Angespannte Stimmung

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Kapitel 5

Ismael starrte sie schon seit ein paar Minuten ununterbrochen an. Sie fühlte sich unter seinem Blick ziemlich unwohl, denn er schien direkt in sie hineinzusehen. Oder auch nur durch ihre Kleidung durch. So sicher war sie sich da nicht. Wieder einmal wandte sie den Blick von seinen Augen ab. Es war ihr unangenehm. Stattdessen betrachtete sie seinen Oberkörper. Er war ziemlich breit gebaut und auch trainiert. Das konnte sie durch das dünne weiße T-Shirt sehr gut erkennen. Und es gefiel ihr. Sie hätte nie gedacht, dass Attraktivität sie so sehr beeindrucken konnte, aber es war so. Vielleicht hatte sie es auch nur nicht gemerkt, weil die Jungen in ihrer Klasse und jetzt ihre Arbeitskollegen zwar gut ausgesehen hatten - Attraktivität war heutzutage gegeben - aber sie fielen nicht auf. Jeder von ihnen hatte vielleicht ein schönes Gesicht, war sportlich und wies auch einige Schönheitsmerkmale auf, aber viele davon waren auch gefälscht worden und das machte sie sofort unnatürlich. Sie war schon immer wählerisch gewesen, das musste sie zugeben. Keiner von ihnen hatte ihr auch jemals nur für einen Kuss gereicht, geschweige davon, dass sie mit ihnen geschlafen hätte. Okay, dafür war sie wohl noch zu junge gewesen. Die meisten hatten ihr erstes Mal mit circa 20 mit dem Partner beziehungsweise den Partnern. Es war natürlich nicht verboten, vorher mit jemandem anderen zu schlafen, nicht einmal verschmäht. Auch sie hatte es in Erwägung gezogen, aber jetzt war sie doch ganz froh, dass sie für ihr erstes Mal Ismael und Ezekiel hatte. Denn sie war sich sicher, dass die beiden damit nicht nur Erfahrung hatten, sondern auch unheimlich gut waren. Außerdem waren sie die ersten, mit denen sie es sich wirklich wünschte. Deshalb fiel es ihr auch schwer, ihren Blick wieder von Ismaels breiten, trainierten Brust zu lösen. Aber sie tat es, denn sie war sich sicher, dass sie ihn schon fast eine halbe Minute lang musterte. Vorsichtig blickte sie wieder in sein Gesicht zurück, um zu sehen, ob er bemerkt hatte, dass sie ihn ansah, vor allem aber, um zu überprüfen, ob auch er sie noch ansah. Sie hoffte es insgeheim, denn dadurch fühlte sie sich begehrt. Und ja, er sah sie noch an, wie sie kurze Zeit später feststellte. Das wissende Lächeln zeigte ihr auch, dass er sehr genau wusste, dass sie ihn angestarrt hatte. Sie wandte den Blick wieder von ihm ab, dieses Mal aber, um die Umgebung zu mustern. Sie saß auf einer weißen Couch in einem großen, ziemlich leeren Raum. Er hatte keine Wände, nur Glasscheiben, die den Blick auf die Stadt freigaben. Es sah unglaublich aus und war nichts im Vergleich zu ihrem alten Haus, in dem sie mit ihren Eltern gelebt hatte. Natürlich war auch das ziemlich schön gewesen, aber dieses Haus - ihr neues Zuhause - war einfach unglaublich. Sie war wirklich gleich aus dem Krankenhaus entlassen worden, wie Henry es gesagt hatte. Gemeinsam mit ihren Partnern war sie in einen Jet eingestiegen und direkt zu dem Haus der beiden geflogen. Sie hatten kaum geredet, die Stimmung war noch immer ziemlich verkrampft. Ismael hatte sie direkt in das Wohnzimmer geführt, in dem sich allerdings auch die Küche befand und ein Tisch zum Essen. Trotzdem hatten sie sich auf das große Sofa gesetzt, Ismael gegenüber von ihr. Von dort starrte er sie auch an, er hatte den Blick nicht einmal von ihr abgewendet. Nicht, seit er saß. Ezekiel hatte beschlossen, schnell etwas aus der Küche zu holen. Deshalb saß sie auch nur mit Ismael dort, mindestens fünf Minuten und das ohne ein Wort zu sagen. Sie wollte die beiden etwas fragen, natürlich war sie neugierig, aber sie wusste nicht wie und traute sich auch nicht das Schweigen zu brechen. Aber das musste sie vielleicht auch gar nicht, denn Ezekiel kam gerade aus der Küche zurück, wie sie bei ihrem erneuten Rundumblick feststellte. Er wirkte nicht so distanziert, wie sein Bruder. Vielleicht würde er die Stimmung ja etwas lockern können. Als sie sah, dass er in der Küche wohl gekocht haben musste, freute sie sich ungemein. Sie selbst konnte kochen, ihr Vater hatte es ihr beigebracht. Trotzdem gefiel es ihr, dass auch Ezekiel Essen zubereiten konnte. Und was er da gerade brachte, gefiel ihr noch mehr. Ihr Lieblingsessen! In der Schüssel befanden sich doch tatsächlich Nudeln mit Gemüse. Ihr Vater hatte ihr immer gesagt, dass es etwas asiatisches war, denn das Gericht wurde in einem Teil der Erde erfunden, der früher als Asien bekannt war. Das hatte sie auch in ihrer Grundausbildung gelernt. Die beiden teilten wohl ihre Vorliebe für exotisches Essen, denn auch Ismael schien sich sehr über das Mee Goreng (ihr Vater hatte ihr diesen Namen beigebracht) zu freuen. Ezekiel brachte jedem eine Schüssel und ließ sich dann neben ihr nieder. Er begann sofort zu essen. Auch sie griff nach der Schüssel und den Stäbchen und begann zu essen. "Wir wissen ja durch deine Akte schon ziemlich viel über dich, jetzt könntest du uns doch einmal Fragen stellen.", meinte Ezekiel und sie nickte nur zustimmend. Den Fakt, dass die beiden offensichtlich ihre Akte studiert haben, die eigentlich nur von der Regierung eingesehen werden durfte, überging sie einfach. "Woher kennt ihr euch?", fragte sie also. Die beiden mussten sich ziemlich nahe stehen, wenn sie hier miteinander wohnten. Sie war sich nicht sicher, ob sie Freunde waren oder vielleicht auch Verwandte. "Wir sind Zwillinge." Das kam von Ismael. Sie sah überrascht zwischen den Brüder hin und her. Damit hatte sie jetzt nicht gerechnet. Cousins und Brüder, ja, das hätte sie sich durchaus vorstellen können, aber gleich Zwillinge? "Wir sind nicht direkt Zwillinge, wir haben den gleichen Vater, aber biologisch gesehen nicht die gleiche Mutter. Aber wir sind am gleichen Tag auf die Welt gekommen und das macht uns Zwillinge.", erklärte Ezekiel die Situation etwas genauer. Sie nickte nur verstehend. Solche Fälle waren selten, aber nicht unmöglich. "Wie alt seid ihr eigentlich?", platzte sie gleich danach mit der nächsten Frage heraus. Es interessierte sie brennend, wie alt die Brüder waren. Sie hätte Ismael älter geschätzt, als Ezekiel, aber das lag dann wohl eher an der Ausstrahlung, die er verübte. Er wirkte einfach erwachsener und reifer. Sowohl Ismael, als auch Ezekiel reagierten vorsichtig auf die Frage. Sie waren sich wohl wirklich nicht sicher, was sie davon halten würde. Das bestätigte wohl ihre Vermutung, dass die Brüder um einiges älter waren, als sie. Es war auch kein großes Wunder, denn die DNA der beiden war schon extrem gut, da hat man wohl auf eine mindestens ebenso gute DNA gehofft. Und das war dann wohl sie gewesen. "Wir sind 26.", meinte Ezekiel schließlich. Die beiden schienen ihre Reaktion darauf fast ängstlich abzuwarten, als erwarteten sie, dass sie nun irgendwie komisch reagierte. Aber das hatte sie nicht wirklich vor. Es war nicht ungewöhnlich und wenn sie schon 18 wäre, das Alter, mit dem man seine Partner offiziell das erste Mal trifft, wären sie sicher nicht so unsicher bezüglich ihrer Reaktion. Doch sie war erst 15, ein Alter in dem man sich noch nicht so sehr auf die zukünftigen Partner fokussierte. Aber sie war da anders. Ihre mentale Reife lag weit über der einer 15-jährigen, dass hatte sie immer wieder gehört. Deshalb war ihre Reaktion wohl auch ganz anders, als die Zwillinge erwartet hatten. Denn als sie dazu nichts sagte und nur lächelte, um ihnen zu zeigen, dass das kein großes Problem für sie war, brachte ihr das zwei unverständliche und auch etwas verwirrte Blicke ein. Sie grinste die beiden an und fragte einfach weiter. "Als was arbeitet ihr?" Ismael schien länger zu brauchen, ihre Reaktion zu verarbeiten, denn es war Ezekiel, der ihr als erster antwortete. "Ich führe eine Firma, die sich mit der Entwicklung und Verbesserung von technischen Geräten und Robotern beschäftigt und Is hat die Firma unseres Vaters übernommen." "Is?", fragte sie mit einem Grinsen und war froh, dass die angespannte Stimmung endlich gebrochen war. "Unser Vater ist ein großer Gegner der letzten Menschen, die noch an Gott glauben und dachte sich, er nennt uns nach Figuren aus der Bibel, sozusagen als Protest. Die Namen sind aber leider ziemlich alt und nicht mehr modern, zudem noch ziemlich lang, deshalb nennen wir uns meistens bei unseren Spitznamen. Is und Kiel.", antwortete Ismael und sie konnte sich ein Lachen nicht verkneifen. Ismael wirkte immer zu kalt und überlegen, der Name passte irgendwie zu ihm, aber Is hingegen klang nach einem kleinen Kind. Der Spitzname passte nicht so zu ihm. Die Zwillinge sahen sie erstaunt an, als sie zu lachen begann. Ismael bemerkte es wohl schneller, denn er spielte sofort mit. "Was ist daran jetzt so lustig?", fragte er herausfordern, was sie nur noch mehr zum Lachen brachte. Sie hatte schon lange nicht mehr aus vollem Herzen gelacht und das, obwohl sie eigentlich immer ein ganz fröhliches und gut aufgelegtes Kind gewesen war. Auch Ezekiel schien es zu verstehen, denn auch er fing zu lachen an und zog seinen Zwilling etwas auf. Das brach das Eis zwischen ihnen dann vollständig und sie freute sich, dass sie sich so gut mit den beiden verstand. Sie sprachen noch mehrere Stunden miteinander und schienen sich sofort richtig gut zu verstehen. Als wären sie füreinander gemacht worden. Und auch, wenn sie am Anfang noch ziemlich schüchtern war, taute sie auf und hatte den ganzen Abend Spaß, so viel, wie schon lange nicht mehr. 

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