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Ana folgte Mika'il und Nahem durch die Gänge, ohne ein einziges der aufgehangenen Bilder zu sehen. Bis sie sich entschieden hatte. Sie würde sich nicht umentscheiden.
Aber die Seelenweberinnen hatten Recht: Sie würde ohnehin einen Mord in Kauf nehmen müssen, wenn sie nach Hause wollte. Ein unschuldiges Leben, dem nicht einmal die Chance der Verteidigung eingeräumt wurde. Aber was würde Adriel sagen? Allein die Vorstellung ließ sie schwanken.
Sie konnte ihn nicht umbringen. Sie konnte nicht. Konnte nicht. Konnte nicht.
Sie wusste später nicht mehr, in welches Zimmer sie von Salems Bruder gebracht wurden. Sie hatte schwammige Erinnerungen an eine Treppe und an einen langen dunklen Flur, an dem sich dicke Vorhänge und alte Kerzenleuchter abwechselten.
Doch als hinter ihr die Tür ins Schloss fiel, war ihr bereits so schwindelig von ihren eigenen Gedanken, dass sie kaum den Raum dahinter sah. Er war nicht anders als das große Empfangszimmer der Weberinnen. Dunkel, mit schweren Vorhängen vor großen Fenstern. Allein ein Erker war freigehalten worden und durch ihn fiel spätabendliches Licht herein. Die Wand gegenüber war vollständig durch deckenhohe Bücherregale verdeckt.
Anas Schritte echoten nicht auf dem schweren, roten Teppich, als sie die Mitte des Zimmers erreichte und sich umdrehte.
„Ich kann es nicht." Ihre Stimme kam tonlos, aber entschlossen, „Ich kann keinen Mord begehen."Mika'il stand vor der Tür, die Arme verschränkt. Sie wollte, dass er ihr widersprach. Dass er sie daran erinnerte, welche Mühe Kaïa auf sich genommen hatte. Welche Gefahr sie alle eingegangen waren, nur um sie überhaupt erst hierher zu bekommen. Aber er starrte sie einfach nur an.
„Ich kann nicht Mika'il. Ich kann nicht- Ich..."
Mit einem Seufzen stieß er sich von der Tür ab und war in wenigen Schritten vor ihr. Seine Hände auf ihren Schultern stoppte effektiv den Wortstrom, der ihre drehenden Gedanken nur noch weiter anheizen wollte.
„Ich weiß. Ich habe dich kennen gelernt", er seufzte noch einmal und bemerkte deutlich nüchterner, „Mord ist einfach nicht jedermanns Sache."Ana blinzelte, ehe sie unter schweren Brauen zu ihm hoch starrte. Machte er sich ernsthaft über sie lustig?
„Das hier ist deine Schuld! Ich sitze hier fest, weil du-..." Mit beiden Fäusten schlug sie ihm gegen die Brust, ein animalisches Geräusch zwischen Frust und Zorn von sich gebend. Doch die Schläge waren kraftlos.Mit unendlicher Ruhe zog er sie gegen seine Brust und schloss sie in die Arme. Sein Kinn kam auf ihrem Scheitel zu ruhen.
„Ich könnte Adriel als Wiedergutmachung für dich töten, aber ich bezweifel-..."Anas stocksteifen Muskeln ließen ihn innehalten, einige Sekunden warten und sie dann vorsichtig wieder von sich schieben.
„Kein Fan von Umarmungen?"Ana brauchte einige Sekunden, ehe sie wieder Luftholen konnte. Die plötzliche Nähe hatte ihr jede Antwort gestohlen, die sie mit Worten hätte formulieren können, also starrte sie Mika'il einfach aus großen Augen an und versuchte, das Blinzeln nicht zu vergessen.
Mika'ils Augenbrauen schoben sich verwirrt zusammen, doch es war dieser winzige Moment der Verletzung in seinen goldenen Augen, der Ana aus ihrer Schockstarre schreckte. Es lag nicht an ihm! Aber das letzte Mal als ein Kerl ihr so nahe kam...
Sie wollte nicht daran denken. Stattdessen holte sie tief Luft und trat wieder zwischen seine Arme, ihre Schläfe an seine Brust gelehnt.Sie musste sich irgendwie ablenken. Und wenn eine Panikattacke die andere auscancelte, dann würde sie das gerne entgegennehmen.
Es war nicht nur, dass sie keinen Mord begehen wollte. Sie wusste nicht warum, aber sie wollte Adriel nicht tot sehen. Aber was das im Umkehrschluss bedeutete, ließ sie ihr Gesicht noch tiefer in Mika'ils warme Kleidung drücken.
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The Demon Stone - Der Weltenwandler I
خيال (فانتازيا)Anas Psychologin hat eine sehr gute Erklärung dafür, dass sie Dinge sieht, die eigentlich nicht da sind. Diese Erklärung scheitert allerdings an der Tatsache, dass manche dieser Dinge blaue Flecken auf Anas Haut hinterlassen. Und Ana will gar nicht...