25 / my darkest secret

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,,Du hast einiges zu erklären, Bro." Mit spitzen Fingern räumte Vincent Cecilias Tanktop von meinem Bett und setzte sich. ,,Entweder du hast die Frauenabteilung im Supermarkt überfallen oder du hattest Besuch. Und ich gehe stark davon aus, dass dieser Besuch zufälligerweise blond und fies ist."
Vincent sah mich wissend an. ,,Ich weiß, dass ihr zusammen seid."

Ich zuckte ahnungslos die Schultern. Das Gespräch mit Cecilias Eltern hatte wieder Zweifel gesät. ,,Keine Ahnung was wir sind. Ich glaube, dass sie mir etwas verheimlicht."

,,Natürlich verheimlicht sie dir was. Barbie Devilish war noch nie ein offenes Buch", meinte Vincent. Da er so gut wie nie still sitzen konnte, war er schon wieder aufgestanden und drehte Runden in meinem Zimmer.
,,Nenn sie nicht so", antwortete ich.
,,Sorry." Vincent sah mich an. ,,Hast du wirklich keine Ahnung, was sie dir verheimlicht?"

Hatte ich. Es war offensichtlich, dass die Geheimniskrämerei mit ihrer toten Freundin zusammenhing. Lily. Die Art, wie Cecilia immer auf ihren Namen reagierte. Bree, die Cecilia verabscheute. Es war mehr vorgefallen als sie mir weismachen wollte. Die Worte ihrer Mutter hatte ich keineswegs vergessen. Was damals wirklich mit Lily passiert ist. Fühlte Cecilia sich schuldig?

,,Leroy?"
,,Ich war in Gedanken, sorry. Wenn Cecilia Geheimnisse hat, dann wird das einen Grund haben. Es ist nicht meine Angelegenheit, mich einzumischen."

Vincent applaudierte. ,,Wow. Weißt du, worum ich dich beneide? Du schaffst es immer, das Gute in Menschen zu sehen. Selbst in Cecilia Colorado."

•••

Cecilia antwortete nicht auf meine Nachrichten oder Anrufe. Das Gespräch mit ihren Eltern war eine dumme Idee. Ich lenkte mich ab, indem ich am Strand spazieren ging. Heute wehte eine sanfte Brise und die Sonne kämpfte sich durch die dichte Wolkenschicht. Obwohl kein Badewetter war, entdeckte ich einzelne Touristen, sie es trotzdem wagten.

,,Ich wusste, dass ich dich hier finden werde. Du kommst immer hierher, wenn du nachdenken willst."

Cecilia.

,,Haben deine Eltern dich gehen lassen?"
Sie schüttelte den Kopf. ,,Ich bin abgehauen. Schon wieder. Scheint, als wäre ich langsam gut darin geworden."

Ich wusste nicht, was ich darauf erwidern sollte. Deshalb wechselte ich das Thema. ,,Geht es dir gut?"
,,Ja."
,,Und die ehrliche Antwort?"
,,Was denkst du?"

Nachdenklich starrte sie auf das offene Meer hinaus. Sie sah wunderschön aus, wenn ihre Lippen sich leicht kräuselten, weil sie glaubte, dass keiner zusah. Cecilia erinnerte mich an das Meer. Unnahbar und voller Geheimnisse. Trotzdem schwammen die Menschen darin ohne zu wissen, was in der Tiefe wirklich lauerte.

,,Komm schon her", sagte ich und legte einen Arm um ihre Schulter.
,,Ich hasse Umarmungen", antwortete Cecilia.
,,Nein. Tust du nicht."
,,Jedenfalls nicht, wenn sie von dir kommen", gab sie zu und wieder mal hatte sie keine Ahnung, wie glücklich ich wegen dieser Worte war.

Aber die Stimmung schwankte schnell und sie deutete in den kühlen Sand. ,,Setzen wir uns? Ich möchte dir etwas erzählen. Die Wahrheit ist, dass ich dich wirklich mag. Ich will nicht, dass du eines Tages die Wahrheit von einer anderen Person rausfindest. Du sollst sie von mir hören."

Die Wahrheit. Cecilia hielt viele Wahrheiten zurück, aber die Art, wie sie sprach implementierte, dass es sie viel Überwindung kostete, diese preiszugeben.

Ich nickte verständnisvoll. ,,Ich bin sehr froh, dass du dich mir anvertraust. Es bedeutet mir sehr viel"

Wir setzten uns in den Sand. Eisernes Schweigen legte sich über uns. Ich drängte sie nicht, wusste, dass sie nur die richtigen Worte suchte. Sie begann zu sprechen, brach ab und startete einen neuen Versuch. Dreimal. Jedes Mal begann sie mit demselben Wort: Lily.

,,Es war ein schöner Tag im Sommer. Lilys Eltern haben dieses Haus auf dem Land, zu dem sie mich manchmal am Wochenende mitgenommen haben. Ich habe es dort geliebt. Wir haben stundenlang in der Natur gespielt, geheime Unterschlüpfe gebaut oder im See gebadet. Es war perfekt, weil... weil ich einfach ein Kind sein durfte. Meine Eltern waren nicht da, um mir zu verbieten im Schlamm zu spielen, weil die teuren Klamotten dreckig werden könnten."

,,Mein Vater hat immer gesagt, dass Kinder, die dreckig und mit kaputten Jeans nach Hause kommen, am glücklichsten gespielt haben. So hat er jedenfalls immer Mum beruhigt, die sich schrecklich aufgeregt hat, wenn wir schon wieder neue Jeans kaufen müssen", erinnerte ich mich plötzlich. Es war schön, wenn aus dem Nichts Erinnerungen von ihm auftauchten. Nach dem Tod blieb einem nichts anderes mehr, als in den Herzen der Hinterbliebenen weiterzuleben.

Cecilia nickte. ,,Ja, aber so waren meine Eltern nicht. Sie haben schon die Kriese bekommen, wenn ich unseren frisch gemähten Rasen betreten habe."

Sie schwelgte in Erinnerungen und fuhr fort. ,,Lily und ich haben es geliebt, das Haus nach Geheimgängen zu durchsuchen - einen haben wir sogar gefunden. Er führte bis in die Speisekammer. Das hat Lily irgendwann auf den Gedanken gebracht, dass das Haus noch mehr Geheimnisse verbirgt. Sie sprach ständig von Magie und den Geistern der ehemaligen Besitzer, die dort immer noch ihr Unwesen treiben."
,,Hast du auch an Geister geglaubt?", fragte ich, denn sie schien nicht der Typ dazu zu sein.
Sie enttäuschte mich nicht. ,,Unsinn. Geister existieren nicht. Das wusste ich, aber es hat mich nie daran gehindert, mit Lily danach zu suchen. Sie war besessen von solchen Geschichten."

Ich stellte mir vor, wie die beiden Mädchen in einem alten Landhaus herumrannten und unsichtbaren Gespenstern hinterherjagten. Verrückterweise konnte ich mir selbst eine jüngere Version von Cecilia sehr gut dabei vorstellen.
Lily schenkte ihr alles, was sie wegen ihrer Eltern an ihrer Kindheit verpasste.

,,Jedenfalls hat Lily sich eines Tages einen Streich erlaubt. Sie wollte mich unbedingt erschrecken und hat die alten Rohre im Haus verwendet, um ihre Stimme besonders schaurig durchs ganze Haus hallen lassen. Ihre Eltern waren zu dem Zeitpunkt noch am See, der direkt an das Haus angrenzendt. Lily hat sich hinter einer Tür versteckt und gewartet, bis ich vorbeikam. Ich bin zu Tode erschrocken und war unglaublich wütend auf sie." Bei ihrer eigenen Wortwahl zuckte sie kurz zusammen. ,,Also bin ich weggelaufen."

Ich ahnte, dass gleich der schlimme Teil der Geschichte folgte und wusste nicht, ob ich bereit darauf war, die Wahrheit zu hören. Cecilias Erzählung geriet ins Stocken.

,,Lilys Eltern haben uns verboten, das Gelände zu verlassen. Aber sie waren nicht in der Nähe. Lily ist mir bis auf die Landstraße gefolgt und... Der Fahrer war viel zu schnell. Er... Er... Sie ist vor meinen Augen..."
Jetzt kullerten ihr unzählige Tränen übers Gesicht. ,,Lily ist tot, weil ich weggelaufen bin. Wegen eines dummen Streichs."

,,Du bist nicht schuld daran."

Meine Worte waren dumm gewählt. Jahrelange Schuldgefühle verschwanden nicht einfach nur dann, wenn ein dahergelaufener Typ das behauptete. Sie saßen viel tiefer.

Cecilia sagte nichts mehr. In diesem Augenblick schien sie abwesender als je zuvor.

Barbie Devilish ✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt