte keine Hilfe. Und da konnte ich nichts für ihn tun.

Ich drehte mich um und verließ die Abstellkammer. Als ich mit Malfoy zusammengewesen war, war es mir erstaunlich gut gegangen. Ich hatte mich zum ersten mal seit langem wieder wie ich selbst gefühlt. Ich war nicht so wütend gewesen, überhaupt nicht von Hass erfüllt. Selbst diese Stimme in meinem Kopf war verschwunden gewesen. Erst jetzt, als ich wieder allein in Richtung des Gryffindorgemeinschaftsraums ging, kamen all diese Empfindungen, kamen die Kälte und Dunkelheit zurück.

Das dunkle Mal - Eine Fred Weasley FanfictionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt