It is (almost) over

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          Ihre Finger schlossen sich um den bleichen Stein. Fingerabdruck für Fingerabdruck. Behutsam drehte sie ihn, bis er perfekt in ihre Handfläche passte. Dann drücke sie zu und die Welt um sie herum wurde stumm. Lediglich ihr Atemzug, langsam wie das Sterben einer Kerze, füllte die Leere. Und damit schloss sie ihre Augen.

Hinter Kaïa hatte Ana aufgehört, sich gegen Mika'ils Arme zu werfen. Den Blick wie hypnotisiert auf den Stein fixiert, holte sie nicht einmal mehr Luft. Lautlos. Still. Die Bewegung der Welt um sie herum verließ sie mit den Geräuschen. Machte Raum für das Knacken des ersten großen Risses durch den Stein. Weiß und verzweigt wie ein eingefrorener Blitzschlag, wanderte er durch den Stall. Breitete sich aus bis zu den Kanten, ohne ihn ganz zu sprengen.

Noch ein Atemzug. Länger. Kaïas Kopf fiel in den Nacken und sie ließ den Zweihänder fallen, um den Stein mit ihrer zweiten Hand zu greifen. Ein merkwürdiges Wummern füllte die Leere um sie herum aus. Ungleichmäßig. Drängend.

Der zweite Riss kam leiser. Sandte kleine Bruchstücke zum Boden des Gartens wie silbriges Pulver, das sofort zwischen den Grashalmen verschwand.

Ana sah Mika'il kaum durch ihre Tränen. Sein unbewegtes Gesicht. Passiv und kontrolliert. Sein Ticket zur Freiheit. Er machte keinen Schritt nach vorne. Unternahm nichts, um Kaïa zu stoppen. Er hielt lediglich Ana fest, deren Blut jetzt ebenfalls seine Kleidung beschmutzte. Genauso leer wie die Welt um ihn herum.

Kaïa zog ihr Licht ein. Nahm es in sich auf und ließ es erlöschen, bis ihre Haut nicht mehr weiß sondern rosig war. Die Schatten wuchsen um sie herum, drängten sich näher als wollten sie ihr Schutz geben. Kaïa blinzelte, doch ihre leuchtenden Augen waren nur noch blau. Menschlich.

Dann fiel die Maske ab. Sir Ranwic zuckte zusammen, einen Arm bereits zum Schutz vor seine Augen gehoben, den Körper weggedreht. Doch nichts geschah. Sie offenbarte lediglich ein hübsches, spitzes Gesicht, eingefroren in endloser Erleichterung.

Im versammelten Schatten sah Kaïa kleiner aus. Und das erste Mal glücklich. Luft auf ihrer Haut. Frei.

Es war nur ein Wispern. Schnell näherkommend, das Ana keine Zeit hatte es zuzuordnen, doch Mika'il war schneller. Nur nicht schnell genug. Er brüllte eine Warnung, riss Ana mit sich zu Boden, just in dem Moment, als sie es sah: Eine kleine silbrige Pfeilspitze, die sich direkt durch Kaïas Herz bohrte und ihr blutiges Ende zeigte.

Und obwohl Ana sie sah- sie erkannte- machte sie in dem kleinen zeitlosen Augenblick so wenig Sinn, dass Ana nicht begriff. Mit einem Krachen ging sie zu Boden und Mika'il über ihr drüber. Gras und verteilte Steine ließen sie aufstöhnen.

Kaïas blinzelte. Von all den Leuten um sie herum stand nur noch Kellen, eine Armbrust angelegt, viele Schritte hinter ihr. Doch ihr Blick fand Anas. Ein winziges Lächeln hob ihre Mundwinkel, als der Stein aus ihren Fingern glitt und zwischen ihnen im Gras landete.

Kaïa sah ihm nicht hinterher. Sie blinzelte einmal, dann noch einmal. Einen winzigen Moment in alle Ewigkeit ausstreckend. „Menschlich." Ehrfurcht drückte sich mit dem Blut aus ihrem Mund. Lief seine rote Bahn an ihrem Hals herunter und verschwand unter ihrer Kleidung.

Sie ging zuerst in die Knie. Selbst in ihrer schwachen Form noch für ihren winzigen Sieg kämpfend. Sie würde so lange menschlich sein, sich menschlich fühlen, wie sie konnte. Erst dann schloss sie die Augen und fiel neben den Stein ins Gras.

Die Stille blieb noch einen Augenblick länger. Festgehalten durch die Fassungslosigkeit der Anwesenden. Den flachen Atemzügen nahe dem erdigen Boden. Den weichen Nebelschwaden, die ihre Seele davon trugen. Hinaus über das Blätterdach und in den Wind.

The Demon Stone - Der Weltenwandler IWo Geschichten leben. Entdecke jetzt