Wenn in Narnia...

1K 118 86
                                    

꧁꧂

          Was Katastrophen anbelangte, war diese wenigstens ästhetisch ansprechend. Ana stand für mehrere Sekunden in der Tür und starrte die goldenen Adern und die riesigen Wurzeln an, halb erwartend, dass sie sich vor ihrer Nase auflösen würden. Sie waren überall. Wanden sich um die Häuser wie ein riesiges Baumhaus auf dem Boden. Frost breitete sich über ihnen aus und ließ die nächtliche Stadt golden in ihrem Licht glitzern.

Fast hätte sie den verpasst, wie der Kerl vor ihr sich wieder in Bewegung setzte. Sie hätte ihn gerne gehen lassen. Jeder Kerl, der sich von ihr entfernte, war eine Erleichterung. Aber sie durfte nicht. Diesen hier brauchte sie vielleicht noch.
„Hey?"

Er hörte sie nicht beim ersten Mal und beinahe hätte Ana ihn doch ziehen lassen. Sie hatte sich irgendwie selbst hierher bekommen. Sie würde sich auch irgendwie wieder herausholen. Sie wusste nur nicht wie. Also rief sie noch einmal. Lief ein paar Schritte aus dem Schutz des Gildenhauses heraus.

Der Mann im langen Mantel drehte sich erst zur Hälfte und dann ganz zu ihr um, als könne er nicht glauben, wer ihm da hinterherlief.
„Oh nein- verschwinde", mit seiner freien Hand, die nicht seine Reisetasche umklammert hielt, machte er eine scheuchende Bewegung, als wäre sie eine Katze, „Ich habe gerade keine Zeit, lose Enden zu beseitigen."

Lose Enden? Der Satz ergab für sie so wenig Sinn, dass sie kurzzeitig tatsächlich stehen blieb und ihre Erinnerungen nach einer Erklärung durchforstete. Unangenehme Bilder eines furchtbaren Abends warteten dort auf sie, die nicht einmal was mit ihrer jetzigen Situation zu tun hatten. Sie schob sie alle hinter eine große Wand. Einfach nicht daran denken.

Stattdessen fokussierte sie sich auf den Kerl vor ihr. Goldene Augen und rötlich braune Haare, die im Dunkel der Nacht eher die Farbe von Matsch angenommen hatten.
Du hast mich hierhergebracht, richtig?" Sie hoffte, dass sie richtig lag. Ganz sicher war sie sich nie.

Aus ihrer Sicht gab es zwei Möglichkeiten, was passiert war.
Entweder, sie lag gerade in ihrem Bett und hatte einen von diesen Träumen. Logisch gesehen war es wahrscheinlich. Realistischer. Denn die Alternative war, dass Magie echt war, all die Leute um sie herum echt waren und sie entführt worden war an einen Ort, an dem noch nicht einmal True Crime sie finden würde.

Die erste Variante wäre ihr lieber. Weniger gefährlich. Keine drohende stationäre Aufnahme in einer Anstalt, weil sie immer noch nicht zuhause angekommen war. Kein Weltbild, das auf den Kopf gestellt worden war, wo ihres schon vorher nicht mit dem allgemeinen Konsens übereinstimmte.

Aber das hier war kein Traum. Das hier war eine Katastrophe.

Sie hatte es gewusst in der Sekunde, da sie die Augen aufgeschlagen hatte.

Sie ballte ihre Hände zu Fäusten, um Kontrolle ringend, von der Judy ihr zu oft versichert hatte, dass sie sie nicht besaß. Sie konnte jetzt keine Panik haben. Logik würde helfen. Musste helfen.
„Du musst mich so schnell es geht zurückbringen. Bitte."

Der Kerl musterte sie noch einmal, runzelte die Stirn und... „Nein?" Er sagte es, als könne er gar nicht glauben, um was sie ihn gebeten habe. Als wäre es das Letzte, was ihm in den Sinn kommen würde, wenn er sie so ansah.

Er wollte wieder loslaufen, doch Ana folgte ihm. Das war keine Antwort, die sie akzeptieren konnte. Wie lange war sie bereits unterwegs? Und wie schnell konnte man eine Vermisstenanzeige bei der Polizei aufgeben?
„Nein, du willst nicht oder nein, du kannst nicht?"

Er hielt inne, offensichtlich debattieren, ob sie eine Antwort überhaupt wert war. Doch kurz bevor sie die Frage wiederholte, drehte er sich wieder um.
„Du bist neu hier", sein geduldiger Tonfall wurde von seinem Gesicht Lügen gestraft, Lächeln oder kein Lächeln, „Und du hattest einen furchtbaren Tag, also erkläre ich es dir gerne noch mal: Das. Ist. Nicht. Möglich. Reisen zwischen Welten ist-..."

The Demon Stone - Der Weltenwandler IWo Geschichten leben. Entdecke jetzt