Kapitel 9

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♠Adam♠

"Was ist passiert?", fragt mich Ion plötzlich bevor er sich ein Stück Fleisch in den Mund schiebt.

"Wollten wir nicht erst essen?" Er sieht mich ernst über den Tellerrand hinweg an.

"Ja, ich will essen, aber ich will auch nicht noch länger warten müssen. Und obwohl ich Stille normalerweise wirklich gern habe macht sie mich im Moment irre, also rede", meckert er ungehalten und ich seufze auf, lege mein Besteck an die Seite und reibe mir die Schläfen. Mein Kopf bringt mich heute sicher noch um.

"Okay, Ion. Aber können wir uns bitte ganz normal Unterhalten, ohne uns anzumeckern oder laut zu werden? Ich bin nämlich nicht der Meinung, dass ich eine solch unfreundliche Behandlung von dir wirklich verdient habe. Ich bin bereit dir alles zu erzählen aber im Gegenzug unterbrichst du mich bitte nicht. Ist das okay für dich?"

Langsam nickt er und ich nehme mein Besteck wieder auf um weiter zu essen.

"Damals", beginne ich, "als du angeschossen wurdest, dachte ich meine Welt würde zusammenbrechen. Ich wollte dich ins Krankenhaus begleiten, bei dir sein, an deiner Seite. Doch sie ließen mich nicht mitfahren. Der damalige Director befahl mir ins Hauptquartier zu kommen, eine Premiere für mich und eine besondere Ehre.

Bis dahin war alles, was ich zu tun hatte, auf dich zu hören und deinen Anweisungen zu folgen. Ich selbst bekam - wie du weißt - nie direkte Instruktionen vom FBI, da ich offiziell ja gar kein Agent war.

Erst war ich euphorisch und freute mich wie ein kleines Kind. Ich, der kleine Polizistenanwärter, durfte ins Hauptquartier der Agency.

Sie versicherten mir, dass du in guten Händen bist und das Egor nicht mitbekommen hat dass ich mit dem FBI zusammengearbeitet habe. Also flog ich dorthin.

Der Director lobte mich und bot mir diese Stelle an. Erst wollte ich sie nicht annehmen ohne mit dir darüber gesprochen zu haben. Ich wollte deinen klugen Rat, deine Bestätigung haben. Doch man ließ mir nicht viel Bedenkzeit, es war ein friss-oder-stirb-Angebot und ich habe es gefressen. Ich habe den Job aber auch mit dem Gedanken angenommen, dass wir dann weiterhin zusammenarbeiten würden und war mir sicher, so auch in deinem Interesse entschieden zu haben.

Dann kam die Nachricht, dass es dir zwar den Umständen entsprechend gut ginge, du jedoch ins Koma gelegt wurdest damit dein Körper heilen und sich erholen kann. Daraufhin sank meine Zuversicht auf deine Rückkehr gewaltig. Wieder wollte ich zu dir, dich besuchen, doch man lies mich nicht. Die Agency stellte sich quer und privat wurde ich nicht zu dir vorgelassen, weil ich kein Familienmitglied sei.

Somit stürzte ich mich, verletzt und enttäuscht, komplett in die Arbeit. Während meiner ganzen Ausbildung fragte ich nach dir, doch bekam nie eine ausreichende Antwort und als ich merkte dass du nicht mehr zurückkommst, fing ich an nach dir zu suchen. Doch egal nach wem ich suchte ich fand dich unter keinem deiner Pseudonyme und selbst die Suche nach deinem richtigen Namen blieb erfolglos."

Ich mache eine kleine Pause um diese Informationen bei meinem Gegenüber sacken zu lassen und gönne mir stattdessen einige Bisse dieses köstlichen Steaks. Ion hält sich an sein Versprechen und sagt nichts, hört nur zu.

„Irgendwann gab ich auf. Einerseits aus Enttäuschung und andererseits um dich zu schützen. Denn je mehr ich darüber nachdachte, desto mehr wurde mir klar, dass es gefährlich sein könnte dich zu suchen.

Was, wenn Egor doch wusste, dass wir was miteinander hatten, oder mich mit dem FBI in Verbindung gebracht hätte? In beiden Fällen hätte ich dich in Gefahr gebracht und das wollte ich auf gar keinen Fall. Stattdessen hoffte ich, dass du doch zurück kommen oder dich wenigstens irgendwie bei mir melden würdest, solange ich nur geduldig genug darauf warte. Aber ich wartete vergebens."

Ich schaue von meinem Teller auf und überraschenderweise direkt in seine Augen, die mich während meiner ganzen Rede fixieren ohne auch nur eine Regung zu zeigen.

„Ion, ich habe dich so sehr geliebt. Und das lag nicht daran dass du mein erster Freund warst. Okay, Affäre", nuschle ich den Rest, doch nehme mich sofort wieder zusammen. „Aber ich sah es als Beziehung und ich habe mir immer vorgestellt, wenn der Fall um Egor erledigt ist, werden wir es öffentlich machen. Für mich warst du weit aus mehr als nur eine Affäre. Ich hätte dich nicht einfach fallen lassen. Ich wollte dir so gerne beistehen während deiner Genesung. Egal ob psychisch oder physisch, ich wollte bei dir sein."

Ich halte seinen forschenden Blick nicht mehr aus und wünschte, dass er nicht so gut darin ist, seine Gefühle hinter einer Maske zu verbergen, doch ich habe ihn ja selbst gebeten mich zuerst zu Ende reden zu lassen, also was beklage ich mich. Meine Blicke wandern zurück auf den Teller, in dem ich jetzt nur noch lustlos rumstochere.

„Irgendwann wurde ich zu einer Miniausgabe von dir, Ion. Nur ohne privat ein Schmusebär zu sein. Mein Fokus lag auf der Undercover Arbeit. Ich war kalt und unnahbar. Ich ließ niemanden an mich heran. Keine Freunde, keine Liebschaften, nichts. Was glaubst du wie ich mich gefühlt habe, als Director Holt mich, nach meinem letzten Job, in sein Büro bat und mir eröffnete, dass es neue Informationen über Egor gibt, der auf der Suche nach dir ist, weshalb ich dich zurück ins Team holen soll? Ich dachte immer, schlimmer kann mein Herz nicht brechen und ich sei über dich hinweg. Doch dann bin ich auf dem Weg hierher und spiele tausend Szenarien durch wie es laufen könnte."

Ich atme tief ein, denn ich denke ich komme jetzt zum Endspurt und bin immer noch, wie früher, total fasziniert von Ions Disziplin. Ich kann sehen dass ihm tausend Fragen auf der Zunge brennen, aber er wartet geduldig bis ich fertig bin.

"Mit dem tatsächlichen Empfang, den du mir geboten hast, habe ich allerdings weiß Gott nicht gerechnet. Bei unserer ersten Begegnung auf der Eröffnungsfeier hier im Resort habe ich dir gesagt, dass ich dich sehr vermisst habe. Doch zu diesem Zeitpunkt wollte ich dich damit eigentlich nur irgendwie beschwichtigen. Doch seit gestern Abend weiß ich, dass ich dich wirklich richtig vermisst habe und ich wohl noch lange nicht über dich hinweg bin."

Ich weiche seinen Blicken aus, die Ellenbogen auf den Tisch gestützt lehne ich meine stirn gegen meine Finger und versuche, den Schmerz dahinter zu vertreiben.

„Ich bin mehr als verwirrt", gestehe ich. „Und auch, wenn ich meine damalige Entscheidung den Job anzunehmen nicht bereue und wohl das selbe noch einmal tun würde, bereue ich, nicht an dir dran geblieben zu sein; nicht mit mehr Nachdruck bei höheren Stellen Informationen über dich eingefordert zu haben. Ich wusste ja bis vor Kurzem nicht einmal, ob du irgendwann aus dem Koma erwacht oder letztlich doch deinen Verletzungen erlegen bist. Doch ich glaube, wenn das der Fall gewesen wäre, hätte ich Egor eigenhändig umgebracht, dass würde ich auch heute noch tun."

Ich richte mich wieder auf und sehe Ion flehend an. „Ion, ich bitte dich. Komm mit mir zurück. Wir müssen dich beschützen und zusätzlich brauchen wir deine Hilfe."

Sein Blick klebt jetzt jedoch starr auf seinem leeren Teller. Während ich geredet habe, hatte er die Zeit aufzuessen. Seufzend widme ich mich wieder meinen eigenen Resten und warte darauf dass Ion etwas sagt. Doch er bleibt ruhig. Er denkt nach und mein Herz springt fast im Kreis so aufgeregt bin ich. Doch nachdem ich mir jetzt alles, was mich all die Jahre über geplagt hat, von der Seele geredet habe, ist diese Aufregung deutlich geringer als vorher. Und dass er nachdenkt ist doch ein gutes Zeichen, oder?

Resort de la Pheya 1 - AdamWo Geschichten leben. Entdecke jetzt