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Er erzählte Adriel nicht gleich davon. Teilweise, weil der Nachtfuchs tatsächlich an Land gegangen war und dort auch die gesamte Nacht verweilte. Teilweise, weil Sir Ranwic den Eindruck hatte, dass er sich nach Kaliahs Erwähnung auf dünnem Eis befand.
Aber sie war das Erste, wonach er sich bei seiner Rückkehr erkundigte.
„Ich glaube, sie wird nicht gerne eingesperrt." Sir Ranwic lehnte sich auf seinem Stuhl zurück, bis das Holz ächzte und er sich hastig wieder aufrichtete.
Adriel beobachtete ihn aus zusammengeschobenen Augenbrauen, an die Tischkante angelehnt, die Arme vor seinem Oberkörper verschränkt.
„Wer wird gerne eingesperrt?"Sein Onkel wog den Kopf von links nach rechts, einige lang zurückgelegene Abenteuer mit seiner Frau in Erinnerung durchlebend, ehe er erwiderte: „Für sie ist es schlimmer. Ich weiß nicht warum, aber irgendetwas macht ihr Angst."
„Vielleicht hätte sie daran denken sollen, bevor sie einen Massenmörder in mein Land bringt", gab Adriel trocken zurück, „Ich will sie sehen." Und damit stieß er sich von der Tischkante ab und lief los in Richtung der Kajütentür.
„Ohhh...", hastig katapultierte sich sein Onkel aus seinem Stuhl und brachte sich zwischen seinen Neffen und den Ausgang. „Ich glaube nicht, dass das eine gute Idee ist." Händeringend suchte er nach der besten Wortwahl. „Das Mädchen ist sensibel... und du bist manchmal... etwas..."
Adriels Augenbrauen fielen zu einer geraden Linie herab. „Sie hat sich selbst bewusstlos geschlagen."
„Wegen dir."
„Aber sie ist sensibel und ich nicht?"
„Das habe ich nicht gemeint. Nur im Moment..." Sir Ranwic wurde von Adriels flacher Hand unterbrochen, die ihn einfach zur Seite schob wie einen Vorhang.
„Ich erwarte über Nacht keine Wunder von dir. Aber ich habe keine Zeit zu verlieren. Entweder sie kann mit meiner Anwesenheit leben oder sie ist in Cerriv besser aufgehoben." Und damit war Adriel aus dem Zimmer.
Sie saß genau an derselben Stelle. Die Beine ausgestreckt, die Hände im Schoß gefaltet und der Blick leer, als wäre sie allein in unendlicher Dunkelheit. Sie bemerkte nicht gleich, dass sich die Luke über ihr öffnete und für einen kurzen Moment ertappte Sir Ranwic sie dabei, wie Ana lautlose Worte zu sich selbst murmelte.
Dann ruckte ihr Kopf in seine Richtung. Die große Gestalt seines Neffen hinter ihm warf seinen Schatten in das kleine Zimmer und ihr Hals arbeitete schwer daran, ihre Angst herunterzuschlucken. Er hatte Menschen direkt vor ihrer Nase umgebracht. Teileweise unbewaffnet. Menschen, die versucht hatten, ihr zu helfen. Menschen, die ebenfalls nach ihrem Leben trachteten. Sir Ranwic fand, dass es eigentlich sehr lobenswert war, dass sie nicht schreiend versuchte, aus dem Bullauge zu klettern.
Adriel war ähnlich angespannt. Man musste ihn gut kennen, um zu bemerken, wie er sich ein bisschen aufrechter hielt als sonst, die Hände ein wenig nutzloser an seiner Seite. Er blieb auf Abstand, lehnte sich links von der Stiege gegen die Wand, obwohl er dafür den Kopf einziehen musste, und verschränkte die Arme.
Sir Ranwic ließ sich wie bei seinen letzten Besuchen ihr gegenüber auf den Boden sinken. Sie hatte ihr Brot nicht aufgegessen und der Käse lag vollkommen unberührt zwischen ihnen. Die dunklen Kreise unter ihren Augen waren kaum verblasst. Beides tat ihm mehr weh, als er zugeben wollte, doch er versuchte es trotzdem mit einem Lächeln.
„Wir haben ein paar Fragen, Ana."Sie sah von ihm zu Adriel und dann wieder zurück. Stumm. Angespannt.
Ranwic war sich Adriels Beobachtung in seinem Rücken nur zu sehr bewusst. Wusste, dass er sie nicht nur aus Eigennutz und Praktikabilität in Cerriv unterbringen wollte. Das Mädchen war ein Gespenst ihrer selbst und auch wenn Adriel es nicht zugab, wollte er ihr einiges ersparen.
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The Demon Stone - Der Weltenwandler I
FantasíaAnas Psychologin hat eine sehr gute Erklärung dafür, dass sie Dinge sieht, die eigentlich nicht da sind. Diese Erklärung scheitert allerdings an der Tatsache, dass manche dieser Dinge blaue Flecken auf Anas Haut hinterlassen. Und Ana will gar nicht...