Kapitel 4

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♠Heya♠

Ich bin auf der Suche nach meiner Partnerin, mal wieder. Wir waren vor einer halben Stunde bei den Ställen verabredet, weil unser Stallmeister mit uns über die Zäune reden will. Wie es aussieht, sind die gut genug, um die großen Pferde im Zaum zu halten, nicht aber die kleinen Ponys, von denen insbesondere eins gerne ausbüxt. Aber natürlich ist Phe mal wieder nicht aufgetaucht. Es liegt nicht nur daran, dass ihre Armbanduhr nur imaginär ist oder sie sich gerne in Gedanken verliert und dabei Termine vergisst. Wahrscheinlicher ist, dass irgendein Gast mit einem Problem zu ihr gekommen ist, dass sie lösen musste oder sie die Lösung für ein Problem gesehen hat, dass noch keiner entdeckt hat.

Da sie nicht an der Rezeption war und auch nicht in der Küche, bin ich jetzt auf dem Weg ins 'Enricos' das Café welches sie so liebt, oder eher die heiße Pfefferminz Schokolade die man dort serviert. Wie immer, wenn ich einen Raum betrete, trete ich an die Seite um die Tür nicht zu blockieren und schaue mich um. Es dauert keine Minute, bis ich meine Freundin entdecke. Sie ist in ein Gespräch mit einem jungen Mädchen vertieft und ich kann mir ein Grinsen nicht verkneifen, als ich sehe, wer es ist. Anastasia redet mit Händen und Füßen auf meine lächelnde Freundin ein und ich weiß wieder einmal, dass sie das Problem mit den Zäunen nicht vergessen hat.

Gerade will ich zu ihr gehen, da fällt mein Blick auf einen anderen Gast und ich runzle meine Stirn. Etwas stimmt nicht. Ion ist ein bekanntes Gesicht im Resort, da er nicht nur das Label der Band 'Stormy Teacups' führt sondern auch unser Kontakt zu Lyle ist. Ion wirkt ... verloren.

Der Butler, Freund und Geschäftsführer des Labels von Lyle ist schon lange ein Thema zwischen Phedoka und mir. Während sie sich auf ihre feinen Antennen verlässt, die ihr Stimmungen und Emotionen verraten, baue ich eher auf meine Beobachtungsgabe und achte auf die kleinen Tells der Leute und auf Abweichungen vom normalen Verhalten, dass sie hin und wieder zeigen und letzteres ist es, das mich gerade alarmiert. Um diese Zeit ist Ion in seiner Firma und nicht hier. Es sei denn, er hat einen Termin mit uns – von dem ich nichts weiß. Er hat weder seinen Laptop dabei noch starrt er auf sein Handy. Soweit ich es beurteilen kann, arbeitet er gerade nicht – und das IST ungewöhnlich.

Als ich mich endlich in Bewegung setze, richten sich meine Schritte nicht, wie geplant, in Richtung Phedoka sondern zu ihm und ich lache leise in mich hinein. Manchmal schimpfe ich über meine Freundin und ihre Sprunghaftigkeit, aber im Grunde bin ich nicht besser als sie, und das wissen wir beide. Deshalb streiten wir auch nie. Wenn es überhaupt mal zur Sprache kommt, lachen wir eher als dass wir uns etwas vorwerfen.

„Ion?" Als ich mich ihm gegenüber setze und ihn anspreche taucht er überrascht aus seiner Gedankenwelt auf und starrt mich fragend an. „Heya", seufzt er schließlich und schüttelt den Kopf. „Ich hab nicht gemerkt ...", er sieht so unglücklich aus, dass ich nicht anders kann. Ich strecke meine Hand aus und lege sie auf seine, die neben einer kalt gewordenen Tasse Tee auf dem Tisch ruht. Er starrt wie gebannt darauf, dann schaut er auf und lächelt. „Sorry. Ich bin abgelenkt."

Die Einweihungsfeier ist jetzt schon ein paar Tage her, aber plötzlich erinnere ich mich daran, was mir einer der Angestellten erzählt hat. Er hat gesehen, wie Ion jemandem an die Gurgel gegangen sein soll. Ich habe den jungen Mann beruhigt und ihm versichert, dass Ion ein guter Freund ist und keinem Gast etwas antun würde. Dessen bin ich mir sicher. Allerdings glaube ich nicht, dass er der höfliche stille Diener ist, den er alle Welt sehen lässt und Phedoka hat mir darin zugestimmt. Auch sie spürt, dass mehr in dem Mann steckt, als ein Butler.

„Was brauchst du?" Meine Frage überrascht ihn so sehr, dass er einen Moment lang nicht weiß, was er sagen soll, dann huscht ein Lächeln über seine Lippen und die hübschen kleinen Falten in seinen Augenwinkeln weichen seinen steinernen Gesichtsausdruck, den er so oft mit sich herum trägt, auf. „Urlaub!" Meine Augen werden groß und sein Lachen noch etwas deutlicher. „So hat Lyle auch geschaut, als ich es ihm gesagt habe." Ich schüttele den Kopf und tätschele seine Hand mit meiner. „Was ist los?"

Er seufzt. Mir ist aufgefallen dass seine Blicke, wann immer die Glocke über der Eingangstür leise bimmelt um einen neuen Gast anzukündigen, dorthin schießen um zu sehen, wer den Raum betritt und jedes Mal entdecke ich eine Mischung aus Erleichterung und Enttäuschung auf seinem Gesicht, wenn er den Blick wieder senkt. „Ich hatte eine Begegnung mit meiner Vergangenheit und weiß jetzt nicht, wie ich damit umgehen soll", gesteht er und ich erhebe mich, gehe um den Tisch herum, lasse mich auf dem Stuhl neben ihm nieder und hake mich bei ihm ein. „Eine alte Flamme", ich sehe an seiner Reaktion, dass ich den Nagel auf den Kopf getroffen habe, doch seine Worte sagen etwas anderes.

„Eher ein alter Job", behauptet er und ich blinzle ihn überrascht an. „Du servierst Lyle nicht ab oder?" Meine Stimme macht klar, wie meine Worte gemeint sind. Ich werfe ihm nichts vor, ich bitte ihn nur um die Bestätigung meiner Einschätzung der Lage und deshalb nickt er statt den Kopf zu schütteln. „Ich brauche etwas Zeit für mich, einen Ort der etwas abgeschieden ist um ein paar Dinge auf die Reihe zu bekommen. Nah genug an einem Netz, damit ich von dort aus meine Arbeit als Geschäftsführer des Labels tun kann, aber abseits vom Trubel."

Ich sehe ihn von der Seite an. „Geht es um deine Begegnung während unserer Eröffnungsfeier?" Er sieht mich von der Seite lange an, dann schüttelt er den Kopf. „Ich hätte wissen müssen, dass dir nichts entgeht", erklärt er langsam und ich kann sehen, wie die kleinen Rädchen in seinem Kopf sich drehen und arbeiten, während er überlegt, wie viel er mir sagen kann. Schließlich ringt er sich zu einem Geständnis durch. „Ich war nicht immer ein Butler. Als ich jung war, habe ich Verbrechen bekämpft und Adam hat in meinem letzten Fall mit mir zusammen gearbeitet. Es gibt ein loses Ende in diesem Fall und deshalb soll ich erneut mit ihm zusammen arbeiten."

Ich nehme die Informationen ruhig auf und durchdenke sie. Es ist nicht schwer zu verstehen, dass ihn mehr mit diesem Adam verbindet als nur die Arbeit, jedenfalls nicht für mich. In meinem Kopf wird Ion zu 007 und Adam zu einem der Bikini-Mädchen, was mich zum Grinsen bringt. Doch dabei übersehe ich nicht, was er braucht. Ich greife nach einem der Flyer, die auch hier im Café auf jedem Tisch in einem Aufsteller stecken und klappe ihn auf. Dann deute ich auf einen Platz ganz am Rand unseres Resorts in der Nähe der Berge. „Kennst du schon unsere Berghütten?"

Er schüttelt nur den Kopf und will mich schon aufhalten, doch ich rede einfach weiter. „Es sind einzelne Hütten, die wir am Fuße des Berges und in den Bergen errichtet haben, um Wanderern und Bergsteigern eine passende Unterkunft zu bieten. Eine der Hütten liegt besonders ruhig für den Almöhi und seine Heidi. Sie steht frei. Willst du sie? Zwei Schlafzimmer, 2 Badezimmer, eine Wohnküche, TV, Radio, WiFi, fließendes heißes und kaltes Wasser, es gibt Strom und eine Heizung sowie jeglichen Komfort aber abseits der Wanderwege."

Er starrt wie gebannt auf den Flyer. „Es könnte sein, dass jemand auftaucht und nach mir sucht, der gefährlich ist. Ich will nicht, dass das Resort Probleme bekommt", will er mein Angebot schon ablehnen, doch ich winke ab. „Keine Angst. Wenn jemand kommt und nach dir fragt, werden wir ihm sagen, wo du bist. Und dann geben wir dir Bescheid, dass jemand kommt und schicken die Kavallerie los, wenn du sie brauchst." Ich kann sehen, wie die Idee ihm mehr und mehr gefällt und stoße ihn deshalb mit meiner Schulter an. Verdammt ist der Mann hart. „Was ist, wenn Adam nach dir fragt?" Er schaut auf seinen kalten Tee und seufzt.

Ich weiß, wann es besser ist zu schweigen, und so lasse ich die Stille für mich arbeiten, bis Ion endlich erzählt, was mich wirklich interessiert. „Ich habe versucht, mich von ihm fern zu halten. Ich wollte ihn einfach wieder abreisen lassen und die Vergangenheit vergessen. Aber jetzt, wo ich weiß, dass er hier ist und mit mir reden will, habe ich Fragen." Ich nicke und nehme mein Handy in die Hand um der Rezeption eine kurze Nachricht zu schicken. „Hütte 7 steht dir ab 17 Uhr zur Verfügung. Schlüssel und Koordinaten bekommst du von der Rezeption, sag ihnen, womit sie den Kühlschrank füllen sollen. Wenn du was brauchst, hast du ja unsere Nummern." Dann erhebe ich mich. Bevor ich mich auf den Weg zu meiner Freundin mache werfe ich noch mal einen Blick über meine Schulter und zwinkere Ion zu. „Die Hütte hat auch einen schönen Kamin mit einem echt künstlichen Bärenfell davor."

Resort de la Pheya 1 - AdamWo Geschichten leben. Entdecke jetzt