red stains

05| mrs. jenkins

Melinda und ich liefen in der Pause zu unseren Spinden, als mir wieder einfiel, wie sie auf Kourtney und Ethan reagiert hatte, und was Nate da ausgeplaudert hat.
"Mel, am Montag, als Kourtney Ethan ihre Zunge aufgedrängt hat, da hast du so komisch reagiert. Läuft da was?", versuchte ich vorsichtig auszudrücken, was ich meinte. So vorsichtig nun auch wieder nicht, denn ich wollte schnelle Antworten.
Ihre Augenbrauen rückten enger aneinander, wobei sie ihre türkisen Engelsaugen etwas zusammenkniff. Ich sagte ihr immer, dass grünlich blaue Augen ihr neben ihrer natürlichen Farbe am besten standen. Sie passten beide  zu ihrer Reinheit.

"Hä, nein, wie kommst du darauf? Bist du high? Oder hast du eine Pille geschluckt, Ryry?" Mel riss mich aus dem Bann, den ihre Augen auf mich hatten und das tat sie mit einer Lüge.
Einer sehr schlecht dargestellten Lüge.
Melinda nannte mich nur "Ryry", wenn sie mich so richtig verarschte, aber das merkte sie selbst nicht, was es einfacher für mich machte, sie beim Lügen zu erwischen. Sie fing an nervös an ihrem Ärmel zu spielen und damit verriet sie sich doppelt. Sie war eine so schlechte Lügnerin, dass es schon schmerzte.
"Ähm, ja, ich, ich muss jetzt mal aufs Klo und Pause ist bald zu Ende, also. Wir sehen uns dann am nachher, wenn wir nach Hause laufen. Bye.", versuchte sie mich abzulenken und lief schnell weg. Sie würde nachher bestimmt nicht kommen.

Ich ließ es einfach sein und eilte um die Ecke zu meinem Spind, wovor, zu meiner Überraschung, Nate stand. Er drehte seinen Kopf zu mir und schaute mich emotionslos an. Das war sein permanenter Blick, wenn er mit niemandem redete oder interagierte. Ein Blick, der nichts verriet. Dieser Ausdruck ließ Nate mysteriöser wirken, als er war,  und das wiederum brachte ihm mehr Hoes.

"Was geht, shorty? Lang nicht gesehen.", begrüßte er mich, wobei sein rechter Mundwinkel aufzuckte. Ein Hinweis, dass er sich das Lächeln verkniff und das war für mich ein Zeichen, dass er etwas im Schilde führte.
"Was machst du vor meinem Spind?", kam monoton von mir, ehe ich weiter auf ihn zulief. Nun lachte er auf und lächelte provokant, was mich verwirrte.
Warum wechselte er seine Strategie inmitten des Spiels? Erst das Verstecken von Emotionen und nun lachte er? Versuchte er mich absichtlich zu verwirren?
"Kein Hallo? Kein wie geht's?", fragte er, "Wo bleiben denn deine Manieren?"
Genau, als er seinen Satz beendet hatte, dongte es zum Unterricht. Ich schaute mit meinen müden, abgefuckten Augen in seine und er wusste, dass ich ihm damit zum Gehen erregen wollte, aber er bewegt sich nicht.

Ich seufzte nur und war mit den Nerven blank, weil ich keinen Bock auf Schule oder auf Nate hatte. So gar keinen Bock. Vor allem nicht, wenn man nur zwei Stunden Schlaf und fast kein Essen im Körper hatte. Gestern war ich nämlich den ganzen Tag durch die Stadt geschlendert. Sofort als ich von der Schule gekommen war, bis um 21 Uhr war ich nicht nach Hause gegangen. Zudem hatte ich kein Geld dabei, nachdem ich meinen Geldbeutel zuhause vergessen hatte. Es war nicht einmal aufgefallen.

"Ich habe echt keine Zeit für deine Spielchen oder was du auch immer vor hast. Ich habe jetzt Mrs. Jenkins, und die ist bei Pünktlichkeit wirklich streng. Also.", erklärte ich ohne Emotionen in der Stimme und gab ihm mit einem Händeschwingen zu verstehen, dass er Platz machen sollte.
"Ich lasse dich an deinen Spind, wenn du... ", begann er mit seiner Forderung und ließ eine dramatische Pause zwischen seinen Worten. Plötzlich grinste er mich breit an, welches mir irgendwie Sorge bereitete, und sprach weiter, "...wenn du mir einen Kuss auf die Wange gibst und mir sagst, dass ich der absolut süßeste Mensch im ganzen Universum bin."
Der wollte mich doch verarschen, oder? Das war doch nur Spaß. Denn darauf wäre ein 12 oder 13 jähriger Junge gekommen, aber nicht jemand der 18 und schon volljährig war.
Was für eine Grundschulscheiße war das denn?

Ich blickte auf meine Armbanduhr und war schon drei Minuten zu spät, was hieß, dass ich eine Strafarbeit bekommen würde. Das war Mrs. Jenkins System. Wenn man 1-5 Minuten zu spät war, bekam man eine Strafarbeit. Wenn man 5-10 Minuten zu spät war, bekam man zwei Strafarbeiten, falls sie scheisse drauf war, sogar drei. 10-15 Minuten hieß Nachsitzen und drei Strafarbeiten. Umso später man war, desto mehr bekam man als Strafe, egal, ob es ein Notfall war oder egal, was für Gründe man hatte. Sie interessierte es nicht.
"Nein.", sagte ich und schüttelte meinen Kopf dabei.
"Aber dann kannst du nicht zu Mrs. Jenkins, die dich sehnsüchtig mit einer Strafarbeit erwartet.", lächelte er unschuldig und nickte verständnisvoll, was mich kurz in meinen Gedanken halten ließ.
Dr Typ war so ganz und gar nicht normal im Kopf.
"Das wird dir bestimmt Spaß machen, nicht? Vier Seiten ganz hinten im Geschichtsbuch abschreiben. Die ganzen langen Definitionen, die in kleinster Schrift eng aneinander gedruckt wurden. Das wird dich bestimmt Stunden kosten.", redete er auf mich ein, während ich es mir vorstellte. Ich, wie ich um ein Uhr nachts an meinem Schreibtisch die ganzen Definitionen aufschrieb. Mein Arm, wie er schon vom ganzen Schreiben schmerzte. Mein Rücken, den ich nicht mehr bewegen könnte nach dieser Schreibeinlage. Die Worte würden nach nur einer Stunde schon aussehen wie ein unlesbares Kritzeln.