,,Steig ein", forderte Cecilia mich auf und nickte auf das noble Auto. Kein einziger Staubkorn befand sich darauf und die weiße Farbe leuchtete geradeso in der Sonne. Den kleinen Unfall mit Vincent merkte man dem Auto nicht mehr an. Es sah aus wie neu. Ein bisschen ärgerlich, wenn man bedachte, dass Vincent Auto immer noch den Kratzer des Schlüssels zur Schau stellte.
,,Wieso sollte ich in dein Auto steigen?", fragte ich und hob die Augenbraue.
,,Du wolltest reden und wenn wir schon die Schule schwänzen, dann machen wir das gewiss nicht auf dem Schulhof. Also steig ein oder das Gespräch ist hiermit beendet."
Ich verdrehte die Augen, aber weil es tatsächlich Sinn machte was sie sagte, öffnete ich widerwillig die Wagentür und setzte mich hinein. Im Auto duftete es stark nach ihrem Zitronenparfüm. Am liebsten würde ich es einmal durchlüften. So saß ich in einer einzigen bitteren Duftwolke.
Cecilia stieg auf der Fahrerseite ein, schlug die Tür zu und setzte sich ihre teure Markensonnenbrille auf.
,,Wohin fahren wir?", fragte ich als sie ausparkte.
,,Du stellst zu viele Fragen", antwortete Cecilia knapp.
Das mochte sein, aber ehrlich gesagt beantwortete sie auch keine davon. Logischerweise musste ich dann mehr nachfragen.
,,Wieso willst du auf einmal doch reden?", fragte ich dennoch weiter.
,,Ich habe gesagt, dass du zu viele Fragen stellst. Sei einfach still", wiederholte sie kühl und richtete den Blick starr auf die Straße.
Cecilias Fahrstil schätzte ich ganz anders ein als er wirklich war. Ich hielt sie immer für vorsichtig und perfekt an die Geschwindigkeit angepasst. Tatsächlich aber stand sie ordentlich aufs Gas und fuhr auf jeder Straße viel zu schnell. Selbst als sie eine rote Ampel "übersah" verzog sie keine Miene.
Meine Erleichterung als wir endlich anhielten, konnte ich kaum in Worte fassen. Trotzdem beschwerte ich mich kein einziges Mal über ihren Fahrstil. Das würde sie sowieso nur als Beleidigung auffassen und noch mehr Lügen erfinden.
Wir hielten mitten im Nirgendwo. Wenig Gras bedeckte den Boden und es zog ein eisiger Wind hier oben. ,,Wo sind wir?"
Cecilia seufzte sichtlich genervt über die erneute Frage. ,,Öffne deine Augen und frag erst, wenn du es wirklich nicht kapierst. Komm."
Sie ging einfach weiter und es dauerte wirklich nicht lange, bis ich es begriff. Wir standen auf einer meterhohen Klippe.
,,Ganz schön hoch...", stellte ich fest. Bei derartigen Dingen blieb ich lieber vom Abgrund weg. Die Chance diesen Sturz zu überleben lag vermutlich nicht wirklich im oberen Bereich. Zwar liebte ich das Meer und die Natur, aber derart hohe Klippen jagten mir einen großen Respekt ein. Den schien Cecilia nicht zu kennen. Sie trat ziemlich nahe an den Abgrund heran.
,,Das ist mein Lieblingsort", erklärte sie und machte eine ausladende Bewegung. Der Wind wehte ihr blondes Haar durcheinander.
Was fand sie denn an diesem Ort so besonders? Die Landschaft wirkte eher kahl, die starken Wellen unter der Klippe klatschten gegen den kalten Stein und es war eiskalt weil es so windete.
Noch mehr überraschte mich die persönliche Information, die sie mir mir teilte. Seit wann verriet sie mir freiwillig etwas über sich?
Ich sah sie von der Seite an. Fast schon glaubte ich ein kühles Lächeln auf ihren Lippen zu erkennen. Kaum merklich, aber vorhanden. Sie mochte diesen Ort wirklich.
,,Freiheit", antwortete sie auf die unausgesprochene Frage, die im Raum lag.
,,Das ist eher lebensmüde. Hast du keine Angst zu fallen?", wollte ich wissen.
Cecilia schüttelte den Kopf. ,,Nein."
Sie drehte sich nun etwas zu mir. ,,Du wolltest doch unbedingt alles über mich wissen, richtig?"
Sie machte eine ausladende Geste. ,,Das hier ist ein Teil davon.",,Warum zeigst du mir das? Am Wochenende warst du noch fest entschlossen, mich von dir fernzuhalten. Das ändert sich nicht so schnell."
,,Ich will dich loswerden, Leroy. Aber du hörst einfach nicht auf Fragen zu stellen. Du läufst mir hinterher und willst mich retten, aber dieser Ort beweist dir, dass ich nicht gerettet werden kann. Also hör endlich auf, bevor du alles noch schlimmer machst. Sieh dich doch um."
Das tat ich. Ich sah mir alles noch einmal ganz genau an.
,,Der Boden ist kahl, es ist kalt und würde ich nur einen Schritt weiter gehen, dann könnte das Leben vorbei sein. Aber keiner von uns weiß wirklich, was passiert, wenn wir springen und unter Wasser gezogen werden. Deshalb bleiben wir stehen."
Ja, der Ort spiegelte ihre Persönlichkeit wieder. Abweisend, kalt und unter der Oberfläche unergründlich. Nur die Sache mit dem Abgrund machte mir ein bisschen Sorgen.
Zweifelnd drehte ich den Kopf in ihre Richtung. Es war schwer einzuschätzen, was genau sie an diesem Ort liebte.
,,Willst du springen?", fragte ich plötzlich, doch meine Stimme blieb erstaunlich ruhig.
Wundern würde es mich nicht. Dennoch verspürte ich das starke Bedürfnis sie einige Meter nach hinten zu ziehen. Der steile Abgrund jagte ihr weniger Respekt ein, als er sollte.
,,Es wäre falsch zu sagen, dass ich springen will", antwortete sie überraschend offen.
,,Aber...?"
Ich konnte spüren, dass sie noch mehr sagen wollte.,,Es wäre mir egal, wenn ich falle."
💕
Plötzlich fügte ich in meinem Kopf alles zusammen. Cecilia wollte an dieser Klippe stehen, um dem Tod nahe zu sein. Sie wollte nicht springen, aber sie hätte nichts dagegen zu fallen. All das musste ich erst verarbeiten.
,,Kann ich dir noch eine letzte Frage stellen?", fragte ich leise. Endlich brachte ich den Mut über mich, sie wieder zu fragen. Ich fürchtete nur, sie könne wieder wütend auf mich werden. Aus früheren Unterhaltungen wusste ich das Thema eher zu meiden.
,,Wenn du die Antwort erträgst."
Cecilias grüne Augen richteten sich auf mich.Ich atmete tief durch und machte mich auf alle möglichen Reaktionen ihrerseits gefasst. ,,Wo ist Lily wirklich?"
Bree redete immer von einem Internat, aber ihre Augen verrieten mir jedes Mal, dass sie nicht die Wahrheit sagte. Zuhause befand sich Lily auch nicht. Cecilia hatte auch noch nie einen Streit erwähnt. Mir fiel erst spät auf, dass ich immer automatisch davon ausging.
Nun wusste ich wirklich nicht mehr, ob ich die Antwort hören wollte.
Cecilias Augen blieben ausdruckslos, aber sie sah mich ausnahmsweise nicht an. Stattdessen blickte sie zu Boden. Wahrscheinlich wollte sie nicht, dass ich den Schmerz darin erkannte, der sich langsam ausdrückte. Verhindern konnte selbst sie es nicht.
Dann sah sie mich doch an, aber sie wurde nicht wütend oder blockte mich ab wie ich erwartete. Ich nahm an, dass sie diese Sache viel zu lange in sich hineingefressen hatte ohne jemals mit jemandem zu sprechen.
Ihre Antwort fiel sehr knapp aus und danach drehte sie sich um und ging zurück zum Auto. Ihre Stimme kaum lauter als ein leises Flüstern.
,,Frei."
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Barbie Devilish ✔
Jugendliteratur,,𝘴𝘩𝘦'𝘴 𝘴𝘸𝘦𝘦𝘵, 𝘣𝘶𝘵 𝘢 𝘭𝘪𝘵𝘵𝘭𝘦 𝘣𝘪𝘵 𝘰𝘧 𝘢 𝘱𝘴𝘺𝘤𝘩𝘰" Cecilia Colorado ist in der Schule nur als "Barbie Devilish" bekannt. Stolz trägt sie diesen Titel wie eine eiskalte Krone und ist die selbsternannte Königin der Schule. Mit...