Familie

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Kapitel 11

Ezekiel

Etwa dreißig Minuten nach dem Anruf seiner Mutter, klingelte es an der Tür. Seine Familie hatte es noch nie so strikt gesehen mit Zeitangaben. Er war auch sehr froh darüber, denn er selbst kam auch immer zu spät. Ismael hingegen war die Pünktlichkeit in Person. Sein Bruder war noch nie zu spät gekommen, sei es nur zum Essen oder zu einem wichtigen Meeting. In diesem Punkt war er gleich, wie Maddy - seine Mutter - während er selbst eher Is' Mutter Lucia glich. Als Kinder fanden sie das sehr witzig, da sie natürlich wussten, dass jeder nur mit einer ihrer Mütter wirklich blutsverwandt war. Sie hatten immer gescherzt, dass sie wohl bei der Geburt vertauscht worden waren, was gar nicht so unwahrscheinlich war. Seine Familie hatte diese Theorie nie überprüfen lassen, da es ihnen einfach nicht so wichtig war, welche nun ihre leibliche Mutter war und welche nicht. Sie waren eine Familie mit zwei Söhnen und drei Eltern. Das war schon immer alles gewesen, was zählte. Er war viel zu sehr in seinen Gedanken versunken, um noch an die Tür zu denken, sodass Is seufzend aufstand und sich in Richtung Tür bewegte. Ash, die sich noch eine seiner Jogginghosen ausgeliehen hatte, setzte sich sofort aufrechter hin. Sie war sichtlich nervös, knetete ihre Hände in ihrem Schoß und richtete den Blick immer mal wieder auf die Tür und dann zurück auf den Boden. Er spürte den Drang, auf sie zuzugehen und sie in den Arm zu nehmen, aber die Stimmung zwischen ihnen war noch immer etwas komisch, nach der... Situation im Bett. Er war sich nicht sicher, ob es Ash unangenehm war oder ob ihre Flucht sie verunsicherte. Er wusste nur, dass jetzt nicht der Moment war, das zu klären. Also versuchte er, ihr einen aufmunternden Blick zuzuwerfen, als ihr Blick mal wieder an ihr vorbei zur Tür schweifte. Sie registrierte ihn, denn ihr Blick huschte zurück zu ihm, ihre Fokus lag ganz klar auf seinen Augen, doch er bemerkte die kleine Bewegung ihrer Pupillen, als sie seine Lippen kurz anstarrte und dann begann sie auch noch, sich über die Lippen zu lecken. Diese kleine Bewegung ihrer Zunge fuhr ihm direkt zwischen die Beine und er musste einen leisen Seufzer unterdrücken. Er hatte keine Ahnung, was mit ihm los war. Sie machte ihn an, mit allem, was sie tat. Er hatte noch nie so intensiv auf eine Frau reagiert. Aber Ash war anders. Und das schlimmste war, dass sie es wahrscheinlich nicht einmal mit Absicht tat. Sie hatten sich nicht über die Lippen geleckt, um ihn anzutörnen, sondern um ihre trockenen Lippen zu befeuchten. Das war ihm klar und vielleicht war es genau das, was ihn so anmachte. Die Unschuld, die sie ausstrahlte. Er glaubte keine Sekunde daran, dass sie diese Unschuld nur vorspielte, niemand konnte das so gut schauspielern. Sie war einfach noch so rein und unbeschmutzt. Er musste bei dem Gedanken grinsen, dass er sie so richtig verderben konnte. Gerade, als er ihr etwas schmutziges zuflüstern wollte, nur um zu sehen, wie sie errötete, hörte er Is' Schritte, die sich ihm von hinten näherten. Zudem nahm er noch drei andere Personen wahr. Also drehte er sich um, wie Ash auch und sah seine Eltern, wie sie Ash voller Entzücken ansahen und ihn total ignorierten. Er lächelte nur und stand schnell auf, um sie zu Begrüßen. Auch seine kleine Ash erhob sich und lächelte schüchtern. Sie schien sich in der viel zu großen Hose, die sie um ihre Hüfte ganz fest geschnürt hatte, und dem weiten T-Shirt plötzlich nicht mehr so wohl zu fühlen, wie noch vor wenigen Sekunden und in diesem Moment konnte er sich gegen den Drang, ihr irgendwie zu helfen, nicht mehr wehren. Er griff nach ihrer Hand und zog sie zu sich heran, so nah, dass sich ihr Rücken an seine Brust presste. Dann ließ er ihre Hand los und legte seine Hände stattdessen auf Ash' Schultern. Dabei schob er sie auch ganz leicht von seinem Körper weg, um nicht Gefahr zu laufen, diese Situation durch die Reaktion seines Körpers auf ihren, für sie alle peinlich und unangenehm zu machen. "Mama, Mum, Papa, das ist Ash. Ash, das sind unsere Eltern Maddy, Lucia und Lorenz.", stellte er sie mit fester Stimme einander vor. Seine Mutter Maddy griff sofort nach Ash' Hand und schüttelte sie förmlich, aber mit einem breiten Lächeln. "Freut mich, dich kennenzulernen, Ash.", meinte sie. Die freundliche Geste schien seine Partnerin zu beruhigen, denn sie entspannte sich sofort etwas. Lucia schob seine Mutter einfach zur Seite und zog Ash aus seinen Armen in eine herzliche Umarmung. Er lächelte, Lucia war schon immer stürmisch gewesen und hatte sich noch nie so viel aus Förmlichkeiten gemacht. Wie gesagt, er glich ihr mehr, als ihr leiblicher Sohn Is. Kurz fürchtete, es könnte Ash unangenehm sein, bei ihrer ersten Begegnung mit seiner Familie gleich so mit einer Umarmung überfallen zu werden, doch sie war ganz entspannt und lehnte sich mit einem breiten Lächeln an seine Mutter und schlang sogar kurz die Hände um ihre Hüften. Das Lucia ziemlich groß war und Ash im Gegensatz dazu sehr klein, sah das Bild, dass sich ihnen allen bot mehr als witzig aus. "Hör auf, du zerquetscht sie noch.", kam es von seinem Vater, der seine Frau vorsichtig zurückzog und Ash freundlich die Hand reichte. "Hi, ich bin Lorenz. Tut mir echt leid, dass wir euch so überfallen, aber Lucia war einfach nicht davon abzuhalten, sie wollte dich unbedingt kennenlernen." Bei diesen Worten warf sein Vater seiner Mutter einen liebevoll strengen Blick zu, den sie mit einem süßen Lächeln erwiderte. Ash lächelte nur und winkte ab. Sie wirkte viel entspannter, nun, das sie wusste, dass seine Familie ganz nett war und sie sofort akzeptierte. "Wir bleiben auch nicht langen, wir müssen gleich noch zur Arbeit.", fügte Maddy hinzu. Er liebte es, wie die Beziehung seiner Eltern funktionierte. Maddy war die organisierte, sie kümmerte sich um jeden und hatte alles unter Kontrolle, während Lucia die herzliche war, die man sofort ins Herz schloss, weil sie einfach so nett und vor allem echt war. Sie schämte sich für keine ihrer Emotionen und versteckte nichts. Sie war einfach zu begeistern und übermütig, während Maddy eher die vernünftige war. Sein Vater schien diese Konstellation mit seiner sowohl ruhigen, als auch witzigen Art zusammenzuhalten. Es freute ihn zu sehen, dass seine Eltern sich noch nach so vielen Jahren innig liebten. Sie verhielten sich so, als würden sie sich jeden Tag neu verlieben. Genau das hatte er sich sein ganzes Leben gewünscht. Er hoffte sehr, dass es mit Ash auch so sein konnte. "Setzt euch doch.", meinte Is mit ruhiger Stimme und trat näher an ihn und Ash heran. Dabei deutete er mit der Hand auf einen Teil des Sofas. Seine Mutter Lucia setzte sich sofort, Maddy daneben und sein Vater zum Schluss. Auch er ließ sich zurück nach hinten auf die Couch plumpsen, zog Ash dabei neben sich und legte einen Arm besitzergreifend auf die Rückenlehne hinter ihr. Seine Vater, aufmerksam wie er war, nahm diese Geste sofort wahr und warf ihm einen leicht warnenden Blick zu. Natürlich wusste er, dass Ash noch ziemlich jung war und nun versuchte er sie daran zu erinnern. Sein Vater wollte sie davon abhalten, etwas zu tun, wozu Ash noch nicht bereit war und ja ihre Finger bei sich zu lassen. Wenn er wüsste, was sie heute morgen im Bett mit ihr angestellt hatten, würde er ihnen beiden wohl eine verpassen. Sein Vater war Anwalt und nahm es mit Regeln sehr ernst. Und das, was sie taten, wäre vor Gericht wohl ein Grenzfall. Sie durften Sex haben, wenn alle Parteien einverstanden waren, der Altersunterschied machte da wenig Unterschied. Die Frage war wohl, ob sie sich durch die Tatsache, dass sie Partner waren, wohl dazu gezwungen fühlen konnte, was vor Gericht wegen ihres Alters wohl ins falsche Licht gerückt werden konnte. Sein Vater kannte das und versuchte deswegen, sie davon abzuhalten, etwas in dieser Richtung zu tun. Dass sie das bereits tat und auch nicht vorhatten, damit aufzuhören, solange Ash es nicht wollte, konnte er natürlich nicht wissen. Aber Lorenz schien sich nicht nur um das Rechtliche, sondern auch um seine Schwiegertochter zu sorgen, was ihn freute, denn das bedeutete, dass er sie bereits akzeptierte und sie beschützen wollte. Diesen Effekt schien Ash auf Leute auszuüben. Man wollte sie vor allem Bösen schützen und sie am liebsten in einem goldenen Käfig leben lassen. Er war so in Gedanken versunken gewesen, dass er der Unterhaltung gar nicht wirklich zugehört hatte. Seine Eltern hatten gefragt, was Ash denn arbeiten würde und sie hatte seine Familie im Gegenzug gefragt, in Bereich sie tätig waren. Sein Vater hatte kurz von seiner Kanzlei erzählt, seine Mutter Lucia von dem Geschenkeshop, den sie mit einer Freundin führte und Maddy von der Politikerin, deren Sekretärin sie war. Jeder Einzelne von ihnen ging in seiner Arbeit richtig auf, sie alle waren gut mit ihren Kollegen und Chefs befreundet und trafen sich auch mit ihnen außerhalb der Arbeit. Und trotzdem hatten sie immer Zeit füreinander. Sie liebten sich. Sein Blick wanderte zu Ash neben ihm und weiter zu Ismael und er hatte das Gefühl, dass sie das auch konnten. Er liebte die beiden jetzt schon und er war zuversichtlich, dass ihre Beziehung mindestens genauso liebevoll und leidenschaftlich sein würde, wie die seiner Eltern. 

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