03| nausea

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Nach der Schule wollte ich so schnell wie möglich mit Ethan nach Hause und, um meinen Bruder nicht zu verpassen, rannte ich schnell zum Parkplatz.
Aber, was für eine Überraschung! Sein Auto war nicht da. Genauso wenig wie er. Diese Beziehung mit Melinda wurde mir langsam zum Verhängnis.
Jetzt konnte ich nach Hause laufen. Aber das Einzige, worauf ich wirklich hoffte, war, dass mein Bruder sich mit Melinda nach Hause verdünnisiert hatte, denn sonst war ich fertig.

"Babe, wohin des Wegs?", hörte ich eine bekannte, nervraubende Stimme rufen und wurde aus meinen Gedanken gerissen.
'Halts maul.', dachte ich laut, woraufhin er es weiterversuchte, "Gefällt dir also nicht? Mir auch nicht. Wie wär es damit: Ich fahr' dich nach Hause, shorty?"
Ich rollte meine Augen fest, bevor ich mich umdrehte und sah, wie Nate sich lässig an seinem Auto anlehnte und mich erwartend angrinste. War ja klar, dass er wieder seine Masche durchzog. Dieses Auto Anlehnen hatte mein Bruder auch immer gemacht, bevor Melinda ins Spiel gekommen war. Der Sinn war einfach: Maskulinität Erzeugen. Es war total absurd, aber mein Bruder glaubte an diesen Scheiss und Nate, wie es schien, auch. Er würde es gleich auch mit charmantem Gehabe versuchen, aber der Typ konnte sich sein dummes Gerede sonst wo hinstecken, denn damit bekam er mich um seinen Finger gewickelt.

"Danke, aber...", fing ich an, wurde aber von Nate unterbrochen.
"Nichts 'aber'. Steig ins Auto.", gab er fordernd von sich, während er ein wenig auf mich zu lief, worauf ich meine Braue hob und meine Hand auf meiner Hüfte stemmte. Ich musterte ihn herablassend, damit er etwas von seinem überdimensionalen Selbstbewusstsein verlor und sich wie ein normaler Mensch verhielt.

"Sehe ich so aus, als würde ich jetzt einsteigen, nur weil du mir das befiehlst?", fragte ich ihn monoton, wobei ich kurz aufhörte auf meinem Kaugummi herum zu kauen.
Sein linker Mundwinkel zuckte ein wenig nach oben, bevor sich zu mir hinunter beugte, sodass sein Gesicht nun nur wenige Zentimeter von meinem entfernt war. Er hatte das als Einschüchterung getan, damit ich nach hinten wich. Er hatte wohl schon längst gemerkt, dass ich mit menschlicher Nähe nicht wirklich viel anfangen konnte. Vor allem, nachdem ich vorhin so eine Panik bekommen hatte. Er wollte seine körperliche Größe und dominante Aura als Vorteil nutzen. Das funktionierte bei mir nicht, denn ich hielt dem Augenkontakt mit ihm stand und wich nicht nach hinten. Ich hasste es zu Verlieren. Egal wobei. Und auch wenn ich ihm nicht in die Augen schauen wollte, zwang ich mich dazu, bis er wegschauen würde.

"Was ist, wenn ich ganz lieb frage?", setzte er noch einen drauf, aber ich hielt immer noch stand. Er konnte so lange und so lieb fragen, wie er wollte, denn meine Antwort würde sich nicht ändern. Nach dem, was er heute morgen abgezogen hatte und nach den Sachen, die ich über ihn und all die Mädchen gehört hatte, könnte er auf die Knie gehen, aber ich würde trotzdem ablehnen. Er war an Ablehnung nicht gewohnt und jetzt, da er welche bekam, machte ihn das wild.
"Dann antworte ich ganz lieb mit einem Nein.", erwiderte ich zuckersüß und kaute weiter an meinem Kaugummi.
"Komm schon, Baby.", kam fast schon bettelnd von ihm, "Ich weiß, wo du wohnst."
Letzteres sagte er in einem drohenden Ton, welches mich zum Schmunzeln brachte, obwohl diese ganzen Kosenamen richtig abartig waren.
"Lass mich kurz nachdenken..."
Ich machte eine grübelnde Grimasse und legte meinen Finger auf meine Lippen. "Nein, Danke.", brachte ich dann kurz zu Ende.

Ich hatte mich gerade umgedreht, um ihn dort alleine stehen zu lassen, als ich an meinem Handgelenk zurückgedreht wurde und plötzlich ganz nah an ihm stand, sodass ich seinen Duft wahrnahm.
Er roch ehrlich nicht schlecht.
Bei der Menge an Zigaretten und Alkohol, die er verbrauchte, hätte man denken können, dass er wie ein Penner roch, aber, Nein, irgendwie besaß er so einen frischen, reinen Duft.
Er schaute mir in die Augen, aber mein Ausdruck blieb perplex.

"Ich sagte, dass du einsteigen sollst.", äußerte er gelassen an mein Ohr, sodass mich eine leichte Gänsehaut überfuhr. Lag nicht an ihm, lag an seiner Stimme.
Seine Stimme war irgendwie so reizvoll. Ich mochte sie schon, aber trotzdem hatte ich keinen Bock auf ihn oder auf dem Rücksitz eine seiner Eroberungen zu werden, weswegen ich diesen Reiz ganz schnell beiseite schob.

Ich nahm meine freie Hand und legte sie zärtlich auf seine Wange, kam ihm ganz nah und blickte ihm intensiv in die Augen. Unsere Lippen waren jetzt wieder nur noch wenige Zentimeter voneinander entfernt.
Genau dann, als er mein Handgelenk etwas locker ließ, weil er zu abgelenkt war, auf meine Lippen zu starren, zog ich meine Hand weg und schaute ihm eindringlich in die Augen.
"Und ich sagte: Nein. ", wisperte ich ihm provokant zu, lächelte ohne meine Augen und drehte mich zum Abflug um.
Ich hätte mich so gerne umgedreht, um sein Gesicht zu sehen, welches ganz bestimmt wirklich dumm und irritiert aussah. Eigentlich hätte ich sowas nicht getan. Zumal ich diesen Typen eigentlich gar nicht kannte, beziehungsweise auch nicht mochte, aber, wenn er so arrogante Aussagen traf, schlich sich etwas in mich, das ich nicht aufhalten konnte. Wie ein fremder Geist, der mich dazu zwang, meinen großen Mund aufzureißen. Aber anders würde er mich auch nicht in Ruhe lassen. In dieser Situation war meine ungebändigte Zunge von Vorteil.
Ich hatte sowas von gewonnen.
Beim Weglaufen hörte ich, wie er seine Niederlage mit einem Lachen hinnahm.

Am Abend saßen wir alle zusammen am Tisch und unterhielten uns, bzw. Caren und Papá unterhielten sich, öfters warfen Taylor und Ethan auch etwas hinein. Mein verfressenes Selbst hingegen blieb nur still und hatte nur Augen für das Essen, welches ich gekocht hatte. Gebratener Reis, Gemüse und Champion-Soße. Das konnte ich am besten.

"... und deshalb wollen wir zusammenziehen."
Was hatte er gerade gesagt?
Ich hatte gar nicht mitbekommen worüber sie geredet hatten und nur dieser Satz löste abrupt eine Welle aus Gefühlen in mir aus. Wieso taten sie das? Einerseits freute ich mich für meinen Vater, aber andererseits musste ich schon erbrechen, als ich nur daran dachte, wie es wäre. Ich verschluckte mich und musste dann mehrere Male aufhusten, bevor ich wieder einigermaßen normal atmen konnte, weshalb ich bestimmt völlig rot war.

"Alles gut, Schätzchen?", fragte mich Caren besorgt. Nur diese Worte von ihr, auch nur ihre Stimme brachten mein Blut zum Kochen. Sie hatte seit längerem versucht, die Rolle meiner Mam einzunehmen. Als wäre sie jemals dazu fähig. Sie war ein Nichts für mich. Anfangs hatte ich zwar noch versucht, nett zu sein und sie gut in meiner Familie aufzunehmen, aber ich konnte diese Fassade der Unproblematik nicht mehr lange aufrecht erhalten. Irgendwann würde ich platzen.

"Ja, mir geht es gut. Alles Gute für... diese Entscheidung.", presste ich mit einem Lächeln auf den Lippen heraus, wobei ich die Übelkeit nur schwer hinunter schlucken konnte. Niemand konnte wissen, dass ich das nicht ernst meinte. Ich hatte die Kunst des Lügens so gemeistert, dass sogar wenn ich kurz vor einem mentalen Zusammenbruch stand, ein strahlendes Gesicht vorweisen konnte, das ehrlich wirkte. Es war kein Segen, so Lügen zu können.

"Was sagst du dazu, Princesa?", fragte Papá abwartend, was mich aus den Gedanken holte. Ich guckte auf die ganzen Leute am Tisch, wessen Blicke schon auf mir lagen. Caren lächelte mich falsch an, Taylor wollte ich erst gar nicht angucken und Ethan guckte bemitleidigend auf mich. So als würde er mich in den Arm nehmen wollen. Was hatte Papá denn gesagt?
"Ha?"
"Ich habe dich gefragt, ob es dich stören würde, wenn Taylor in das Zimmer neben dir einziehen würde.", wiederholte er lächelnd.
Ich blickte Taylor an, wessen Blick schon auf mich gerichtet war. Diese kristall-blauen Augen, die der seiner Mutter glichen. Er hatte seinen aufmerksamen Blick auf mich gerichtet, wobei er schwach lächelte. Er hatte ein so unschuldiges Lächeln.

"Nein, nein, ist okay.", behauptete ich schwer und ich bekam glücklicherweise noch ein Lächeln über meine Lippen.
Noch einmal könnte ich meine Übelkeit nicht unterdrücken.

 Noch einmal könnte ich meine Übelkeit nicht unterdrücken

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